„Fühle mich klar benachteiligt“: 85-Jähriger sieht Senioren in moderner Smartphone-Welt diskriminiert
Udo Helmholz, ein 85-jähriger Grafinger, fühlt sich durch die Digitalisierung benachteiligt. Er kritisiert, dass Senioren ohne Smartphone und Internetzugang im Alltag oft das Nachsehen haben. Auch andere Seniorenvertreter sehen hier dringenden Handlungsbedarf.
Grafing – Udo Helmholz steht in der Gemüseabteilung eines Grafinger Supermarkts und studiert die Preisschilder. Auf die Zwiebeln gibt es elf Prozent Rabatt für diejenigen, die sich die Markt-App aufs Handy laden, steht da. Die Süßkartoffeln daneben kosten sogar 20 Prozent weniger. Ein Aufsteller im Eingangsbereich wirbt für „exklusive Vorteile“ per digitaler Kundenkarte. Der 85-Jährige schüttelt den Kopf. Er hat kein Smartphone, keine App, kein mobiles Internet. „Aha“, sagt er. „Wieder mal ein Beispiel, wie Ältere diskriminiert werden.“
Hier 60 Cent, dort 90: „Da kommt bei einem Wocheneinkauf eine schöne Summe zustande“, rechnet Helmholz vor. Geld, das gerade Senioren bei weit verbreiteter Altersarmut bestens gebrauchen könnten. „Ich fühle mich ganz klar benachteiligt“, sagt der Grafinger, der früher Lehrer am Gymnasium Grafing war.
„Wir Älteren werden abgehängt“, prangert Helmholz an. Nicht nur im Supermarkt, in vielen Lebensbereichen würde der Zugang zu Internet und Smartphone mittlerweile als selbstverständlich vorausgesetzt. Wer sich nicht mühelos im Netz bewegen kann, habe das Nachsehen. Müsse für manches mehr bezahlen oder könne überhaupt nicht teilnehmen.
Vom Arzttermin bis zur Betriebsanleitung
Als ein Beispiel nennt er das günstige „Senioren Super Sparpreis Ticket“ der Bahn. Dieses lasse sich nicht am Schalter, sondern ausschließlich online erwerben. Oder Arzttermine, die im Internet kurzfristiger als per Telefon vereinbart werden können. Oder QR-Codes, die Zusatzinfos in Museen bieten. Oder, oder, oder. „Ohne Handy stößt man überall auf Alltagsprobleme“, sagt Helmholz.
Der Grafinger ist bei weitem nicht der einzige, den das schmerzt. Thomas John, Vorsitzender des Seniorenbeirats der Stadt Ebersberg und Mitglied im Bayerischen Landesseniorenrat, zählt aus dem Stegreif eine ganze Reihe an Gebieten auf, in denen online-ferne Ältere außen vor bleiben.
Ich fühle mich ganz klar benachteiligt.
Er bringt Bankdienstleistungen an, Parkscheine via App, das 49-Euro-Ticket der Bahn oder die Zählerstandsmeldung beim Stromanbieter: „IT ist überall dabei.“ Viel Papierkram lasse sich heute nicht nur bequemer, sondern teilweise auch deutlich günstiger via Internet erledigen. Beispiel Steuererklärung: „Wer Elster nicht kann, steht blöd da.“
Meine news
Die Digitalisierung ist so weit vorangeschritten, dass für immer mehr Geräte die Bedienungsanleitung gar nicht mehr in Form eines kleinen Heftchens beigelegt ist, sondern ausschließlich über ein QR-Code oder Link im Internet abgerufen werden kann. „Wenn Senioren da keine Kinder und Enkel oder einen netten Nachbarn haben, sieht es düster aus“, warnt John. Zudem würden viele Senioren Kreditkarten und Co. nicht vertrauen und lieber mit Bargeld zahlen.
Die Kluft zwischen den Älteren und dem öffentlichen Leben wird immer größer, moniert Helmholz. Er ist Vorsitzender der Seniorengruppierung der SPD „AG 60plus“ im Landkreis Ebersberg. Diese will das Thema stärker in den öffentlichen Fokus rücken.
„Ohne Enkel wird es düster“
Auch die Senioren Union der CSU hat das Problem auf ihre Agenda gehoben und plant, an die Heimatabgeordneten in Bund und Land heranzutreten. Kreis-Vorsitzender Martin Fürbeck aus Vaterstetten sieht den Staat gefordert. „Wenn die Digitalisierung voranschreitet, muss nicht nur kleineren Firmen geholfen werden, sondern auch alten Menschen“, drängt er auf öffentliche Hilfsstellen und staatlich geförderte Medienkurse – „aber bitte mit Konzept und nicht als Privatinitiative auf Ehrenamtliche abgewälzt“.
Ein Allheilmittel sind wohl auch die besten Schulungen nicht. Ab einem gewissen Alter sei eine Digitalisierung schlicht nicht mehr möglich, befürchtet Fürbeck: „Ich kenne viele, die dem machtlos gegenüberstehen. Die fallen alle durch den Rost.“ Hier könne man nur an die Vernunft von Veranstaltern, Behörden und Geschäften appellieren.
Auch John ist bereits politisch aktiv geworden und habe sich in der Sache bereits an die Antidiskriminierungsstelle in Berlin gewandt. Außerdem plane der Landesseniorenrat eine Petition. Sein Ziel spitzt er bewusst auf eine griffige Parole zu: „Der Zugang zum Internet muss ins Grundgesetz!“