Verhandlungen über Ukraine - Trump schreckt vor schmutzigem Putin-Deal nicht zurück: Expertin erklärt, was Kiew nun droht

Frau Wittke, in einem nahezu unglaublichen Tempo lässt US-Präsident Donald Trump seine Regierung gerade mit den Russen über ein Kriegsende verhandeln – über die Köpfe der Ukrainer hinweg. Kann man so Frieden schließen?
Das Tempo, in dem Trump hier vorgeht, ist in der Tat auffällig, auch wenn er bereits vor seiner Wahl angekündigt hat, den Krieg schnellstmöglich beenden zu wollen. Es lässt darauf schließen, dass es ihm in erster Linie um ein schnelles Abkommen geht und nicht um Detailtiefe.

Verhandlungen wie die vor wenigen Tagen in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad müssen wir auf jeden Fall ernst nehmen, weil sie dramatische Auswirkungen haben können für die Ukraine, aber auch für die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur.

Wenn man es positiv sehen möchte, hat Trump nach drei Jahren russischer Vollinvasion Bewegung in die Sache gebracht.
Ja, Schnelligkeit kann durchaus etwas Positives haben. Sie setzt Impulse und weicht festgefahrene Prozesse auf.

Richtig ist auch, dass jeder Friedensprozess anders ist. Trotzdem muss man sagen, dass solche Verhandlungen üblicherweise viel Zeit erfordern. Man braucht einen langen Atem, weil es nicht nur darum geht, politischen oder militärischen Druck aufzubauen, sondern auch darum, Vertrauen zwischen den Konfliktparteien aufzubauen.

Was bedeutet es für die Ukraine, dass Trump sich diese Zeit nicht nimmt?
Es bedeutet vor allem, dass es höchstwahrscheinlich in einem schnellen und schmutzigen Frieden für die Ukraine münden wird.

Natürlich bleibt abzuwarten, inwiefern die Zugeständnisse, die die USA Russland schon jetzt in Aussicht gestellt haben, auch wirklich ernst gemeint sind. Also etwa Washingtons Absage an einen ukrainischen Nato-Beitritt oder die Erwartung, dass Kiew sich auf Gebietsverluste einlässt.

Noch befinden wir uns in einer Phase von Vorverhandlungen, da werden auch manchmal Nebelkerzen gezündet. Es kann aber eben auch alles ernst gemeint sein. Denn das Amerika, das wir gerade sehen, ist kein an gemeinsamen Werten orientierter Akteur mehr.

Was heißt das konkret?
Man hält sich nicht mehr an Regeln, die bislang galten. Also auch nicht an die, die besagt, dass Frieden mehr sein muss als bloß die Abwesenheit von Gewalt. 

Dass Frieden für die Ukraine also bedeuten muss, dass sie sich demokratisch entwickeln und souveräne Entscheidungen treffen kann – unter anderem darüber, zu welchem Staaten- oder Verteidigungsbündnis sie gehören will.

All diese Punkte scheinen für Trumps Administration überhaupt keine Rolle zu spielen.

Putins Kriegsziele gehen aber deutlich weiter. So beansprucht er etwa auch ukrainische Gebiete, die seine Armee bislang nicht besetzt hat. Warum sollte sich der Kreml zum jetzigen Zeitpunkt auf eine Waffenruhe einlassen?
Russland hat zwar auf dem Schlachtfeld einige Erfolge vorzuweisen, aber insgesamt ist der Frontverlauf verhärtet. Nach drei Jahren sogenannter militärischer Spezialoperation, wie der Krieg in Russland weiterhin genannt wird, muss der Kreml zu Hause etwas vorweisen.

Ein Einfrieren der Kämpfe wäre in gewisser Hinsicht ein Erfolg – insbesondere, wenn man ihn an einem markanten Datum präsentieren kann: am 9. Mai etwa, an dem Russland groß das 80-jährige Ende des Zweiten Weltkriegs feiern wird.

Also geht es vor allem um Symbolpolitik?
Auch. Es würde dem Kreml darüber hinaus Zeit geben, die eigene Kriegswirtschaft neu aufzustellen, sich wieder richtig zu gruppieren und Kräfte für einen weiteren Angriff zu sammeln. Deshalb ist es so wichtig, dass die Ukraine wirksame Sicherheitsgarantien bekommt, die genau das verhindern.

Die USA haben allerdings bereits klargemacht, dass sie sich nicht an einer Schutztruppe beteiligen wollen, die einen möglichen Waffenstillstand absichern könnte. Wie dramatisch ist das aus Kiewer Sicht?
Wir müssen nur in die Vergangenheit schauen, um zu verstehen, wohin schlecht ausgearbeitete Sicherheitsgarantien führen können. Um genau zu sein, auf das Scheitern des sogenannten Minsk-II-Abkommens.

Können Sie das näher erläutern?
Dieses Abkommen wurde im Jahr 2015 in einer dramatischen Nachtsitzung unter Beteiligung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten François Hollande verhandelt, um die Kämpfe in der Ostukraine zu beenden. Doch die ganze Architektur des Abkommens war schwach.

