Truppenabzug der USA droht: Lässt Trump wichtigen Verbündeten im Kriegszustand mit Nordkorea im Stich?
Südkoreas neuer Präsident träumt von Frieden mit dem Norden und geht erste Schritte. Doch ausgerechnet US-Präsident Trump könnte ihm einen Strich durch die Rechnung machen.
Wer in den vergangenen Monaten im Grenzgebiet zwischen den beiden Koreas unterwegs war, konnte sie hören: Lautsprecherdurchsagen, mit denen die Regierung im Süden der geteilten Halbinsel Tag und Nacht Popmusik und Informationen über das Leben jenseits der Grenze in den Norden trug. Seit Juni vergangenen Jahres ging das so, zu verstehen waren die Botschaften angeblich noch in der nordkoreanischen Großstadt Kaesong.
Ein Jahr später ist jetzt Schluss mit der Beschallung, Südkoreas neuer Präsident Lee Jae-myung ordnete Anfang dieser Woche ein Ende der Lautsprecherdurchsagen an. „Die Entscheidung wurde im Rahmen der Bemühungen getroffen, das Versprechen der Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den beiden koreanischen Staaten und des Friedens auf der koreanischen Halbinsel einzulösen“, zitierte die Nachrichtenagentur Yonhap am Mittwoch ein Armeesprecher. Am Tag darauf stellte offenbar auch der Norden seine Propagandabeschallung des Südens ein.
Frieden zwischen Nord und Süd – mit diesem Versprechen war Lee Jae-myung in den Wahlkampf gezogen. Wohl wissend freilich, dass das so einfach nicht werden wird, der demokratisch regierte Süden und die Diktatur im Norden befinden sich schließlich seit bald 75 Jahren im Kriegszustand. Das Ende der Lautsprecherbeschallung soll nun aber ein erster Schritt in diese Richtung sein, weitere sollen folgen. So will Lee zum Beispiel eine vom Norden gekappte Telefonhotline zwischen beiden Staaten reaktivieren. „Wir werden einen gemeinsamen innerkoreanischen Militärausschuss einrichten und die Kommunikationskanäle wiederherstellen, um die innerkoreanischen Risiken, einschließlich der militärischen Spannungen, zu bewältigen“, schrieb Lee im Mai bei Facebook. Wie genau das gehen soll, ließ er allerdings offen.
Im Ukraine-Krieg sind Nordkorea und Russland eng zusammengerückt
Es wäre ein dramatischer Kurswechsel in Seoul. Lees Vorgänger Yoon Suk-yeol, der nach der Ausrufung des Kriegsrechts im vergangenen Dezember aus dem Amt entfernt wurde, hatte in seinen gut drei Jahren als Präsident einen harten Kurs gegenüber Pjöngjang vertreten. Statt den Dialog zu suchen, prangerte er die Menschenrechtsvergehen des abgeschotteten Kim-Regimes an, außerdem erneuerte er das Bündnis mit den USA und ging in großen Schritten auf den Nachbarn Japan zu – alles, um Nordkorea einzuhegen.
Mit begrenztem Erfolg allerdings. Denn Nordkorea rüstet immer weiter auf, testet regelmäßig neue Waffen, und mit Wladimir Putin hat Kim Jong-un einen mächtigen Partner an seiner Seite. Im Ukraine-Krieg hat sich Nordkorea auf die Seite Russland geschlagen, Kim beliefert das Land mit Waffen und Munition und schickt seit ein paar Monaten sogar Soldaten an die Front.
Auf die Wahl Lees zum neuen Präsidenten hat Nordkorea durch die Parteizeitung Rodong Sinmun bislang nur mit einer knappen Zwei-Satz-Meldung reagiert, die Annäherungsversuche aus dem Süden blieben bislang unbeantwortet. In Pjöngjang scheint man abzuwarten, wie ernst es der neue Mann in Seoul wirklich meint.

Der muss, kaum im Amt, feststellen: Nicht nur Kim Jong-un ist ein unberechenbarer Faktor, wenn es um die Stabilität der koreanischen Halbinsel geht. Auch US-Präsident Donald Trump fährt seit Monaten einen Schlingerkurs, der in Seoul viele Beobachter ratlos zurücklässt. Die USA sind eigentlich der engste Verbündete Südkoreas, seit dem Koreakrieg (1950-53) hat Washington Zehntausende Soldaten im Süden der koreanischen Halbinsel stationiert. Sie sind, zusammen mit dem atomaren Schutzschirm der USA, die wichtigste Abschreckung Südkoreas gegen einen Angriff der Nuklearmacht Nordkorea. Doch die Abschreckung verliert an Substanz, seitdem Trump immer wieder laut überlegt, die amerikanischen Soldaten teilweise abzuziehen.
