Der gefloppte Hyperschall-Hype: Putins Kinschal-Raketen landen häufig als Wrack am Boden

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Diese „Wunderwaffe“ entpuppt sich als echter Flop. Russlands Hyperschallrakete landet zwar – aber meist als Wrack. Ohne Chance gegen die Patriots.

Kiew – Die Verwunderung war groß darüber, wie verwundbar die Wunderwaffe doch in Wirklichkeit war. „Kiew spricht von einem historischen Abschuss“, sagte Reporter Paul Ronzheimer via welt.de. Das war im Mai 2023, als der Ukraine-Krieg gerade mal zwölf Wochen alt war, und Wladimir Putin noch Zuversicht hatte, Russland würde mit der Ukraine bald fertig werden. Grund zum Jubel auf Seiten der Verteidiger machte ein großer Haufen aus Metallteilen, in den eine Patriot-Luftabwehrrakete eine anfliegende russische Kinschal-Rakete verwandelt hatte. Inzwischen verdichten sich die Indizien, dass die Kinschal gegen die Patriot grundsätzlich schlechte Chancen hat.

Allerdings hatte sie eigentlich Russlands technologischen Vorsprung gegenüber dem Westen beweisen sollen. Jetzt, fast ein Jahr später, nach diesem ersten Abschuss einer Kinschal ist der Nimbus der Wunderwaffe arg angekratzt, wenn nicht sogar vollends dahin – was zuletzt das US-Magazin Newsweek berichtet hatte. Die von Putin viel gepriesene Hyperschallrakete Ch-47M2 Kinschal – zu Deutsch „Dolch“ –  scheint in der Ukraine ihren Erwartungen hinterherzuhinken, während Moskau sein winterliches Langstrecken-Bombardement gegen Kiew und andere Großstädte fortsetzt. Russische Streitkräfte haben während ihrer zweijährigen Invasion des Nachbarlandes regelmäßig Kinschal eingesetzt, die Putin 2018 als eine der „unbesiegbaren“ Waffen Moskaus bezeichnete, um landesweit ukrainische Städte und Infrastrukturziele zu vernichten.

Ukraine hält Russlands Wunderwaffe für anfälliger als befürchtet

Yurii Ihnat, der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, äußerte jüngst gegenüber Newsweek, er sehe Anzeichen dafür, dass Russlands Wunderwaffe anfälliger sei als befürchtet. Wegen ihrer hohen Geschwindigkeit hat die Hyperschallrakete eine höhere Durchschlags- und Zerstörungskraft. Die Kinschal-Hyperschallrakete erreicht eine Geschwindigkeit von Mach 10, also rund 12.000 Kilometer pro Stunde. Dabei trägt sie bis zu 480 Kilogramm Sprengstoff oder einen nuklearen Sprengkopf. Laut russischen Angaben verfügt der neuartige Raketentyp über eine Reichweite von bis zu 2.000 Kilometern. Damit wären die meisten europäischen Großstädte für die Kinshal innerhalb von zehn bis 30 Minuten erreichbar.

Die Nato könne sich nun den Ausbau ihrer Raketenabwehr in Ostmitteleuropa sparen, sagt Russlands Diktator Wladimir Putin 2018 zur Vorstellung der neuen Rakete im Rahmen seiner alljährlichen Rede zur Lage der Nation. Indem Putin in der Rede zur Lage der Nation ausführlich Russlands Position gegenüber der 2002 erfolgten Kündigung des Vertrags über die Raketenabwehr – ABM-Vertrag – durch die USA darlegte und Moskaus vergeblichen Widerstand gegen ein globales amerikanisches Raketenabwehrsystem schilderte, stellte er die neuesten militärischen Errungenschaften als notwendige, dem Erhalt des nuklearen Gleichgewichts dienende Antwort dar. Geistiger Vater der Kinschal ist also der damalige US-Präsident George W. Bush, wie der Spiegel berichtet hatte.

