Europäische Länder mit Panzer-Deal gegen Putin – „Europa und Ukraine sicherer machen“

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Nachschub: Schweden liefert neue CV 90-Schützenpanzer. Deren Eigenbau soll die Konkurrenzmodelle auf die Plätze verweisen. Tatsächlich ist die Unterstützung von gepanzerten Mannschaftstransportern auch im Gefecht mit russischen Kampfpanzern für die Ukraine überlebenswichtig. © Genya Savilov / AFP

Heavy Metal aus Schweden: Die Ukraine bekommt neue Schützenpanzer. Der CV90 zeigt der Nato, wie sie Kriegstüchtigkeit auf die Kette kriegen könnte.

Stockholm – „Wir brauchen alles, aber Schützenpanzer sind wahrscheinlich das, was wir am dringendsten brauchen“, schrieb Franz-Stefan Gady im März vergangenen Jahres über die Aussage eines Offiziers einer Mechanisierten Brigade der Ukraine. Der Analyst des Thinkank International Institute for Strategic Studies (IISS) machte darauf aufmerksam, dass mit Glamour nichts zu gewinnen wäre – so unabdingbar die Lieferung imageträchtiger westlicher Kampfpanzer gegen die Invasionsarmee Wladimir Putins auch war und bleibt; die Ukraine muss ihre Truppen an die Front bekommen. Jetzt wollen Schweden und Dänemark den Verteidigern auf die Sprünge helfen.

„Diese Investitionen werden für mehr schwedische Kampffahrzeuge sorgen, was Europa und insbesondere die Ukraine sicherer machen wird“, sagte Schwedens Verteidigungsminister Paul Jonson laut einer Pressemitteilung seines Ministeriums – demnach hätten das schwedische Amt für Rüstung und Wehrtechnik (Försvarets materielverk) und dessen dänisches Gegenstück Forsvarsministeriet Materiel- og Indkøbsstyrelsen) aktuell einen Vertrag mit BAE Systems Hägglunds unterzeichnet über eine koordinierte Beschaffung von 205 Stridsfordon 90 beziehungsweise Combat Vehicle 90 (CV 90) in der CV9035MkIIIC-Version.

Russlands Albtraum: Ukraine erhält 40 zusätzliche CV90 – ein modernes Modell der Spitzenklasse

Von diesen 205 Kampffahrzeugen würden 115 nach Dänemark geliefert und 50 als Ausgleich für frühere Spenden an die Ukraine für Schweden beschafft. Die restlichen 40 Fahrzeuge seien gedacht für die Lieferung in die Ukraine und würden durch Dänemark und Schweden finanziert. Laut dem schwedischen Verteidigungsministerium sei der CV9035MkIIIC mit der neuesten Turmlösung ausgestattet und biete der Besatzung eine verbesserte Übersicht über die Umgebung, erhöhte Mobilität sowie Schutz und Wirksamkeit gegen feindliche Ziele.

„Wenn man bedenkt, wie selten es in der Ukraine zu Panzer-gegen-Panzer-Kämpfen kommt und dass beide Seiten diese meist als eine Art mobile Artillerie einsetzen, könnten Schützenpanzer westlicher Bauart sogar eine größere Wirkung haben als Panzer.“

Der mit sechs Infanteristen bestückte Schützenpanzer heize Russlands Armee inzwischen gehörig ein, berichtete Anfang dieses Jahres die Kyiv Post: Im Gegensatz zu Waffenlieferungen einiger westlicher Länder an die Ukraine, die teilweise veraltete Ausrüstung aus der Zeit des Kalten Krieges beinhalteten, gilt Schwedens CV9040C als ein modernes Modell der Spitzenklasse mit Rundumpanzerung, Laserschutz und verbesserter Klimaanlage – dieser Typ bildet das speziell für Auslandseinsätze optimierte Fahrzeug der Baureihe.

