Kinder müssen über ein Jahr auf OP-Termin warten: „Geht für Klinik mit finanziellen Verlusten einher“

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Medizinische Routineeingriffe, aber wirtschaftliche Problemfälle: Zu den Leidtragenden eines Konflikts um die Vergütung ambulanter Eingriffe bei Kindern zählt eine Tölzer Familie. © Angelika Warmuth

Die Polypen müssen raus: Bei Kindern ist das eine relativ häufige Diagnose. Eine Tölzer Familie war darüber zunächst auch nicht sonderlich erschrocken  – bis sie erfuhr, dass sie mit einem Termin erst im Herbst 2025 rechnen konnte.

Bad Tölz - Eine Entfernung der Polypen bei einem Kind ist eigentlich ein Routineeingriff, wie er nun auch bei einer elfjährigen Tölzerin ansteht. Die Familie erlebte aber eine böse Überraschung: An den beiden Krankenhäusern im Landkreis stellte man der Familie einen OP-Termin erst für Herbst 2025 in Aussicht. Eine Wartezeit von weit mehr als einem Jahr: Wie kann das sein?

Polypen müssen raus: Termin erst im Herbst 2025

Der Tölzer, der der Redaktion namentlich bekannt ist, schildert seinen Fall: Weil seine Tochter seit einiger Zeit über Flüssigkeit im Ohr klagte, habe er mit ihr einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt aufgesucht. „Sein Befund war, dass dringend die Polypen entfernt und die Mandeln verkleinert werden müssen.“ Für die Durchführung des Eingriffs habe der Arzt der Familie einen Überweisungsschein für die Asklepios-Stadtklinik mitgegeben.

Als sich der Vater dort meldete, „hat man mir gesagt, dass meine Tochter frühestens im Herbst 2025 dran ist“, berichtet der Tölzer. „Aber durch die Flüssigkeit im Ohr hört meine Tochter schlechter“, sagt er. Um ein Abschwellen der Polypen zu bewirken, müsse sie Medikamente nehmen. „Die machen sie müde, und sie fällt dadurch in der Schule zurück. Die OP kann nicht warten.“

Deswegen erkundigte sich der Tölzer an der Wolfratshauser Kreisklinik nach einem OP-Termin. Dort gibt es eine HNO-Belegärztepraxis. Die Rückmeldung: „Wir wären auch nicht früher dran.“

Wir führen diese ambulanten Eingriffe nicht mehr durch und beteiligen uns am bundesweiten Streik der belegärztlich operierenden HNO-Ärzte.

Auf Anfrage bestätigt Ingo Kühn, Geschäftsführer der Kreisklinik Wolfratshausen: „Ja, es kann tatsächlich vorkommen, dass die Wartezeit für einen solchen OP-Termin mehr als ein Jahr beträgt.“ Hintergrund sei, dass „die Vergütung durch die gesetzlichen Krankenkassen für ambulante HNO-Operationen wie die Entfernung der Adenoide (Rachenmandeln oder Polypen) und das Einlegen von Paukenröhrchen in den letzten Jahren drastisch gesenkt wurde“.

Nach Kühns Worten liegen die Kosten für eine Operation wesentlich über der Erstattung. „Wegen dieses finanziellen Defizits können wir diese Operationen wirtschaftlich nicht mehr verantworten“, erklärt der Klinik-Geschäftsführer. „Deshalb führen wir diese ambulanten Eingriffe nicht mehr durch und beteiligen uns am bundesweiten Streik der belegärztlich operierenden HNO-Ärzte.“

So ist es auch auf der Internetseite des Deutschen Berufsverbands der HNO-Ärzte nachzulesen. Aus Sicht des Verbands bleibe wegen der „jahrelangen Unterfinanzierung des ambulanten Operierens nichts anderes übrig, als mit einem Aussetzen der Operationen auf die katastrophale Lage aufmerksam zu machen und die Verantwortlichen zum Handeln zu bewegen“. Dass dieser „Streik“ ausgerufen wurde, liegt inzwischen einige Zeit zurück: Das war im Januar 2023.

Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz versucht, Operationen unterzubringen

Im Namen der Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz stellt Pressesprecherin Kathrin Seidel zunächst klar, dass die Entfernung der Polypen und die Teilentfernung der Gaumenmandeln kleine, elektive und ambulante Operationen seien, „die gut von niedergelassenen HNO-Operateuren durchgeführt werden können“. Ein Klinikaufenthalt sei dazu in der Regel nicht notwendig. Die Aufgabe der Asklepios-Stadtklinik liege primär in der Durchführung komplexer HNO-Operationen, die einen stationären Aufenthalt benötigen, zum Beispiel bei Tumoren im Kopf/Hals-Bereich.

„Trotzdem versuchen wir, in dieser besonderen Situation noch so viele ambulante HNO-Operationen wie möglich unterzubringen, weil wir wissen, dass die Wartezeiten für betroffene Familien eine große Belastung darstellen.“ Diese OPs seien „nicht kostendeckend und gehen für uns als Klinik mit finanziellen Verlusten einher“, so die Sprecherin. Die Termine würden „gemäß dem Zeitpunkt der Anfrage, nach medizinischer Dringlichkeit und terminlicher Verfügbarkeit“ vergeben.

2022  –  also vor dem „Streik“  – gab es im Tölzer Krankenhaus 106 solche Eingriffe. 2023 seien es dann 263 gewesen. „Das bedeutet eine Steigerung um 150 Prozent“, betont Seidel. „Wir tun unser Bestes, um die Versorgung der Kinder mit höchsten medizinischen Standards und allen realisierbaren Kapazitäten aufrechtzuerhalten und operieren überdurchschnittlich viele Kinder im Vergleich zu anderen Klinikstandorten, da uns die Versorgung der Kinder ein besonderes Anliegen ist“ Und wäre die Wartezeit für Privatpatienten oder Selbstzahler geringer, wie der Tölzer Vater mutmaßt? „Die Terminvergabe ist völlig unabhängig vom Versichertenstatus“, sagt die Sprecherin der Tölzer Klinik.

Konflikt wird auf dem Rücken der Kinder ausgetragen

Der Wolfratshauser Klinik-Geschäftsführer Kühn antwortet: „Privatpatienten sind von diesem Problem weniger betroffen, da die Vergütung durch private Krankenkassen höher ist. Auch wenn die Privatkrankenkassen diese medizinischen Eingriffe kostendeckender vergüten, kommt es auch hier zu Verzögerungen, da die gesamte Kapazität überlastet ist.“

Kühn bestätigt, dass die HNO-Belegärzte der Kreisklinik den Eltern „in Ausnahmefällen die Möglichkeit anbieten, die Kosten für die OP selbst zu tragen. Die Gesamtkosten für OP, Anästhesie, Pathologie und ärztliche Leistungen lägen im unteren vierstelligen Euro-Bereich.

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Insgesamt spricht Kühn von „einem Zustand, der auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird. Diese Operationen sind für die Entwicklung eines Kindes, insbesondere für die Sprachentwicklung, extrem wichtig. Beschwerden müssten bei den Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung und den politischen Mandatsträgern eingereicht werden, um eine Veränderung herbeizuführen.“

Für die Tölzer Familie hat sich am Ende doch noch eine Lösung aufgetan: Wenige Tage nach dem Anruf in der Redaktion fand sie einen anderen HNO-Arzt, der sich bereit erklärte, die OP durchzuführen: Termin: August  – 2024. (ast)

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