Kinschal-Rakete
Vermeintliche Wunderwaffe: Ein Mikoyan MiG-31 Abfangjäger der russischen Luftwaffe trägt eine ballistische Luft-Boden-Rakete „Kinschal“ – die wird von der Patriot-Luftabwehr aber oft auf den Boden der Tatsachen geholt: als Wrack. © Pavel Golovkin/dpa

US-Präsident Bush entfachte einen neuen Rüstungswettlauf

Bush hatte seinen Willen zur Entwicklung der Raketenabwehr in einer Grundsatzrede zur nationalen Sicherheit deutlich gemacht. Zum Wohle des Friedens müsse Washington sich über den ABM-Vertrag hinwegsetzen, der „in einer anderen Ära für einen anderen Feind“ geschrieben worden sei, erklärte Bush. Washington müsse Amerika und seine Freunde gegen alle Formen des Terrors schützen, „einschließlich des Terrorismus, der mit einer Rakete ankommen könnte“.

Die Kinschal sollte die Antwort auf den US-Schutzschirm bieten und wurde im Ukraine-Krieg erstmals in einem militärischen Konflikt eingesetzt. Die russische Luftwaffe anfangs ihres Krieges gegen die Ukraine nach Angaben aus Moskau mit der Kinschal ein Raketenarsenal bei Iwano-Frankiwsk zerstört. US-Militärs reagierten auf Putins Ansprache beeindruckt und erklärten, Hyperschallwaffen würden die Kriegsführung revolutionieren – sie verstärkten eigene Anstrengungen: Allein 2021 stellte der US-Kongress 3,2 Milliarden Dollar für die Forschung und Entwicklung von Hyperschallwaffen und entsprechenden Abwehrmaßnahmen bereit. Auch China forscht an solchen Systemen. Putins heizte mit der Kinschal einen gefährlichen und längst überwunden geglaubten Rüstungswettlauf an.

Wissenschaftler sehen keinen Vorteil in den Eigenschaften der Kinschal

Wissenschaftler blieben unbeeindruckt und schüttelten schon vor dem ersten Einsatz den Kopf über den Hype um den Hyperschall, wie das Wissenschaftsmagazin Spektrum schrieb. Militärs preisen die neuen Wunderwaffen nicht nur als schnell an, sondern darüber hinaus als gut manövrierbar und schwer zu entdecken. Das wären klare Vorzüge gegenüber den bekannten Interkontinentalraketen. Diese dringen auf einer elliptischen Flugbahn in den Weltraum ein und stürzen dann auf ihr Ziel zu. Dabei erreichen sie zwar ebenfalls Geschwindigkeiten von mehr als Mach 20, haben aber während des größten Teils der Strecke eine vorhersehbare „ballistische“ Kurve und lassen sich in der Regel nur kurzzeitig steuern, nachdem sie wieder in die Atmosphäre eingetreten sind.

Im Gegensatz dazu würden Hyperschallwaffen die meiste Zeit in der Atmosphäre fliegen und den durch die Luftströmung erzeugten Auftrieb nutzen, um Abfangmaßnahmen auszuweichen. Da sie sich in relativ geringer Höhe bewegen, könnten bodengestützte Radarsysteme sie erst in der Nähe ihres Ziels entdecken. Spektrum sieht keinen Vorteil im Flug in niedrigen Höhen

Eine weitere gängige Behauptung ist, Gleiter wären aufgrund ihrer geringeren Flughöhe für Frühwarnsysteme nahezu unsichtbar. Ein bodengestütztes Radar kann einen Gefechtskopf in einer Höhe von 1.000 Kilometern aus einer Entfernung von etwa 3.500 Kilometern erkennen. Sowohl die USA als auch Russland verfügen allerdings über Frühwarnsatelliten mit empfindlichen Infrarotsensoren. Sie würden auf die intensive Strahlung ansprechen, die ein extrem heißer Gleiter aussendet. Spektrum schreibt: „Unserer Analyse zufolge wären die derzeit eingesetzten US-Satelliten in der Lage, Gleiter mit Geschwindigkeiten im größten Teil des Hyperschallbereichs zu identifizieren und auf ihrem Weg durch die Atmosphäre zu verfolgen.“

