Trumps „USA erklären China den Wirtschaftskrieg – und in Europa bekommt es keiner mit“

Korrekt gescheitelt, im blauen Anzug – so saß der Politologe und US-Politikberater Josef Braml vergangene Woche im 6. Stock des Hauses der bayerischen Wirtschaft in München, um seine Sicht auf die „Transatlantische Handelspolitik nach der US-Wahl“ zu erklären. Geladen hatte der Verband der bayerischen Wirtschaft (vbw), auch um ein paar Tipps zu bekommen von einem, der die US-Politik seit 30 Jahren begleitet.

Doch was die Zuhörer erwartete, war kein bloßes Referat, sondern ein flammendes Plädoyer an die Deutschen, endlich aufzuwachen und aktiv zu werden.

 „Wir haben jetzt seit Trumps erster Amtszeit schon wieder vier Jahre verschenkt, in denen wir uns anders hätten aufstellen können“, begann Braml. „Wer hier in Deutschland immer noch an den Freihandel glaubt, hat den Schuss nicht gehört: Wirtschaft ist nicht mehr das Ziel, sondern ein Mittel zum geopolitischen Zweck.“ 

Gedankenspiele um Grönland gibt es seit Jahren

Der Strafzölle, Ansprüche auf Grönland, der Panama-Kanal – das alles seien Dinge, die sich nicht allein Donald Trump und seine Leute ausgedacht hätten. Solche Gedankenspiele gebe es in Washington seit Jahren. Trump sei eben weniger diplomatisch, einer, der die Themen in der ihm eigenen Art anspreche. „Er ist ein Deal-Maker, der weiß, seine Macht einzusetzen.“

Allen Beteiligten müsse klar sein: „Trump ist der Sargnagel für den Freihandel. Wir befinden uns jetzt wieder im Merkantilismus, in den Zeiten von Louis XXIV. und Colbert. Nur ist das jetzt 'Merkantilismus on Steroids'.“ Alles eben eine Gangart schneller.

In der neuen Welt geht es also um Einflussbereiche: Russland will die Ukraine, China Taiwan – und die USA schielten auf Kanada, Grönland oder den Panama-Kanal. „Das Thema Grönland ist sehr ernst zu nehmen“, sagt Braml. Mit dem Klimawandel schmelze das Eis um Grönland – und das eröffne China einen Handelsweg, über den die Chinesen ihre Güter in der Hälfte der Zeit nach Europa bringen könnten. Die USA wollten diesen Handelsweg überwachen, sagt Braml, dazu brauchen sie mehr Militärbasen auf Grönland. Aber auch Russland stelle nun territoriale Ansprüche in der Region, „und die Russen haben deutlich mehr Eisbrecher als die Amerikaner.“

„Die USA haben China längst den Wirtschaftskrieg erklärt“

In Wahrheit hätten die USA China längst den Wirtschaftskrieg erklärt – „und in Europa kriegt es keiner mit“, sagt Braml, der in Washington bestens vernetzt ist und auch das US-Abgeordnetenhaus berät. „China hat nach der Finanzkrise 2007/2008 gemerkt: ‚Euer System ist nichts‘, und aufgehört, über Staatsanleihen US-Schulden zu finanzieren. Stattdessen fingen sie an, die neue Seidenstraße zu bauen. Da sind die Amerikaner aufgewacht – und jetzt überreagieren sie.“

China habe keine Lust gehabt, „sich an den gezinkten Tisch der USA zu setzen“, erklärt Braml. „Sie haben den Amerikaner die Kolonialisierung nicht vergessen lasse. Für die Chinesen mit ihrer langen Geschichte ist das aktuell kein Aufstieg, sondern ein Comeback.“ Die Amerikaner wüssten das und seien gegenüber allem, was China tut, misstrauisch. „China wants to become the most powerful country in the world. That's not gonna happen on my watch“, stellte Joe Biden bereits im März 2021 klar („China will das mächtigste Land der Welt werden. Das wird in meiner (Amts-)Zeit nicht passieren.“ – das Zitat ist unter anderem hier zu sehen)

Deutsche Militärausgaben fließen an US-Rüstungskonzerne

Es sei eine Ironie der Geschichte, dass nun nicht China den US-Weg übernommen habe, „sondern die USA den Peking-Protektionismus“, so Braml. Für Europa sind das keine guten Aussichten. Gerade Deutschland, dessen Wirtschaft auf Exporte und Freihandel angewiesen sei, müsse sich neu orientieren, warnt der Politologe. „Wer in Washington für Freihandel ist, wird als 'China-Hugger' abgestempelt“, witzelt Braml („hug“ = Umarmung).

Auch die „Pax Americana“ sei vorbei, stellt Braml klar. Die USA würden sich nicht mehr lange für Europas Schutz verantwortlich fühlen. Und wenn, dann nur unter Gegenleistungen: „Wir haben die Bundeswehr kaputtgespart – wir sind blank“, resümiert Braml. „Jetzt werden wir gezwungen, fünf Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Rüstung zu investieren – und zwar überwiegend in US-Rüstungsgüter. Wir zahlen also quasi die US-Staatsschulden mit ab. Und wenn wir das nicht wollen, setzt Trump den Zoll-Hebel an.“

Trumps Auftrag? „Die Wirtschaft hat die US-Wahl entschieden“

Überhaupt genieße die einheimische Wirtschaft bei Trump höchste Priorität. Das sei auch der Auftrag der Wähler an ihn: „In den USA hat die Wirtschaft die Wahl entschieden: Trump verspricht Steuersenkungen, günstige Energie – 'drill, baby, drill' – und er fördert die KI und vielleicht Kryptowährungen“, zählt Braml auf. 

