Putins nächster Verlust: Russischer Schützenpanzer brennt nach Beschuss eigener Kameraden

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Die Ukraine macht Druck, und Putins Soldaten werden panisch. Bei Kursk hat eine Schützenpanzer-Crew ein eigenes Fahrzeug vernichtet. Alltag im Krieg.

Sudscha – „Krieg wird in Lehrbüchern oft als wohlorganisiertes, wenn auch gewalttätiges Manöver dargestellt, bei dem gegnerische Einheiten versuchen, taktische und strategische Ziele zu erreichen“, schreibt Charles Schrader. Dass auf beiden Seiten mit ziemlicher Sicherheit Verluste durch die eigenen Streitkräfte zu beklagen seien, werde nicht als selbstverständlich vorausgesetzt, folgert der Oberstleutnant der US-Armee in seiner Untersuchung zu „Amicicide“, also dem Akt, einen Freund zu töten. Im Ukraine-Krieg ein alltägliches Vorkommnis – wie jetzt wieder in Kursk zwischen zwei Schützenpanzern von Wladimir Putins Invasionsarmee.

Das Magazin Forbes berichtet aktuell davon, dass sich in den Kämpfen um Kursk zwei russische Schützenpanzer gegenseitig beschossen haben, weil ein russischer Schützenpanzer einen ukrainischen Lkw ins Visier genommen hatte und dabei wohl ins Schussfeld eines getarnten russischen Schützenpanzers geraten war. „Die Lage an der Front bleibt unbeständig“, schreibt die ukrainische Analysegruppe Frontelligence Insight, auf die sich Forbes bezieht.

Alltag seit Kriegsbeginn: Bis zu 60 Prozent der Verluste durch Eigenbeschuss

Keine ungewöhnliche Situation über den gesamten Kriegsverlauf hinweg. Im November des ersten Kriegsjahres hatte der Sender n-tv gemeldet, dass bis zu 60 Prozent der Verluste russischer Truppen seit dem Ende der russischen Offensivoperationen in Mariupol Mitte Mai auf das Konto eigener Truppen gegangen sein könnten – diese Vermutung hatte zuerst der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) in seinem damaligen Lagebericht geäußert. Allerdings fehlen häufig die belastbaren Beweise.

„Problematischer als Verzögerungen bei der Produktion ein­zel­ner Waffensysteme ist der unzureichende Grad an Digitalisierung von Führungs-, Aufklärungs- und Kommunikationssystemen in den rus­sischen Streit­kräften.“

Durch Beschuss eigener Truppen zu sterben, gehört tatsächlich zum Alltag in einem Krieg – abgeschossene Granaten oder Patronen machen keinen Unterschied. Den Grund schiebt Christoph Birnbaum im Deutschlandfunk dem „Feldmarschall Zufall“ zu: „Der militärische Denker von Clausewitz sprach im 19. Jahrhundert immer vom ,Nebel des Krieges‘. Und meinte damit die vielen Unwägbarkeiten, die sich auf dem Schlachtfeld ereignen und jede noch so gute Planung über den Haufen werfen können. Doch auch heute, im Zeitalter der Joystick-Krieger, ,smart bombs‘ und ferngelenkten Drohnen, reduziert sich der Krieg in seinen extremen Momenten – beim Kampf Mann gegen Mann – zuallererst immer auf eins: das Chaos.“

Geschrieben hat Birnbaum das vor mehr als zehn Jahren – in der Ukraine gilt das unverändert. Für beide Seiten. Forbes stützt sich auf ein Video auf X, das eine hitzige Gefechtssituation zeigt in der Stadt Russkaja Konopelka, sechs Kilometer östlich von Sudscha – also dort, wo die ukrainischen Invasions-Kräfte auf russischem Territorium Fuß gefasst haben wollen. Mindestens ein gepanzerter ukrainischer Kozak-2 rollt in die Stadt hinein, so Forbes. Möglicherweise eine Patrouille oder ein Transport der 54. oder der 61. Mechanisierten Brigade, wie das Magazin mutmaßt – jedenfalls sollen das die nächstgelegenen Verbände der Ukraine in dieser Region sein.

Ein russischer BMP-3-Schützenpanzer fährt durch offenes Gelände.
„Amicicide“, „friendly fire“, Eigenbeschuss: In der Ukraine soll jetzt ein russischer BMP-3-Schützenpanzer (Archivfoto) bei Kursk einen BMP-2 vernichtet haben. Aufgrund des Drucks des Feindes oder schlechter eigener Kommunikation gehört das Phänomen zum Alltag jedes Krieges. © IMAGO/Russian Defence Ministry

Versehentliches Feuer: Russische Panzer-Crew fügt Putin den nächsten Verlust selbst zu

Der Kozak sei von Westen her über die Hauptstraße des Dorfes nach Russkaja Konopelka eingefahren sein mit dem Ziel einer Kreuzung, auf deren Gegenseite ein russischer Schützenpanzer auf der Lauer lag, als gleichzeitig ein russisches Kettenfahrzeug BMP-2 von der quer verlaufenden Straße aus heranraste. Der auf der Lauer liegende Schützenpanzer soll ein BMP-3 gewesen sein, beschreibt Forbes-Autor David Axe die Situation. Axe ordnet die russischen Fahrzeuge dem in Raum Kursk operierenden 56. russischen Luftangriffsregiment zu.

