Geht am Ende gar nichts mehr? - „Das wäre unvorstellbar dumm“: Experte seziert Koalitions-Szenarien nach der Wahl
Wer wird nach der Bundestagswahl am 23. Februar mit wem die Bundesregierung bilden? Das hängt zum einen davon ab, wie die Wählerinnen und Wähler in Deutschland abstimmen. Zum anderen aber auch davon, wer bereit ist, miteinander statt gegeneinander zu arbeiten.
Nach der großen Asyldebatte im Bundestag vergangene Woche scheinen die Gräben zwischen den Parteien der Mitte tiefer denn je. SPD und Grüne werfen der Union vor, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen, Union und FDP wiederum senden lieber ein Signal an die Wähler als Kompromissbereitschaft zu zeigen, meint der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreiter. Im Interview verrät er zudem, wie kompliziert die Koalitionsbildung wirklich wird.
FOCUS online: Herr Oberreuter, viele Menschen gehen dieser Tage auf die Straße, weil sie Angst haben, dass es zu einer schwarz-blauen Regierung kommen könnte und weil sie Merz vorwerfen, die Brandmauer zum Einsturz gebracht zu haben. Können Sie diesen Menschen ihre Ängste nehmen?
Heinrich Oberreuter: Das Ausmaß der Unwahrscheinlichkeit, dass es zu Schwarz-Blau kommt, ist nicht in Worte zu fassen. Die größte Manipulation in der gegenwärtigen Auseinandersetzung ist die Unterstellung, Merz und die Union würden sich auf Koalitionsbildung und Kanzlerwahl mit der AfD einlassen. Diese Vorstellung ist absurd. Im Bundestag und am Parteitag ist sie nachdrücklich zurückgewiesen worden.
„Merz wird nur Kanzler in Koalition mit einer unzweifelhaft demokratischen Partei“
Einige befürchten, es gebe jetzt keine Garantie mehr, dass das nicht noch einmal passieren kann und sich Merz sogar mit Stimmen der AfD zum Kanzler wählen lassen könnte.
Oberreuter: Merz wird nur Kanzler in einer Koalition mit einer unzweifelhaft demokratischen Partei werden – hoffentlich mit einer sicheren Mehrheit. Natürlich agiert gleichwohl die AfD parlamentarisch mit – nach dem Willen ihrer Wähler. Abstimmen wird sie mal so, mal so. Aber für eine Kooperation mit der AfD fehlen Voraussetzung und Anlass. Auch bisher schon gab es sie entgegen propagandistischen Vorwürfen nicht.
Keine Vorlage ist gemeinsam erarbeitet worden. Die Union hat auch nicht mit der AfD gestimmt, sondern diese hat sich einer Vorlage der Union angeschlossen, die darum wirklich nicht geworben hat. Zudem wäre für sie die Zusammenarbeit mit einer Partei, die ausdrücklich die Vernichtung der Union zum Ziel hat, unvorstellbar dumm.
Viele Bürgerinnen und Bürger haben die Bundestagsdebatte der vergangenen Woche sehr aufmerksam verfolgt und festgestellt, dass die Atmosphäre zwischen Union und Rot-Grün vergiftet zu sein scheint. Die Fronten scheinen verhärteter denn je. Trügt der Schein und am Ende reden doch wieder alle miteinander?
Oberreuter: Trotz der tiefen Spannungen gab es Hinweise darauf, dass die informellen Gespräche zwischen der Minderheitsregierung und der Opposition sich durchaus einem vernünftigen Klima angenähert haben – samt Angeboten zur Zusammenarbeit.
Die aktuellen Verhärtungen beruhen auf der nicht nachvollziehbaren Unterstellung schwarz-blauer Koalitionsoptionen. Diese Unterstellung erscheint der SPD für den Wahlkampf nützlich, zumal ihr sonst wenig einfällt. Union und FDP wiederum war das Signal an die Wählerschaft offensichtlich wichtiger als ein Kompromiss: also auch Wahlkampf. Beide Seiten wollten ihre Positionen verdeutlichen und nicht verwässern – daher letztlich keine Bewegung.