Doch es könne sein, dass er seine Versprechen nicht alle einhalten kann: „Die Steuererleichterungen werden schnell mal zehn Billionen Dollar kosten.“ Schon laufen die Staatsschulden aus dem Ruder. „Die Märkte sind schon nervös und gehen raus aus dem Dollar, rein ins Gold.“ Weil immer mehr ausländische Investoren US-Staatsanleihen den Rücken kehren, steigen seit Monaten die Renditen für US-Staatsanleihen – das macht das Bedienen der Schulden noch teurer –eine gefährliche Mischung, auch für die Wirtschaft. 

Denn auch der Börsenboom und die fulminante Kursrally der „Glorreichen Sieben“ sei de facto auf Pump finanziert, warnt Braml. „In Industriepolitik sind die Amerikaner Weltmeister. Sie machen das aber geschickter als andere“, oft über Aufträge des Militärs. So wurde einst auch die US-Chipindustrie rund um Fairchild und Texas Instruments groß gemacht. Wenn diese Förderung aufhöre, weil das Geld im Staatshaushalt knapp wird, „könnte es sein, dass die Wirtschaft dann nicht mehr so toll wächst“, sagt Braml.

„Wenn Trump die Notenbank absägt, gibt es Panik an den Märkten“

Trump hat seinen Wählern auch versprochen, die Inflation zu senken. Doch wenn er sein Wahlprogramm umsetzt, dürfte das die Teuerungsrate eher in die Höhe treiben. Zölle etwa machen die betroffenen Waren für US-Bürger teurer. „Und wenn er wirklich Millionen Migranten nach Hause schickt, dann fehlen die auch dem Arbeitsmarkt“, warnt Braml. „Und dann wird Arbeit in den USA teurer.“

Das alles spricht dafür, dass es keine weiteren Zinssenkungen in den USA geben kann. „Was passiert, wenn die Zinsen sogar steigen müssen?“, fragt Braml. Schon früher hatte der neue, alte Präsident die Unabhängigkeit der Notenbank infrage gestellt. Zwar ließ er zuletzt durchblicken, er werde den amtierenden Notenbankchef Jerome Powell in Ruhe lassen. „Und was ist, wenn Trump steigende Zinsen nicht akzeptiert? Wenn er die Notenbank absägt, gibt es Panik an den Märkten“, prophezeit Braml.

„Das geht nicht wieder weg, wenn Trump weg ist“

„Wir müssen uns entscheiden – und wir haben keine Wahl“, warnt Braml. Das beste Beispiel für den langen Arm der USA seit der Iran gewesen: Deutsche Unternehmen hatten vor einigen Jahren große Pläne und malten sich aus, wie sie nach einem Ende der Sanktionen an der Öffnung des Landes gen Westen mitverdienen könnten. Man einer träumte von Milliarden-Geschäfte, „Trump hat in seiner ersten Amtszeit gesagt: nö – und alle Träume sind geplatzt“, erinnert Braml.

Joe Biden habe sogar noch verschärft, was Trump eingeleitet habe. „All das, was jetzt passiert, geht nicht wieder weg, wenn Trump weg ist“, warnt der Politologe.

Drei Ideen, was Europa jetzt tun kann

„Die USA sind heute höher verschuldet als vor der Finanzkrise 2007/2008“, sagt Braml. „Das US-Wachstum ist auf Pump gebaut – und wir bezahlen das mit unseren Exportüberschüssen“, bilanziert Braml. 

Was könnten die Europäer tun? Auch dazu hat er sich Gedanken gemacht. Manchen werden sie nicht gefallen. „Erstens: Wir müssen uns militärisch stärker aufstellen, um Putin abzuschrecken – auch nuklear.“ Das gehe nur zusammen mit Frankreich, doch dessen Angebot habe Deutschland vor Jahren schon einmal ausgeschlagen.

„Zweitens: Der Draghi Report ist vielleicht 600 Seiten zu lang, aber er zeigt, wo das Problem ist: Wir brauchen in Europa 800 Milliarden Euro im Jahr, um allein militärisch und auch wirtschaftlich  – etwa bei der Digitalisierung – die Lücke zu den USA zu schließen.“ Dafür werde man Prioritäten im Haushalt setzen müssen, also sparen. „Aber selbst, wenn wir das Bürgergeld wieder streichen, bringt das nicht annähernd so viel Geld, wie wir allein für den Wehretat brauchen“, sagt Braml. „Deshalb werden wir drittens gemeinsame Schulden brauchen: Eurobonds. Denn jeder Euro, den wir sonst im Sozialen wegnehmen, ist eine Stimme für die AfD.“ Eurobonds böten zudem den Vorteil, dass sie der Finanzbranche eine neue Investment-Alternative zu US-Staatsanleihen eröffnen würden– und Europa damit auch auf diesem Feld weniger erpressbar machten.

Wunschzettel statt Wahlprogramm 

Zuletzt gab der Politologe noch einmal eine eindringliche Warnung ab: „Die Lage da draußen ist dramatisch. Wenn wir hier weiter Erbsen zählen, wird uns das um die Ohren fliegen.“ Doch wenn er sehe, mit welchen Programmen die Parteien aktuell in den Bundestagswahlkampf zögen, „dann erinnert mich das an den Wunschzettel meiner Tochter zu Weihnachten.“