Britischer Geheimdienst vermutet, die Kinschal wird lediglich erprobt

Der Autor Stefan Troendle hat Putins „Wunderwaffe“ im Südwestrundfunk rundheraus zerpflückt: „Die angeblich nicht nachweisbare russische Präzisionswaffe ,Kinschal‘ ist vor allem eine Propagandawaffe. Denn eine Rakete, die mit angeblich zehnfacher Schallgeschwindigkeit fliegt und auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden kann, soll zunächst Angst verbreiten.“ Nachdem sie jetzt fast ein Jahr an der Front eingesetzt wird, greift diese These um sich, wie die Kyiv Post berichtet. Ihr zufolge konnte die Ukraine seit Februar 2022 rund ein Drittel aller ins Land gefeuerten Kinschal abschießen. Am 2. Januar gehörten beispielsweise zehn Kinschal zu den 100 Raketen, die in die Ukraine abgefeuert wurden. Keiner der Kinschal in diesem Sperrfeuer fand sein Ziel. Am 8. und 13. Januar wurden rund 40 Prozent der in die Ukraine abgefeuerten Kinschal abgeschossen. Die bemerkenswerten Erfolge der jüngsten Zeit wurden Patriot-Batterien und neuen Maßnahmen zur elektronischen Kriegsführung zugeschrieben.

„‚Dolche‘ fliegen immer häufiger vorbei. Nur die Patriot schlägt sie“, sagt Yurii Ihnat, der Sprecher der ukrainischen Luftwaffe, gegenüber Newsweek. Ukrainische Analysten haben zudem eine wachsende Zahl von Kinschal-Raketen festgestellt, die durch die Abwehr kommen, aber die nicht explodieren – Blindgänger. Militäranalysten des britischen Geheimdienstes hatten noch im Oktober vergangenen Jahres vermutet, aufgrund der vielen Fehlschläge der Raketen wären die technisch vermutlich noch in der „Betriebserprobung“.

China beobachtet Russland Raketen-Desaster mit Sorge

Das beobachtet auch China mit Sorge: China ist von Ländern umgeben, die Washingtons Patriot-Trägerraketen einsetzen, darunter die US-Vertragsverbündeten Japan, Südkorea sowie Taiwan. Newsweek sieht da den nächsten Brandherd aufflammen: Beobachter gehen davon aus, dass China die Erfolge und Misserfolge seines russischen Verbündeten – und der ukrainischen Streitkräfte, die mit US-Waffen ausgestattet sind – sorgfältig beobachtet, um seine Streitkräfte auf einen möglichen Showdown mit den Vereinigten Staaten über die Zukunft des selbstverwalteten Taiwan vorzubereiten.

Eine reine Machtdemonstration vor seiner Wiederwahl war auch die Ankündigung der Wunderwaffe durch Wladimir Putin, wie eine Analyse der Neuen Zürcher Zeitung geurteilt hat: „Die Botschaft gut zwei Wochen vor der Präsidentenwahl war eindeutig: Russland ist stärker, als der verblendete Westen bisher wahrhaben wollte, und der Staat, der zu solchen kriegstechnischen Höchstleistungen fähig ist, kann auch in allen anderen Feldern die Gesellschaft in eine neue Zeit führen.“

Insofern könnte die Kinschal-Rakete eine reales Bild über Russlands Leistungsfähigkeiten bieten. Angesichts der scharfen Sanktionen des Westens herrscht weiter große Skepsis hinsichtlich der Fähigkeit Russlands, die Produktion fortschrittlicher Waffen fortzusetzen. Kinschal beispielsweise enthalten zahlreiche aus der Europäischen Union und Nordamerika importierte Komponenten. Die Waffe ist in überschaubaren Stückzahlen produziert worden, ihre Lagerbestände schrumpfen.

Russlands Hyperschall-Dolch, der möglicherweise immer noch unter realen Bedingungen auf eine Serienreife hin produziert wird, hat also vermutlich hauptsächlich diesen Zweck: Eindruck zu machen – in dem Fall auf die Nato und ihre Verteidigungsbereitschaft. Einen Einfluss auf den Kriegsverlauf hat er wohl eher nicht. Was auch auch daran deutlich zu werden scheint, dass bisher wenig Erfolge der russischen Hyperschallwaffe gemeldet wurden.

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