„Bezüglich der SPD denke ich, dass es Schwierigkeiten geben wird“
Also alles aktuell nur Wahlkampfgetöse? Oder ist es doch am Ende sehr ernst zu nehmen, wenn Söder die Grünen vehement ablehnt und der SPD-Chef Lars Klingbeil Sätze in Richtung Merz sagt wie: „Sie glauben doch nicht, dass wir nach der Geschichte noch mit Ihnen zusammenarbeiten“?
Oberreuter: Merz war ursprünglich offener für eine Kooperation mit den Grünen, scheint aber nach diesen Ereignissen vorsichtiger geworden zu sein. Bezüglich der SPD denke ich, dass es Schwierigkeiten geben wird, aber letztlich wird es Gesprächsbereitschaft und Zusammenarbeit geben. Die Alternativen, wie beispielsweise eine Minderheitsregierung, sind wenig praktikabel.
Wenn SPD und Grüne im Bundestag nach der Wahl zusammen gleich stark wie die Union sind, könnte es problematisch werden, eine stabile Konstellation zu finden. Dann gilt die schwere Frage: Wer bekommt seinen Kanzler durch?
Eine Regierung, die sich auf die Linke und andere kleinere Parteien stützen muss, wird schwierig zu führen sein. Ich glaube, dass die Parteien in der Mitte nach der Wahl gezwungen sind, einen Weg der Kooperation zu finden.
Sollte Merz jetzt einen Schritt auf die SPD und die Grünen zugehen, um die Wogen zu glätten?
Oberreuter: Merz sollte sich jetzt jedenfalls nicht auf eine Zuspitzung einlassen, sondern klare Positionen zur zukünftigen CDU-Politik beziehen. Er sollte pragmatisch bleiben und weitere polemische Zuspitzungen vermeiden.
Zuletzt sorgte eine schwarz-grüne Wein-Party bei Armin Laschet (CDU) für Schlagzeilen. Auch Merz und Baerbock waren dabei. Im Hintergrund wird offenbar weiter miteinander geredet. Wie bewerten Sie das?
Oberreuter: Alle Treffen, in denen die Leute miteinander reden, sind positiv zu sehen. Das Reden auf informellen Ebenen und jenseits der institutionellen Zwänge schafft eine menschliche Basis und bringt Vernunftgewinne. Solange das funktioniert, gibt es immer Möglichkeiten, Lösungen zu finden. Solche Begegnungen sind und bleiben wichtig.
„Eine schwarz-grüne Regierungskoalition ist nicht ausgeschlossen“
Angenommen, Grüne und die CDU nähern sich an. Wie schwer wiegt dann das Wort von Markus Söder am Ende des Tages noch?
Oberreuter: Merz ist zwar mittlerweile auch skeptisch gegenüber den Grünen geworden. Auf der anderen Seite aber kennt man Markus Söder als jemanden, der seine Positionen situationsgerecht ändern und das auch noch erklären kann. Eine schwarz-grüne Regierungskoalition ist daher nicht ausgeschlossen, wenn es mit der SPD nicht reicht und diese sich in Koalitionsverhandlungen hartleibig zeigt.
Die zukünftige Konstellation im Bundestag ist also komplex und muss situationsabhängig betrachtet werden. Stabilität wird eine große Herausforderung sein, und gerade deshalb wird es notwendig sein, die AfD so klein wie möglich zu halten.
Was halten Sie für wahrscheinlicher: Schwarz-Grün oder die Groko? Und welche Rolle wird die FDP noch spielen?
Oberreuter: Falls die FDP aus dem Bundestag fliegt, spielt sie keine Rolle mehr. Und dann spielt sie andererseits eine große Rolle für alle anderen. Denn: Ihr Fehlen wäre ein großer Verlust für eine rationalitätsorientierte Politik, insbesondere im Bereich der sozialen Marktwirtschaft und ökonomischen Kompetenzen.
Ob Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot wahrscheinlicher ist, lässt sich schwer beurteilen. Beide Konstellationen werden in jedem Fall schwierig sein, besonders nach den jüngsten Ereignissen.