Serienweise Kinderpornografie-Prozesse in Ebersberg: Was dahinter steckt
Die Anzahl der Prozesse zu Kinder- und Jugendpornografie in Ebersberg steigt. Das bedeutet nicht automatisch, dass es immer mehr Pädophile gibt. Eine Gesetzesänderung und eine US-Meldestelle spielen eine entscheidende Rolle.
Ebersberg – Im Wochentakt stehen derzeit in Ebersberg Prozesse zu Kinder- und Jugendpornografie an. Die Bandbreite des Materials reicht von Nacktbildern Jugendlicher in aufreizenden Posen bis hin zu Vergewaltigungsszenen an Kleinkindern und Säuglingen. Unerträglich – ein Begriff, der sich manchmal steigern lässt.
Anstieg bei Kinderpornografie-Fällen: US-Meldestelle lässt Großteil der Täter auffliegen
2021 verzeichnete das Amtsgericht elf Prozesse in Sachen Besitz- und Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie. 2022 waren es 35. 2023 dann 25. Heuer 28. „Einen deutlichen Anstieg“, konstatiert Frank Gellhaus, Vorsitzender des Schöffengerichts, das diese Fälle verhandelt. Das lasse nicht den Schluss zu, dass es im Kreis Ebersberg immer mehr Pädophile gibt. Die aktuelle Häufung liege an einer Gesetzesänderung – und einer Meldestelle in den USA, die immer mehr Täter auffliegen lässt.
Das „Nationale Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder“ (NCMEC) bekommt von US-Software-Riesen wie Microsoft, Google, Facebook, WhatsApp oder Instagram automatisierte Hinweise, wenn als Kinderpornos identifizierte Inhalte auf deren Plattformen geteilt werden. Die verdächtigen Anschlüsse meldet das NCMEC an Strafverfolgungsbehörden auch in Deutschland.
Hinweis aus den USA: Durchsuchung im Landkreis Ebersberg
„Das begründet einen Anfangsverdacht“, erklärt Richter Gellhaus. Und das wiederum heißt, dass es bei den Verdächtigen in Grafing, Poing oder Vaterstetten an der Haustür klingelt – Polizei, Hausdurchsuchung. Der weit überwiegende Teil der Verfahren werde durch solche NCMEC-Meldungen ausgelöst. Auch dank technischen Fortschritts: Mittlerweile übernimmt KI das händische Sichten von Millionen Bilddateien.

Abmilderung des Kinderporno-Paragrafens: „Nicht zugunsten der eigentlichen Täter“
(Übrigens: Alles aus der Region gibt‘s jetzt in unserem regelmäßigen Ebersberg-Newsletter.)
Meine news
Der zweite Grund für die Prozesshäufung ist wohl die Abmilderung des Paragrafen 184b im Strafgesetzbuch im Juni, derentwegen so mancher minderschwere Fall auf Eis gelegen sei. Für einige Jahre wurde Kinderpornografie pauschal mit Haft von nicht unter einem Jahr bestraft. Nun liegt die Mindeststrafe wieder darunter, zumeist bei sechs Monaten.
Richter Gellhaus weiß, dass dieses Thema oft mit Schaum vorm Mund diskutiert wird. Dem Vorwurf von „Kuscheljustiz“ entgegnet er: „Diese Änderung ist nicht zugunsten der eigentlichen Täter geschehen.“ Vielmehr spiegle die Gesetzeslage nun besser die Bandbreite der Vergehen wider. Vom Herunterladen einzelner Bilder aus Kurzschluss-Neugier bis zum pädophil motivierten jahrelangen Sammeln und Katalogisieren. Der Richter, selbst Familienvater, sagt: „Ich finde diese Taten unvorstellbar. Aber sie lösen in mir nicht den Reflex aus, diesen Menschen in Bausch und Bogen die Existenzberechtigung in unserer Gesellschaft abzusprechen.“
Ich lade Sie ein, sich selbst ein Bild zu machen, welche Menschen da auf der Anklagebank sitzen.
Mit der Absenkung der Mindeststrafe seit Juni geht auch die Möglichkeit einher, Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Erinnert sei an den Fall einer Lehrerin aus Rheinland-Pfalz, die beinah ihren Job verloren hätte, weil sie das an der Schule kursierende Nacktvideo einer 13-Jährigen an die Mutter der Betroffenen weiterleitete, damit diese Anzeige erstatten konnte. Die Justiz hatte bislang nicht den Spielraum, solchen guten Willen bei der Urteilsfindung zu würdigen, erklärt Gellhaus. Er sehe aber auch nicht ein, einen nicht vorbestraften Endsechziger wegen einer Handvoll Bilder ohne Bewährung ins Gefängnis zu stecken. „Für immer wegsperren – diese Art von Sanktion ist für mich als Jurist bei diesem Täterkreis nicht angezeigt.“
Das Online-Wutbürgertum sieht das oft anders, fantasiert gerne gar von Scharia-artigen Gewaltstrafen. Amtsrichter Gellhaus verteidigt den Anspruch juristischer Nüchternheit und individueller Strafzumessung, so groß die Abscheu auch sein mag. Über die gescheiterten Existenzen, die er dann oft vor sich hat, sagt er an die Adresse derer, die nach immer härteren Strafen rufen: „Ich lade Sie ein, sich in einer öffentlichen Hauptverhandlung selbst ein Bild zu machen, welche Menschen da auf der Anklagebank sitzen.“