Bedrohung durch Nordkorea: Ziehen die USA Tausende Soldaten aus Südkorea ab?
Schon in der Vergangenheit hatte sich Trump darüber beschwert, Seoul zahle nicht genug für die Stationierung der amerikanischen Truppen. Vor ein paar Wochen berichtete dann das Wall Street Journal über angebliche Überlegungen der US-Regierung, 4500 Soldaten aus Südkorea abzuziehen. Das Pentagon wies den Bericht zwar umgehend zurück, der Schaden aber war angerichtet. „Dies wird sowohl bei den Südkoreanern als auch bei den Nordkoreanern Fragen hinsichtlich der langfristigen Glaubwürdigkeit des amerikanischen Verteidigungsengagements aufwerfen“, sagt Victor Cha, Korea-Experte bei der US-Denkfabrik CSIS.
Hinzu kommt: Auch in Handelsfragen machen die USA Druck auf ihren Verbündeten. Mit seinen Strafzöllen hat Trump vor allem südkoreanische Stahl- und Automobilexporte ins Visier genommen, letztere fielen im Mai um 32 Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Im April hatte Trump erklärt, bei den Zollverhandlungen mit Südkorea solle es auch „die Bezahlung für den großartigen militärischen Schutz, den wir bieten“, gehen. Das klang sehr nach Schutzgelderpressung. In Pjöngjang dürfte man die Verunsicherung, die sich südlich der Grenze breitgemacht hat, genüsslich zur Kenntnis nehmen.

Präsident Lee, der sich selbst als außenpolitischen „Pragmatiker“ bezeichnet, pflegt zu den USA ein ambivalentes Verhältnis. „Das Bündnis zwischen Korea und den USA ist wichtig. Wir müssen es bewahren und weiter ausbauen“, sagte er Mitte Mai bei einem Wahlkampfauftritt. Gleichzeitig will er auch zu China gute Beziehungen – dem größten geopolitischen und wirtschaftlichen Rivalen der USA. In einem Telefonat mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping forderte er am Dienstag, die Volksrepublik müsse sich stärker für eine Denuklearisierung Nordkoreas einsetzen. Im Gegenzug hatte Lee mehrfach signalisiert, sich aus dem Konflikt um Taiwan herauszuhalten; China beansprucht den demokratisch regierten Inselstaat für sich.
Trump könnte sich erneut mit Nordkoreas Diktator Kim treffen
„Wir müssen uns von einer möglichen China-Taiwan-Eskalation fernhalten. Wir können mit beiden auskommen“, hatte Lee etwa im Wahlkampf erklärt. In Washington stoßen solche Aussagen auf wenig Begeisterung, die US-Regierung hat einen Schutz Taiwans vor einem chinesischen Angriff zur obersten Priorität erklärt. Der angeblich geplante Abzug Tausender US-Soldaten aus Südkorea dürfte auch mit dieser Neuausrichtung zusammenhängen – nicht mehr der Schutz Südkoreas vor dem nördlichen Nachbarn ist wichtigstes Ziel der USA in der Region, sondern die Eindämmung Chinas. Da dürfte es auch kaum helfen, sollte Seoul sich bereiterklären, mehr für die Stationierung der amerikanischen Truppen zu bezahlen.
Lees Nordkorea-Kuschelkurs hingegen dürfte Donald Trump gefallen: Denn der US-Präsident hat bereits angedeutet, dass er sich erneut mit Diktator Kim treffen will – obwohl drei Gipfel mit Kim in seiner ersten Amtszeit ohne jedes Ergebnis zu Ende gegangen waren. Damals jedenfalls war den Treffen ein Tauwetter zwischen den beiden Koreas vorausgegangen. Ob Kim zu einem weiteren Treffen bereit ist, ist unklar; Trump müsste dem Diktator wohl einiges bieten, um ihn aus Pjöngjang zu locken. In Seoul ist deshalb die Sorge groß, der US-Präsident könnte hinter dem Rücken der südkoreanischen Regierung einen Deal mit dem Diktator suchen – und Nordkorea zum Beispiel als Atommacht anerkennen. Für Kim Jong-un wäre es ein überwältigender diplomatischer Sieg, für Südkoreas Lee Jae-myung kurz nach Amtsantritt eine dramatische Niederlage.