Scholz will nach Ampel-Aus Vertrauensfrage stellen: So funktioniert der Vorgang

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Nach dem Ampel-Aus kündigte Kanzler Scholz Neuwahlen für 2025 an. Dafür muss der Kanzler die Vertrauensfrage im Bundestag stellen. So funktioniert der Vorgang.

Berlin – Nach dem Zerbrechen der Ampel-Koalition am Mittwochabend steht Deutschland vor Neuwahlen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte bei seiner Rede an, dass man die Weichen für vorgezogene Neuwahlen im März 2025 stellen werde. Der Weg dorthin führt für den Bundeskanzler über die Vertrauensfrage. Eben diese muss der Kanzler im Bundestag stellen, um Neuwahlen auf den Weg zu bringen. Doch bereits jetzt gibt es Streitigkeiten über den Ablauf und einen möglichen Zeitpunkt für die Vertrauensfrage.

Wirtschaftsverbände fordern ein schnelles Datum für die Vertrauensfrage im Bundestag.
Nach dem Ampel-Aus werden die Stimmen nach einer Vertrauensfrage und Neuwahlen immer lauter. © IMAGO/Frederic Kern

Scholz will nach Ampel-Aus Vertrauensfrage stellen – der Ablauf des Vorgangs

Mit der Vertrauensfrage nach Artikel 68 des Grundgesetzes kann sich der Bundeskanzler vergewissern, ob sein politischer Kurs noch von der Mehrheit des Bundestags unterstützt wird. Scheitert die Vertrauensfrage – wird der Antrag also von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt – kann der Bundeskanzler dem Bundespräsidenten innerhalb einer Frist von 21 Tagen vorschlagen, den Bundestag auflösen. Dann würden Neuwahlen anstehen. Die Abstimmungsart ist dabei im Grundgesetz nicht geregelt. In der Regel wird aber namentlich über die Vertrauensfrage abgestimmt.

Im Falle von Scholz würde der Kanzler die Vertrauensfrage mutmaßlich bewusst mit der Absicht stellen, sie zu verlieren. Damit könnten dann geordnete Neuwahlen auf Bundesebene eingeleitet werden. Historisch gesehen würde Scholz damit in die Fußstapfen des letzten SPD-Bundeskanzlers treten. Gerhard Schröder (SPD) stellte im Mai 2005 die Vertrauensfrage im Bundestag, um Neuwahlen zu erreichen. Für Schröder der Anfang vom Ende. Bei den Wahlen unterlag die SPD knapp der CDU. Die Wahl leitete die Ära von Angela Merkel ein. Insgesamt wurde die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag bereits fünfmal gestellt.

Vertrauensfrage im Bundestag: Prozess kam bisher fünfmal vor

Datum Bundeskanzler Vertrauen ausgesprochen?
20. September 1972 Willy Brandt (SPD) nein
5. Februar 1982 Helmut Schmidt (SPD) ja
17. Dezember 1982 Helmut Kohl (CDU) nein
16. November 2001 Gerhard Schröder (SPD) ja
1. Juli 2005 Gerhard Schröder (SPD) nein

Konstruktives Misstrauenvotum: So kann der Bundestag direkt einen neuen Kanzler wählen

Eine weitere Möglichkeit für den Bundestag, dem Kanzler das Vertrauen zu entziehen, ist das konstruktive Misstrauensvotum nach Artikel 67 im Grundgesetz. Dabei kann eine Mehrheit der Abgeordneten dem Bundeskanzler das Vertrauen entziehen, wenn sie sich gleichzeitig auf einen Nachfolger einigen können. Der Bundespräsident muss diesem Ersuchen entsprechen. Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen 48 Stunden liegen. In der deutschen Geschichte kam das konstruktive Misstrauensvotum nur einmal zum Einsatz, als der Bundestag 1982 Helmut Schmidt das Vertrauen entzog und Helmut Kohl zum neuen Bundeskanzler wählte.