Der CV90 ist ein rund 23 Tonnen schwere Schützenpanzer mit einer 40-Millimeter- beziehungsweise 30-Millimeter-Kanone sowie einem weiteren Maschinengewehr im Kaliber 7,62 Millimeter. Mithilfe des 550 PS starken Motors soll das Fahrzeug auf bis zu 70 km/h beschleunigen können. Mehr als 1.300 Fahrzeuge sind in der Nato sowie der Schweiz im Einsatz. Insgesamt zehn Länder haben sich für dieses Fahrzeug entschieden.

Der Schrecken für Putins Soldaten: Starke abschreckende Wirkung auf feindliche Streitkräfte

Die Entwicklung dieses Schützenpanzers begann zehn Jahre vor dem deutschen Puma; wohl auch daher scheint er das ausgereiftere Fahrzeug zu sein. Der CV90 hat 15 einsatzfähige Varianten im täglichen Einsatz. Das beschert dem CV90 den Ruf, ein sehr effektives, robustes Kampffahrzeug mit einer sehr hohen Verfügbarkeit darzustellen; die Plattform ist schrittweise gereift. Produziert wird er vom britischen Rüstungskonzern BAE Systems, beziehungsweise seiner schwedischen Tochterfirma.

Die Präsenz gepanzerter Fahrzeuge auf dem Schlachtfeld habe grundsätzlich eine starke abschreckende Wirkung auf feindliche Streitkräfte, schreibt der Panzerfahrzeug-Hersteller Milkor auf seiner Firmen-Website. Ihre imposante Größe und ihre mächtige Bewaffnung böten einen psychologischen Vorteil und würden Angst und Zögern in den Reihen des Gegners säen. Dies könne eigenen oder befreundeten Streitkräften in Kampfsituationen einen Vorteil verschaffen. „Gleichzeitig müssen wir unsere Erwartungen daran dämpfen, was ein kombinierter Krieg, der auf Panzern und Schützenpanzern basiert, für die Ukraine erreichen kann“, schreibt Militäranalyst Gady.

Bisher haben die Panzerfahrzeuge der Verteidiger den Ukraine-Krieg in die Länge gezogen und für die Aggressoren verteuert; eine Entscheidung allerdings bleiben sie schuldig; sie sind lediglich ein einzelnes Puzzle-Teil erfolgreicher Boden-Offensiven. Ähnlich wie auch bei der Bundeswehr mit dem Marder, dem Puma oder dem GTK-Boxer steigt der Nutzen des Fahrzeug in der Symbiose zwischen eigener Feuerkraft, Mobilität und dem Ausbildungsgrad abgesessener Infanterie-Kräfte. Die Bundeswehr-Doktrin beispielsweise spricht vom Gefecht der verbundenen Waffen, also dem koordinierten Miteinander von schweren Panzern, Schützenpanzern mitsamt Grenadieren und weitreichender Artillerie. 

Mehr oder weniger schlichte Verbrauchsware: Immer noch zu wenige Panzer im Ukraine-Krieg

Insofern sind gepanzerte Transporter mehr oder weniger schlichte Verbrauchsware – das legt auch David Axe nahe. Der Autor des Magazins Forbes hatte Mitte des Jahres bilanziert, dass die Ukraine während des Krieges rund 2.000 Mannschaftstransportwagen und Kampffahrzeuge geliefert bekommen, aber davon mindestens die Hälfte auch wieder verloren hätte. Da der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Armee aber weiterhin vergrößern muss, fehlen ihm Transportmittel; vor allem, um Reserven flugs zwischen den Brennpunkten hin und her zu verlegen.

Das Problem ist, dass sich die ukrainischen Streitkräfte seit 2022 ungefähr verdoppelt haben. Die 2.000 sowjetischen Schützenpanzer, die die Ukrainer vor dem Krieg hatten, reichten vielleicht für 50 Brigaden, aber nicht annähernd für 100 Brigaden. Zählt man 2.000 gespendete Fahrzeuge hinzu und zieht 1.000 verlorene Fahrzeuge ab, kommt man auf ein Defizit von 1.000 Fahrzeugen“, schreibt Axe. Die schwedische Lieferung ist insofern qualitativ so willkommen wie quantitativ enttäuschend.

