Ismail Hanija im Iran getötet - Anschlag auf den Hamas-Chef befördert zwei Staaten ins Dilemma – einer profitiert

Die letzten Bilder, die es von Hamas-Auslandschef Ismail Hanija gibt, zeigen ihn bei der Amtseinführung des neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian. Auf den Aufnahmen ist auch zu sehen, wie die Menge in Sprechchören Israel und den USA den Tod wünscht.

Ein Twitter-Nutzer konnte sich nach dem Angriff auf Hanija einen hämischen Kommentar nicht verkneifen: Weniger als zwölf Stunden nach den Sprechchören seien Israel und die USA immer noch am Leben, der Hamas-Führer aber nicht.

Dennoch ist die Eliminierung des Terror-Chefs kein Anlass für Entspannung. Denn dass die Hamas und ihre Verbündeten jede Rache wiederum rächen wollen, hat sich in den vergangenen Monaten mehrfach gezeigt. Mitte April hatte der Iran erstmals direkt von seinem Staatsgebiet aus Raketen und Drohnen nach Israel abgefeuert, vorangegangen war ein Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus – was wiederum eine israelische Reaktion auf den Hamas-Terror am 7. Oktober des vergangenen Jahres war.

„Die Zukunft im Nahen Osten sieht jetzt noch düsterer aus“

Der Anschlag auf Hanija ereignet sich gerade zu einem Zeitpunkt, an dem sich die USA in den Verhandlungen über ein Geisel-Abkommen in der „Schlussphase“ sahen. „Es handelt sich nicht um unüberbrückbare Probleme“, betonte ein amerikanischer Regierungsvertreter noch in der vergangenen Woche. Nach dem mutmaßlich israelischen Angriff auf Hanija und dem Anschlag auf einen Kommandeur der Terroristen-Miliz Hisbollah wenige Stunden zuvor, wird ein großer Krieg im Nahen Osten immer wahrscheinlicher.

Die Ereignisse würden jede Hoffnung auf einen Waffenstillstand in Gaza zunichtemachen und die gesamte Region an den Rand des Abgrunds bringen, kommentierte beispielsweise die „Independent“-Korrespondentin Bel Trew bei X. „Die Zukunft sieht jetzt noch düsterer aus.“

Iran muss nach empfindlichem Treffer Härte zeigen

Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik an der Uni Köln, hält eine Reaktion der iranischen Proxies – also zum Beispiel Hamas und Hisbollah – ebenfalls für wahrscheinlich. Fraglich sei aber, ob auch die Islamische Republik selbst in einen Krieg eintrete. Für den Iran würde dieser ein Überlebensrisiko darstellen.

Die Art und Weise des Angriffs auf Hanija könnte das Land aber genau in dieses Risiko zwingen. Die Führung muss sich jetzt unangenehmen Fragen stellen: Warum konnte der Anschlag auf iranischem Staatsgebiet gelingen? Ist die abschreckende Wirkung der eigenen Angriffe auf Israel offenbar verpufft? Noch eindrücklicher wird das Sicherheitsproblem dadurch, dass Hanija ausgerechnet am Rande der Amtseinführung von Peseschkian getötet wurde.

Nutzt Netanjahu die Situation in den USA?

Während sich die Lust an einer Eskalation bei USA und dem Iran möglicherweise in Grenzen hält, könnte eben diese für einen Mann das politische Überleben sichern – das vermutet zumindest der iranische Analyst Trita Parsi: „Netanjahu hat die Waffenstillstandsgespräche systematisch sabotiert, weil ein Ende des Krieges wahrscheinlich das Ende seiner politischen Karriere bedeuten würde“, schreibt er bei X.

Der israelische Premierminister sieht sich immer wieder mit Rücktrittsforderungen und Regierungskrisen konfrontiert. Ein politischer Wechsel gilt vielen in den wortwörtlich unsicheren Zeiten im Land aber als zu riskant.

Diese Zeiten werden nun wohl weiter andauern. Der neue iranische Präsident Peseschkian muss nach dem Angriff auf seinem Staatsgebiet Härte zeigen, Netanjahu hat innenpolitischen Druck – und zudem befindet man sich in einer Phase, in der die USA vor einer unklaren Zukunft stehen.

Der amtierende Präsident Joe Biden hat zwar nicht das beste Verhältnis zu Netanjahu und will Frieden schaffen. Doch sollte seine aktuelle Vize Kamala Harris im November zur Präsidentin gewählt werden, könnte sie einen noch härteren Kurs einschlagen. Für Netanjahu würde ein Feldzug gegen Israels Feinde dann schwieriger werden – weshalb er jetzt mit einem harten Vorgehen möglicherweise Tatsachen schaffen will. Sollte statt Harris Trump Präsident werden, wäre das auch kein Problem. Er würde Netanjahu vermutlich den Rücken stärken.

Russland und Türkei befeuern die rhetorische Eskalation

Die internationalen Reaktionen dürften die Konfliktparteien kaum beschwichtigen: So spricht etwa die russische Regierung von einem „absolut inakzeptablen politischen Mord“, der zu weiteren Eskalationen führen werde. Die Türkei wirft Israel vor, kein Interesse an Frieden zu haben und verschärft damit ihren Ton ebenfalls weiter.