Vertrauensfrage nach Ampel-Aus: Scholz und Merz streiten über Termin

Im Falle der Ampel-Koalition herrscht auch Uneinigkeit darüber, wann Scholz die Vertrauensfrage stellen soll. Der Kanzler hatte den Vorgang für Januar 2025 angekündigt – was Neuwahlen im März bedeuten könnte. CDU-Chef Friedrich Merz hatte den Kanzler jedoch dazu aufgefordert, bis spätestens 15. November die Vertrauensfrage zu stellen, um Neuwahlen schneller auf den Weg bringen zu können.

Auch mehrere Wirtschaftsverbände haben einen früheren Termin für die Vertrauensfrage im Parlament gefordert. „Wir brauchen jetzt schnell Klarheit. Eine monatelange Hängepartie und politischen Stillstand können wir uns nicht leisten“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup, am Donnerstagmorgen. In diesen „herausfordernden Zeiten brauchen wir eine handlungsfähige und lösungsorientierte Bundesregierung“. Es sei „richtig, Neuwahlen den Weg zu ebnen“, fuhr der VCI-Hauptgeschäftsführer fort. „Sie müssen aber nun zum frühestmöglichen Zeitpunkt stattfinden.“ Für die Erneuerung des Wirtschaftsstandorts Deutschland dürfe keine Zeit verloren werden.

Neuwahlen stehen nach Ampel-Aus bevor – Wirtschaftsverbände drängen auf Vertrauensfrage

Auch der Außenhandelsverband BGA forderte nach dem Ampel-Aus Neuwahlen, „und zwar so schnell wie möglich“. Jeder weitere Tag mit dieser Bundesregierung sei ein verlorener Tag. Deutschland stecke fest, „mitten in einem grundlegenden strukturellen Umbruch“. Der Verband der Familienunternehmer äußerte sich ähnlich. „Jede Woche länger mit einer politisch gelähmten Regierung ist in dieser Wirtschaftskrise ein schwerer Fehler“, erklärte Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse daher schon vor dem 15. Januar den Weg für Neuwahlen frei machen.

Ähnlich sieht es auch Emanuel Richter, Politikwissenschaftler der RWTH Aachen. Nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) durch Kanzler Scholz könne ein rasches Ende der Ampelregierung kommen. „Das ist eigentlich das Aufkündigen der Koalition“, erklärte Richter im Fernsehsender phoenix. Im Anschluss wären eine Minderheitsregierung oder das Stellen der Vertrauensfrage durch Regierungschef Scholz die wahrscheinlichsten Szenarien.

Scholz will Vertrauensfrage stellen: Minderheitsregierung nach Ampel-Aus kaum möglich

Eine Minderheitsregierung sei jedoch kaum handlungsfähig. „Da würde die Union vermutlich nicht mitspielen“, so Richter, denn bei jedem Gesetzesprojekt wären SPD und Grüne auf Unterstützung angewiesen. Am wahrscheinlichsten seien jetzt Neuwahlen. „Es wird dann einen Wahlkampf geben, der extrem kurz ist und der vermutlich dann auch sehr kontrovers ist und mit Streitereien belastet sein wird“, mutmaßte der Politikwissenschaftler. Bei einem zeitnahen Wahltermin müsse man jedoch davon ausgehen, dass die Parteien in der Mitte nicht gestärkt würden. „Man muss dann damit rechnen, dass die radikalen Kräfte gestärkt werden und dann ganz schwierige Mehrheitsverhältnisse entstehen“, meinte Richter.

Scholz hatte am Mittwoch Bundesfinanzminister Lindner im Streit um die Haushalts- und Wirtschaftspolitik entlassen und inzwischen für den 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag angekündigt. Bis Ende März könnte es dann dem Kanzler zufolge Neuwahlen geben. Bis dahin will er in einer Minderheitsregierung mit den Grünen weiterregieren. (erpe/dpa/AFP)

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