Beispielhaft: CV 90 scheinbar ein gutes Beispiel dafür, was die Nato leisten könnte, wenn sie nur wollte

Der Abnutzungskrieg, wie er sich am Ende des dritten Kriegsjahres darstellt, wird auch die neuen schwedischen Schützenpanzer nach und nach aufreiben. Nichtsdestotrotz ist der CV90 scheinbar ein gutes Beispiel dafür, was die Nato leisten könnte, wenn sie nur wollte. Ende Dezember 2022 hatte das Fachmagazin Soldat & Technik über den Zustand des neuen deutschen Schützenpanzers Puma berichtet, dass dieses in vielerlei Hinsicht komplexe Waffensystem aufgrund struktureller Unzulänglichkeiten weit von einer „Kaltstartfähigkeit“ oder generellen Einsatzfähigkeit der Bundeswehr entfernt ist.

Ebenfalls nahezu überholt ist beispielsweise der britische Schützenpanzer Warrior, wie verschiedene Medien in den vergangenen Jahren berichtet hatten. Laut dem Magazin Defense News hatte in Großbritannien offenbar niemand mehr mit einem umfänglichen Landkrieg gerechnet und die Modernisierung der verbliebenen knapp 600 Schützenpanzer hinausgezögert. Im kommenden Jahr soll die gesamte Flotte ohnehin ihr Außerdienststellungsdatum erreicht haben, wie das Magazin Defense Technology schreibt. Das Nebeneinander verschiedener nationaler Systeme zieht sich offenbar durch alle Waffengattungen.

Manko der Nato: Eine Rüstungsindustrie, die nur an ihren Profit denkt

Sollte die Nato also als ein gemeinsamer Verteidigungsbund der Russischen Föderation entgegentreten müssen, werden vor allem die Logistiker diesen Krieg entscheiden. Fehlendes vorausschauendes Denken sowie eine jeweils nationale Rüstungsindustrie, die nur auf ihren Profit ziele, seien eine böse Gemengelage, wie Michael Fredenburg im August geurteilt hat. Für den US-Thinktank Responsible Statecraft hat der Analyst die Westmächte gegeißelt für ihre betriebswirtschaftliche Ausrichtung, für die demnach die einzelbetriebliche Marktmacht und der betriebliche Gewinn das Handeln bestimmten. 

Bestätigt wird das beispielsweise für die europäische Luftverteidigung – aus der European Sky-Shield-Initiative (ESSI) hält sich beispielsweise Frankreich strikt heraus, weil Paris kritisiert, dass auch Technik aus Israel und den USA eingekauft würde. Von einer rüstungspolitischen Union beziehungsweise von einer einheitlichen Armee ganz weit entfernt, erscheint Europa aktuell auch dem Politikwissenschaftler Hans Kundnani: „Trotz des Hypes um ein ‚geopolitisches Europa‘ bleibt die Rolle der EU in Sachen Verteidigung hauptsächlich eine wirtschaftliche, sei es durch die Koordinierung von Sanktionen oder durch die Förderung der Rüstungsindustrie in den EU-Mitgliedstaaten“, schreibt er für den Thinktank Friedrich-Ebert-Stiftung.

Der Ukraine allerdings wird das egal sein – in den aktuellen Gefechten zählt auch die kleinste Handreichung; und die ist in Form des CV90 eine echte Verstärkung, wie Franz-Stefan Gady behauptet: „Wenn man bedenkt, wie selten es in der Ukraine zu Panzer-gegen-Panzer-Kämpfen kommt und dass beide Seiten diese meist als eine Art mobile Artillerie einsetzen, könnten Schützenpanzer westlicher Bauart sogar eine größere Wirkung haben als Panzer.“

Auch interessant

Kommentare