Südkorea im Kriegsrecht-Chaos: Sechs fatale Stunden drängen Präsident Yoon an den Rand des Abgrunds
Aufregung in Südkorea. Präsident Yoon ruft dort das Kriegsrecht aus – allerdings nur für sechs Stunden. Seitdem herrscht politisches Chaos im Land.
Seoul – Es brauchte nur eine einzige Entscheidung und sechs Stunden später ist im politischen Südkorea kaum mehr etwas, wie es vorher war. Völlig überraschend rief Präsident Yoon Suk Yeol am Dienstag das Kriegsrecht aus – erstmals seit dem Übergang zur Demokratie Ende der 1980er-Jahre. Er begründete den radikalen Schritt zunächst in einer Fernsehansprache mit dem Schutz vor Nordkorea. Eigentlicher Hintergrund war allerdings wohl ein Streit über den eigenen Staatshaushalt.
Nur sechs Stunden später stimmte das Parlament dafür, das Kriegsrecht wieder aufzuheben. Zuvor hatte Yoon argumentiert, die Opposition habe ohne jede Rücksicht auf das „Auskommen“ der Bevölkerung die Regierung „gelähmt“. „Um ein liberales Südkorea vor den Bedrohungen durch Nordkoreas kommunistische Truppen zu schützen und um anti-staatliche Elemente zu eliminieren (...), rufe ich hiermit das Kriegsrecht aus“, sagte er. Der Präsident nannte keine konkreten Bedrohungen. Die beiden Bruderstaaten befinden sich jedoch seit dem Ende des Korea-Krieges 1953 formell nach wie vor im Kriegszustand. Die Beziehungen beider Länder befinden sich derzeit auf einem Tiefpunkt.
Chaos in Südkorea: Präsident Yoon ruft Kriegsrecht aus – für knapp sechs Stunden
Yoon rief das Kriegsrecht inmitten eines Streits seiner PP-Partei mit der größten Oppositionskraft Demokratische Partei über das Haushaltsgesetz für kommendes Jahr aus. Die Abgeordneten der Opposition, die im Parlament die Mehrheit haben, hatten vergangene Woche nur eine deutlich abgespeckte Fassung des Haushaltsentwurfs im zuständigen Parlamentsausschuss gebilligt.
Das Parlament sei „ein Zufluchtsort für Kriminelle geworden, ein Hort für eine legislative Diktatur, die das juristische und administrative System lähmen und unsere liberale demokratische Ordnung stürzen will“, sagte Yoon in seiner Ansprache dazu .Er warf der Opposition vor, Gelder für die Kernaufgaben des Staates wie etwa die Bekämpfung der Drogenkriminalität und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zusammenzustreichen und damit einen „Zustand des Chaos bei der öffentlichen Sicherheit“ zu schaffen.
USA und Russland „besorgt“ wegen Kriegsrecht in Südkorea – Proteste vor dem Parlament
Doch seit der öffentlichen Ausrufung herrscht Chaos. Nicht nur, weil die Nachricht global Aufsehen erregte – die USA äußerten etwa „große Besorgnis“ über die Entwicklungen, ein Sprecher der Vereinten Nationen äußerte sich ähnlich. Sogar Russland, enger Unterstützer Nordkoreas, nannte den Schritt „besorgniserregend“. Auch im eigenen Land gingen die Alarmglocken an. So wurde nach der Ausrufung das Parlament am späten Dienstagabend zunächst abgeriegelt. Soldaten drangen in das Gebäude ein, Hubschrauber landeten auf dem Dach. Alle politischen Aktivitäten seien untersagt, erklärte der Befehlshaber des Kriegsrechts, Park An Su. Alle Medien und Publikationen würden der Kontrolle des Kriegsrechtskommandos unterliegen.
Vor dem Parlamentsgebäude kam es sofort zu Demonstrationen gegen die Ausrufung des Kriegsrechts. „Verhaftet Yoon Suk Yeol“, skandierten die versammelten Menschen. Banner mit „Nein zum Kriegsrecht“ oder „Diktatur beenden“ waren zu sehen. Bewaffnete Soldaten blockierten Zufahrtsstraßen und bildeten eine Kette ums Parlament, um Abgeordnete an der Betretung des Gebäudes zu hindern.
„Illegal“ und „verfassungswidrig“: Abgeordnete stimmen einstimmig für Aufhebung des Kriegsrechts in Südkorea
190 Abgeordnete gelangten später in der Nacht in das Parlamentsgebäude und votierten einstimmig für die Aufhebung des Kriegsrechts, wie Parlamentspräsident Woo Won Shik mitteilte. Die südkoreanische Verfassung sieht vor, dass das Kriegsrecht aufgehoben wird, wenn eine Mehrheit im 300 Sitze fassenden Parlament dies verlangt.
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Das Militär erklärte einem Rundfunkbericht zufolge jedoch, es werde das Kriegsrecht solange aufrechterhalten, bis dies vom Präsidenten aufgehoben werde. Oppositionsführer Lee Jae Myung verurteilte die Ausrufung des Kriegsrechts als „illegal“ und „verfassungswidrig“. Lee, der bei der Wahl im Jahr 2022 knapp gegen Yoon verloren hatte, forderte die Bürger auf, sich ihm im Kampf gegen das Kriegsrecht anzuschließen. Yoon kündigte schließlich nach nur knapp sechs Stunden an, der Bitte der Nationalversammlung nachzukommen und das Kriegsrecht wieder aufzuheben. Das Militär zog sich daraufhin zurück. Die Auswirkungen des Bebens bleiben aber spürbar.
Beben in Südkorea: Präsident Yoon am Abgrund – Antrag auf Amtsenthebungsverfahren gestellt
Denn besonders die politische Zukunft von Präsident Yoon scheint nun mehr als ungewissen. Der ohnehin in Umfragen schon unbeliebte Präsident sieht sich mit starken Rücktrittsforderungen konfrontiert. Yoons ranghohe Berater sollen nach dem Chaos laut einem Bericht der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap geschlossen ihren Rücktritt angeboten haben. Die Demokratische Partei (DP), wichtigste Oppositionspartei, kündigte an, Präsident Yoon wegen des „Aufruhrs“ verklagen zu wollen.
Der wichtigste Gewerkschaftsverband des Landes rief am Mittwoch zu einem „unbefristeten Generalstreik“ bis zum Rücktritt des Präsidenten auf. Auch der Chef von Yoons Regierungspartei, Han Dong Hoon, sprach von einer „tragischen Situation“ und gab an, alle Verantwortlichen müssten „streng zur Rechenschaft gezogen werden“. Später wurde bekannt, dass die Opposition einen Antrag auf die Amtsenthebung von Präsident Yoon Suk Yeol gestellt hat. Demnach könnte der Antrag bereits am Freitag zur Abstimmung gestellt werden. Politisch ist der Druck auf Yoon wohl jedenfalls höher denn je. (han/AFP)