Stegner zum Kanzlerwahl-Eklat: „Mit Freude hat niemand Merz gewählt“

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Erst im zweiten Wahlgang wurde Merz zum Bundeskanzler gewählt. Die Zitterpartie weckte Erinnerungen an den „Heide-Mörder“. Ralf Stegner über die Parallelen.

Berlin – Friedrich Merz (CDU) ist Bundeskanzler. Doch das war kein Selbstläufer. Erst im zweiten Wahlgang schaffte es der Unionspolitiker in das von ihm erträumte Amt. Der Vorgang rief am Dienstag (6. Mai) unweigerlich die Erinnerung an Heide Simonis (SPD) wach, die 2005 in vier Wahlgängen vergeblich versuchte, als Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein wiedergewählt zu werden. Mit dabei damals: Ralf Stegner.

Heute erlebte er den historischen Wahlkrimi um Merz als Bundestagsabgeordneter in Berlin mit. In der jüngsten Vergangenheit war der SPD-Politiker nicht gerade als Merz-Fan aufgefallen. Zeit für ein Gespräch über Abweichler, taktische Fouls in der Koalition und mögliche Vorteile für die Sozialdemokraten mit einem Kanzler Merz:

Eklat um Kanzlerwahl: Ralf Stegner über den Heide-Mörder und den Fall von Friedrich Merz

Herr Stegner, die Kanzlerwahl von Merz weckt Erinnerungen an den „Heide-Mörder“. Sie waren damals dabei. Wie blicken Sie darauf zurück?

Das war die schwerste Situation in meinem politischen Leben. Ich bin damals selbst verdächtig worden, aber zu Unrecht. Ich würde sowas niemals tun. Das verfolgt mich bis heute. Wenn Sie meinen Namen googeln, finden Sie immer noch wenig schöne Begleitwörter. Und das ist einfach nicht in Ordnung.

Spricht nach dem Kanzlerwahl-Eklat um Merz Klartext: Ralf Stegner (SPD).
Spricht nach dem Kanzlerwahl-Eklat um Merz Klartext: Ralf Stegner (SPD). © Kay Nietfeld/dpa

Wie denken Sie über die Abweichler bei der Merz-Wahl?

Das war hinterhältig. Das finde ich auch, obwohl die Auswirkung nicht so gravierend war wie bei Heide Simonis. Wenn man der Meinung ist, dass man die Wahl nicht mitgehen kann, muss man das klar sagen. 

Stegner zu den Querschüssen bei der Wahl von Merz zum Bundeskanzler

Vermuten Sie die Abweichler bei der SPD oder bei der Union?

Also, es hat niemand bei uns mit Freude den Merz gewählt. Aber allen war klar, dass wir das tun müssen. Denn es gibt ja keine demokratische Alternative, sondern sonst nur die Rechtsradikalen. 

Sie schließen also aus, dass die Querschüsse aus Ihren Reihen kamen?

Es gibt nichts, was dafür spricht. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen nach unserer Wahlniederlage gut verhandelt. Das war auch unseren Mitgliedern bewusst, wie die Zustimmung zum Koalitionsvertrag gezeigt hat. Es war allen klar, dass die SPD es nie zulassen darf, dass Rechtsradikale an Einfluss gewinnen. Dann muss man die einzige demokratische Möglichkeit auch nutzen. Und das haben wir getan mit der Unterstützung für Merz. 

Trotz aktueller Kritik: Warum die SPD Merz zum Kanzler gewählt hat

Nach der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD kurz vor der Bundestagswahl haben sie in TV-Runden mehrfach durchblicken lassen, dass sie sich kaum vorstellen können, Merz zum Kanzler zu wählen – wenn er sich nicht entschuldigt. Hat er sich entschuldigt?

Wir haben in der Koalitionsverhandlung darüber geredet, dass die gemeinsame Abstimmung mit den Rechtsradikalen nicht nur eine taktische Fehlleistung war, sondern ein gravierendes Foul, das überhaupt nicht geht. Dass mein Kanzlerkandidat bis zum Schluss nicht Friedrich Merz war, das wird nicht überraschen. Aber ich sage es noch einmal: Als Sozialdemokrat begreift man schon, dass es unsere Pflicht ist, dafür zu sorgen, dass es eine demokratische Mehrheit gibt. Und die gibt es eben nur mit der Union. Das ändert mein Urteil über Herrn Merz wenig, aber es führt dazu, dass ich in der Lage bin, meinen Verstand einzuschalten. 

Man darf kein taktisches Verhältnis zur Demokratie haben.

Und das heißt? 

Das heißt, dass wir Sozialdemokraten aus unserer Geschichte sehr genau wissen, dass man kein taktisches Verhältnis zur Demokratie haben darf und dass man mit demokratischen Parteien koalitionsfähig sein muss, bei aller Verschiedenheit. Inzwischen sehe ich sogar auch gewisse Vorteile mit einer Koalition mit Herrn Merz.

Ungewöhnliche Kanzlerwahl: Stegner hofft auf „Warnschuss“ für Merz

Inwiefern?

Es wird für uns als SPD vielleicht etwas leichter sein, in einem Bündnis mit einem  konservativen Unionsteam. In den letzten Großen Koalitionen haben die Leute immer gesagt: Ach, das hat doch die Frau Merkel gemacht – obwohl es von SPD-Ministern umgesetzt worden war. Das Problem werden wir mit Merz und Spahn nicht haben. Die Unterschiede werden klar bleiben.

Kanzler Merz muss jetzt raus aufs internationale Parkett und mit Politikern wie Trump verhandeln – wird er nach dem Wahldebakel angeschlagen ins Amt starten?

Das glaube ich nicht. Auf Dauer wird das kein Problem sein. Ich hoffe nur, dass er die ungewöhnliche Kanzlerwahl als Warnzeichen erkennt, dass er in seinem Stil nicht überdrehen sollte. Es ist immer gut zu wissen, dass man sich bei demokratischen Parteien am Ende des Tages einigen muss.

Herr Stegner, vielen Dank für das Gespräch. (jek)

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