Das kann weg: Warum Spediteure Frankreich lieben und Deutschland verteufeln

Jörg Wellbrandt (Name geändert) transportiert mit seinem 400.000-Euro-Lastzug alles, was die Maße 22 Meter Länge, 4,40 Meter Höhe und drei Meter Breite nicht überschreitet. Manchmal aber auch Größeres. Und dann braucht der Unternehmer eine besondere Genehmigung, meist nach Paragraph 29 Straßenverkehrsordnung (StVO). 

Diese und weitere Vorschriften der Straßenverkehrsordnung klingen einsichtig – denn wer bis zu 50 Tonnen Gewicht über die Autobahn mit zahlreichen bekannt brüchigen Brücken bewegen will, ohne den Verkehr lahmzulegen, muss sich natürlich an Regeln halten. Davon gibt es, so sieht es Wellbrandt, aber zu viele. Und vor allem: Die StVO und die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) geben ja nur den Rahmen vor. Es gelten zusätzlich zahllose Verwaltungsvorschriften, Ausführungsbestimmungen mit Begriffsdefinitionen und natürlich regionale Besonderheiten.

Wir sprechen mit Jorik Wellbrandt, während er mit seinem Schwerlaster Richtung Süden unterwegs ist. „Ich fahre jetzt gerade quer durch Frankreich nach Marseille. Hier in Frankreich habe ich eine Dauergenehmigung nach Kategorie 1, bis 3 Meter Breite, 4,40 Meter Höhe und 48 Tonnen Gesamtgewicht“, sagt der Spediteur: „Und das dann landesweit flächendeckend auf den Nationalstraßen. Also da bin ich ziemlich flexibel unterwegs.“ Von wochenlangen Verwaltungsvorgängen bleibt er dort verschont. In Deutschland ist das alles anders.

In Deutschland ist alles anders

Hilfreich ist hierzulande zunächst einmal der Blick in die Erläuterungen von Kommunen, Bezirken, Landkreisen. Darüber hinaus gibt es die bundeseigene Autobahn GmbH, die seit einigen Jahren unter dem Dach des Bundesverkehrsministeriums Vorgänge vereinheitlichen und verschlanken sollte. Eigentlich. Dazu später mehr. Einstweilen betrachtet und beachtet der Logistikunternehmer: Die StVO, die StVZO, die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO), die Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) und natürlich die Richtlinien für die Durchführung von Großraum- und Schwertransporten. Genauere Erläuterungen sind vonnöten; da hilft dann ein Fachportal wie „Lkw-Recht“ im Internet. 

Wellbrandt als alter Hase kennt natürlich die Feinheiten, etwa den Unterschied zwischen „Auflagen“ und „Bedingungen“. Wird gegen ersteres verstoßen, gibt es ein Bußgeld. Ignoranz gegenüber den „Bedingungen“ (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) allerdings zieht, wenn es sich um eine „auflösende Bedingung“ („Lkw-Recht de“) handeln sollte, ernste Folgen nach sich – nämlich die Löschung der Ausnahmegenehmigung. Der Clou: Wie man Auflagen und Bedingungen unterscheidet, das ist „eine komplexe Frage und nicht auf die Schnelle zu klären“, sagt sogar der Ratgeber Lkw-Recht.

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Online Portal mit Kleingedrucktem 

Allein die Abwägung, welche Dokumente unter welchen Voraussetzungen vorzulegen sind, erfordert umfangreiche Kenntnisse der einschlägigen Vorschriftenlage. Ursprünglich war Jorik Wellbrandt freudig überrascht, als 2008 das VEMAGS (Abkürzung für „Verfahrensmanagement für Großraum- und Schwertransporte") ein „bundesweit einheitliches Verfahrensmanagementsystem” verfügbar wurde. Im Kleingedruckten aber blieb dann doch vieles beim Alten, trotz dieses Online-Portals. Zum Beispiel: „Die zuständige Behörde führt auf Grundlage des Antrages ein Anhörverfahren durch. In dessen Rahmen beteiligt sie innerhalb des Bundesgebietes alle von der Transportstrecke betroffenen Behörden und führt deren Stellungnahmen zum Antrag (z. B. Ablehnung, Zustimmung unter Auflagen) in einen Erlaubnisbescheid zusammen”, informiert die Bundesverwaltung.