Jedenfalls hielt die Besatzung des BMP-3 den auf sie zurollenden BMP-2 wohl für ein feindliches Fahrzeug, eröffnete das Feuer aus seiner Maschinenkanone und schoss den BMP-2 in Brand, während der Kozak offenbar schnell genug den Rückwärtsgang einlegen und sich in seine Ausgangsposition zurückziehen konnte. Das Magazin Newsweek hatte zuletzt ausführlich über den Beschuss durch eigene Truppen berichtet – dem „friendly fire“. Eine russische SU-27 beispielsweise könnte Ende März über der Krim Opfer eigenen Luftabwehr-Feuers geworden sein.

„Friendly fire“: Ukrainische Gegenoffensiven zeigen deutliche Wirkung unter Putins Truppen

Newsweek bezieht sich auf Vermutungen des britischen Geheimdienstes, nach dem „friendly fire“ der Russen besonders häufig „nach Phasen ukrainischer Aktionen gegen russische Streitkräfte“ zu beobachten sei. Die Briten mutmaßen, dass „der durch die Angst vor weiteren ukrainischen Aktionen hervorgerufene erhöhte Druck und die Spannung“ dazu führen, dass die Russen anscheinend den Kopf verlieren. „Dieses Ereignis und weitere, falls sie sich bestätigen, unterstreichen wahrscheinlich den Mangel an Lagebewusstsein und Koordination zwischen Elementen der russischen Streitkräfte und demonstrieren zugleich die Zweitwirkung der ukrainischen Aktionen“, zitiert Newsweek die britischen Analysen.

Der Grund für die Verluste der russischen Truppen liegt einerseits in der Stärke der ukrainischen Gegenoffensiven – pro-russische Militärblogger behaupten, dass die Russen selbst in der Offensive auf Druck ukrainischer Truppen panisch werden würden; vor allem, weil gerade im Raum Kursk viele Wehrpflichtige ohne ausreichende Fronterfahrung kämpfen würden. Andere Kommentatoren sehen die Panik der Russen hervorgerufen durch ihren unkoordinierten, bisweilen chaotischen Rückzug, wo sie massierte Gegenwehr spüren. Viele Analysten kritisieren von Anbeginn der Invasion an den russischen Führungsstil.

Im Online-Magazin War on the Rocks räumen Michael Kofman und Rob Lee den punktuellen Gegenoffensiven der Ukraine weiterhin gute Chancen ein, denn nach Auffassung der Autoren spielen ihnen die russischen Besatzer in die Karten. „Angesichts der verfügbaren Mannschaften kämpfen die Russen zu aggressiv und zu übermütig“, urteilen sie.

Kursk als schlechtes Beispiel: Eigenbeschuss auch Folge fehlerhafter russischer Taktik

Vermutlich werden die russischen Soldaten auch Opfer der Realitätsblindheit von Russlands Präsident Wladimir Putin, der eine moderne Armee gegen die Ukraine hat aufmarschieren lassen wollen, aber eine veraltete geschickt hat – so die Einschätzung von Margarete Klein für den Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik: „Problematischer als Verzögerungen bei der Produktion ein­zel­ner Waffensysteme ist der unzureichende Grad an Digitalisierung von Führungs-, Aufklärungs- und Kommunikationssystemen in den rus­sischen Streit­kräften.“ Vereinfacht gesagt, scheinen die Russen im Gefecht so blind zu agieren, dass sie Freund und Feind kaum unterscheiden können.

Forbes schreibt den aktuellen Kollateralschaden der Kampfhandlungen dem russischen Unvermögen des Verlegens schlagkräftiger Truppen nach Kursk zu; viele der dort kämpfenden Russen seien pro-russische Tschetschenen oder junge, schlecht ausgebildete russische Wehrpflichtige. Die besseren mechanisierten Einheiten lägen noch im Osten der Ukraine.

Feuerkampf der Zukunft: viel zu schnell für längeres Zögern

Wie das Magazin Soldat & Technik Anfang Juli berichtet hat, versucht beispielsweise das spanische Herr aktuell den einzelnen, infanteristisch kämpfenden Soldaten in die digitalisierte Umgebung seiner eigenen Kräfte zu integrieren. In einer Art Augenklappe trägt jeder Soldat in der Zukunft einen „Viewfinder“, der mittels Augmented Reality verschiedene Funktionen ermöglicht, wie Soldat & Technik schreibt: beispielsweise „den einzuschlagenden Weg und die Position seiner Kameraden zu visualisieren und verschiedene taktische Hinweise auf Bedrohungen und identifizierte Ziele zu erhalten“.

Dieses Display über einem Auge wird auch mit der Zieloptik der Waffe gekoppelt, sodass der Soldat nur seine Waffe um ein Hindernis herumführen muss, um gefahrlos die Lage sondieren zu können. Gleichzeitig werden Waffe und Helmdisplay zu einer Freund-Feind-Erkennung synchronisiert, um Eigenbeschuss zu verhindern – im Jahr 2030 soll das System serienreif sein. Allerdings ist der Krieg zu Fuß oder im Panzerfahrzeug zu schnell, um lange zu zögern und bleibt anachronistischen Regeln verhaftet.

Über den Sieg entscheide letztendlich die bessere Ausbildung und die Führungskultur in den Streitkräften, die ein flexibles und eigenständiges Agieren der Truppen im Gefecht erlaube, sagt Björn Schulz im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Laut dem Brigadegeneral und Leiter der Panzertruppenschule der Bundeswehr in Munster gelte nach wie vor der „uralte Grundsatz im Feuerkampf: Wer schneller schießt und besser trifft, gewinnt“.

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