Inwiefern?
Ein Kernproblem war, dass Russland eine Beteiligung an den Kämpfen abstritt und darauf beharrte, dass es sich im Donbass angeblich um einen Sezessionskonflikt zwischen Ukrainern und prorussischen Separatisten handele. Den Ukrainern hingegen war die Klarstellung wichtig, dass sie sich bereits in einer direkten Konfrontation mit den Russen befanden – was faktisch auch der Fall war.

"In vielen Konflikten eskalieren die Kampfhandlungen ausgerechnet während einer Verhandlungsphase noch einmal" Cindy Wittke, Friedens- und Konfliktforscherin

Was hat das mit Sicherheitsgarantien zu tun?
Da Moskau stets bestritt, direkt am Konflikt beteiligt zu sein und auch die internationalen Partner dieser Fiktion folgten, blieb in dem Abkommen offen, gegen wen die ukrainische Armee eigentlich kämpfte. So konnte die Organisation OSZE, die mit der Überwachung des Waffenstillstandes beauftragt war, in ihren täglichen Berichten nie benennen, wer gegen die Waffenruhe verstieß. Auf Russland wurde damit keinerlei Druck erzeugt, seine hybride Kriegsführung gegen die Ukraine einzuschränken.

Trotzdem blieb das Abkommen bis 2022 in Kraft.
Ja, aber es hielt eben nur so lange, bis Russland die Möglichkeit sah, das gesamte Territorium der Ukraine anzugreifen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Kiew immer wieder betont, dass das nächste Abkommen effektiver abgesichert sein muss.

Zugleich wollen die USA sich nicht an einer Ukraine-Schutzmission beteiligen. Können die Europäer eine abschreckungsfähige Truppe allein auf die Beine stellen?
Dahinter würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Viele Militärexperten kommen zu der Auffassung, dass es ganz ohne die Amerikaner wohl nicht gehen wird.

Zumal die Herausforderungen ja heute viel größer sind als noch 2015: Nicht nur die Frontlinie, entlang derer man die Kämpfe theoretisch einfrieren könnte, ist deutlich länger geworden. Abgesichert werden müsste heute außerdem die mehr als 1000 Kilometer lange Grenze zu Belarus, weil die russischen Truppen ja auch von dort aus eingefallen sind.

Was können die Europäer abseits von Sicherheitsgarantien für die Ukraine tun?
In vielen Konflikten eskalieren die Kampfhandlungen ausgerechnet während einer Verhandlungsphase noch einmal. Das liegt daran, dass beide Kriegsparteien versuchen, durch Erfolge auf dem Schlachtfeld ihre Verhandlungsposition noch einmal zu verbessern.

Insofern können und sollten die Europäer die Ukraine weiter in ihrem Verteidigungskampf unterstützen – übrigens nicht nur militärisch, sondern auch politisch.

"Es ist ein Mythos, dass das Sterben aufhört, sobald ein Konflikt eingefroren wird" Cindy Wittke, Friedens- und Konfliktforscherin

Also hat Europas Wort am Verhandlungstisch doch noch Gewicht?
Die europäischen Staaten haben mit dem Auftrag, sich um das Zusammenstellen einer Friedenstruppe zu kümmern, immerhin ein kleines Faustpfand in der Hand: Das Interesse der Amerikaner ist ja, sich so weit wie möglich aus der ganzen Sache heraus zu ziehen – aber das geht nur, wenn jemand anderes den Frieden zumindest für eine gewisse Zeit absichert.

Da sich die europäischen Partner der Ukraine bisher weitgehend planlos gezeigt haben, was ihre Verhandlungsstrategie betrifft, können sie jetzt allerdings nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Sie müssen dazu gemeinsam und vor allem klar formulieren, was sie leisten können und wo ihre roten Linien für die Absicherung eines Trump-Deals liegen.

Wäre ein schmutziger Deal am Ende nicht trotzdem besser als gar kein Deal?
Es ist ein Mythos, dass das Sterben aufhört, sobald ein Konflikt eingefroren wird. Ein wackliger Waffenstillstand könnte dauerhaft dazu führen, dass es zwar weniger Gewalt und weniger Tote gibt, aber auch kein Frieden herrscht. 

Hinter der Kontaktlinie könnte Russland seine autoritäre Herrschaft über die annektierten und okkupierten Gebiete weiter ausbauen – und sich auf eine weitere Konflikteskalation vorbereiten. Und die Forschung zeigt: Wenn dieser Fall eintritt, dann werden die Kampfhandlungen im zweiten Anlauf oft noch intensiver wieder aufgenommen.

Von Hannah Wagner

Cindy Wittke ist Leiterin der politikwissenschaftlichen Forschungsgruppe am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. Sie untersucht Friedensverhandlungen und eingefrorene Konflikte mit besonderem Fokus auf Russland und der Ukraine. Im vergangenen Jahr veröffentlichte sie gemeinsam mit der Journalistin Mandy Ganske-Zapf im Quadriga-Verlag das Buch „Frieden verhandeln im Krieg. Russlands Krieg, Chancen auf Frieden und die Kunst des Verhandelns“.