Das Nadelör, so sieht es Wellbrandt, ist die Autobahn GmbH. Fun Fact: Mit rund 13.000 Mitarbeitern (2023) hat die bundeseigene GmbH ziemlich exakt für jeden deutschen Autobahnkilometer einen. Dass wochenlange Bearbeitungsdauer die Norm ist, bestätigen die Internetauftritte von Bund und Ländern sogar selbst. In der Lkw-Welt, auch diese inzwischen sehr schnelllebig geworden, sind solche Fristen auftragsgefährdend. Denn nicht jeder, der einen Riesentank oder eine Erntemaschine zu transportieren hat, will warten, bis die Ernte verfault ist. 

Genehmigung da – Ernte verfault

Das Genehmigungsverfahren klingt schon in der Kurzfassung nicht sehr hoffnungserweckend: „Also, ich stelle erstmal einen Antrag über VEMAGS. Da ist die Heimatbehörde vom Verkehrsamt, die leitet das dann weiter an die nächste Stelle, da muss ja jeder Landkreis abgefragt werden. Bei uns in Deutschland, da geht es von Landkreis zu Landkreis und jeder gibt da seinen Senf dazu, und wenn das alles durch ist, hat die Autobahn GmbH das letzte Wort“. 

Das Wort lautet öfters: Nein. Wellbrandt: „Und die sagen dann meistens okay, also das passt auf der Strecke nicht, weil da ist irgendwas, und dort ist irgendwas, und da fängt man wieder von vorne an, man muss eine Streckenänderung machen, beantragen, zuvor erstmal eine geänderte Strecke suchen, die geeignet ist.“ Alles neu, auch wenn nur ein paar Kilometer zu umfahren wären.

Genehmigungsmarathon unter Brücken

Manches scheint auch Auslegungssache. Wenn ein Schwertransport aus mehreren Fahrzeugen besteht, was Wellbrandt mit Kollegen des Öfteren zu absolvieren hat, warten natürlich Besonderheiten. „Momentan fahre ich manchmal Transporte von der Schweizer Grenze von Basel Richtung Frankfurt, und da ist bei Freiburg eine Stelle mit drei Brücken, die wir unterqueren, und wir haben mit 4 Meter 45 eine genehmigte Höhe, da brauchen wir für die 15 Kilometer: 3 Fahrzeuge, 6 Begleitfahrzeuge, 3 Bf 3 und dann nochmal 3 Bf 4 nur für den Bereich von den 3 Unterführungen - früher ist man da mit 4 Meter 50 drunter durchgebrettert, das hat keinen interessiert“. 

Wobei „Bf“ für „Begleitfahrzeug“ steht, das wiederum wie dessen Fahrer auch zahlreichen Bestimmungen zu entsprechen hat (etwa Wechselverkehrszeichenanlage (WVZ) auf dem Fahrzeugdach (meist mit LED-Anzeigen, z. B. „Überholen verboten“, „Achtung Schwertransport“), Funkanlage, Rundumkennleuchten und vieles mehr; das „Bf4” ist dagegen noch „technisch komplexer”. Steht geschrieben im „Verkehrsblatt-Dokument Nr. B 3422” des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI).

Der Schnellste gewinnt

Das Problem, wenn denn all dies abgearbeitet ist, sieht Spediteur Wellbrandt, abgesehen vom Drang auf Pünktlichkeit durch den Auftraggeber, in der natürlich beinharten Konkurrenz im Speditionsgewerbe. Denn wenn Wochen vergehen, ist es sehr wahrscheinlich, dass einige weniger um Gesetzestreue besorgte Wettbewerber die Güter längst transportiert haben. Die osteuropäischen Spediteure seien da vor allem im Geschäft, auch „wenn Bayern und die bayerische Polizei da inzwischen aktiver sind, auch nachts“, wie der Unternehmer beobachtet hat. 

Dennoch herrscht offenbar eine Art Wildwestmanier beim Kampf um Aufträge und die Gunst der Disponenten. Und wer kalkulieren kann, bei zehn Transporten ohne Genehmigung mit einem in die Kontrolle zu geraten, der hat am Ende genug verdient. Aber das ist eine andere Geschichte.

Wie unsinnig manche Regelungen sind, zeigten bereits Beispiele des Leiterbeauftragten und des Lieferketten-Wahnsinns. Daher ist unser Ansinnen, einen Bürokratieabbau anzustoßen.