"Hier kann die Union ansetzen" - Schrumpft Merz die AfD klein? Politik-Experte verrät, was jetzt möglich ist

Der Asyl-Vorstoß von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, führt offenbar zu ersten Zuckungen bei den Wählern der AfD. Laut einer INSA-Umfrage im Auftrag der Bild können sich nach der Abstimmung im Bundestag 20 Prozent der AfD-Wähler nun (eher) vorstellen, bei der Bundestagswahl im Februar für die Union zu stimmen.

Das ist jeder fünfte AfD-Wähler. Aber: Geht da noch mehr? 

Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter sieht durchaus Potenzial. Im Interview mit FOCUS online warnt er Merz aber auch vor einem Fehler. Die Strategie sei derzeit jedoch richtig.

Herr Oberreuter, wie bewerten Sie den Asyl-Vorstoß von Friedrich Merz aus wahltaktischer Sicht? Schrumpft Merz jetzt damit die AfD zusammen?

Heinrich Oberreuter: Die Absicht von Merz war es, ein Zeichen an den Teil der AfD-Wählerschaft zu setzen, der sich nicht mit extremistischen Ideologien identifiziert, sondern zu den Unzufriedenen gehört. Diese Menschen stören sich daran, dass die Politik keine Lösungen für Themen wie Wirtschaft und Migration findet, die sie für existenziell halten. 

Dies wollte Merz mit seinem Vorstoß verdeutlichen, insbesondere nach den beiden Attentaten, um zu zeigen, dass das Parlament in der Lage ist, in zugespitzten Situationen zu handeln.

"Etwa die Hälfte der AfD-Wählerschaft besteht aus Unzufriedenen – und hier kann die Union ansetzen"

Eine INSA-Umfrage zeigt jetzt: Jeder fünfte AfD-Wähler kann sich nach der großen Asyldebatte und Merz´ Vorstoß eher vorstellen, die Union zu wählen. Ist das ein erstes Indiz dafür, dass die Strategie tatsächlich aufgehen kann und abgewanderte Wähler zurückgeholt werden können – oder bleibt das ein Strohfeuer?

Oberreuter: Ja, das ist ein Indiz dafür. Ich bin zwar etwas vorsichtig, da rasche Umfragen manchmal zu schnell sind. Aber wenn jeder fünfte AfD-Wähler jetzt schon sagt, dass dies sein Bewusstsein beeinflusst, zeigt das, dass der Vorstoß bei den Unzufriedenen wirkt. 

Zudem gibt es Berichte von Kandidaten und Abgeordneten, dass positive Rückmeldungen auch auf der Straße und bei Haustürbesuchen eingegangen sind, sogar von SPD-Sympathisanten. Das zeigt, dass der Versuch, ein Zeichen von handlungsfähiger Politik zu setzen, bei vielen Wählern positiv aufgenommen wird.

Wie viel Abschöpfpotenzial gibt es für die Union bei der AfD?

Oberreuter: Wenn wir sehen, dass die AfD während der Ampelkoalition von 11 oder 12 Prozent auf rund 20 Prozent gestiegen ist, dann haben wir ein enormes Wählerpotenzial vor uns, das sich nicht mit extremistischen Ideologien identifiziert, sondern vielmehr auf Unzufriedenheit basiert. Etwa die Hälfte der AfD-Wählerschaft besteht aus jenen Unzufriedenen – und hier kann die Union ansetzen.

"Würde die Union das einfach ignorieren, wäre das fatal"

Einige werfen Merz und der Union vor, mit den Rechten gemeinsame Sache zu machen. Wie kann sich die Union gegenüber diesen Kritikern als pragmatische Alternative zwischen AfD und Ampel-Regierung positionieren?

Oberreuter: Die FDP hat ebenfalls in der Debatte mitgestimmt, was zunächst mal ein Gegenargument zur Behauptung einer rechtsextremistischen Zusammenarbeit von AfD und Union ist. 

Die CDU/CSU hat zudem klargemacht, dass sie eine solche Zusammenarbeit ablehnt. Die Strategie der AfD, die Union zu schwächen, ist außerdem bekannt. Gemeinsame Sache zu machen, wäre demnach aus Sicht der Union absurd. 

Die Union hat folglich die Möglichkeit, diejenige Wählerschaft anzusprechen, die eine realitätsorientierte Politik möchte, die auf die Sorgen der Bevölkerung eingeht. Dies betrifft nicht nur Migration, sondern auch Themen wie Energie und Ökonomie. Diese Wähler abzuholen ist wichtig, um ein Versäumnis der Parteien zu vermeiden, die auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Würde die Union das einfach ignorieren, wäre das fatal.

Wie wird die AfD jetzt auf diese Entwicklung reagieren? Wird der Ton noch rauer, oder drehen Weidel und Co. jetzt den Spieß um und werden gemäßigtere, bürgerliche Töne anschlagen, um der Union das Wählerpotenzial streitig zu machen?

Oberreuter: Frau Weidel hat neulich im Bundestag zwar eine gemäßigte Tonlage angeschlagen, aber ich denke, dass beides parallel laufen wird. In der Substanz wird sich nichts ändern. Die Kernaussage der AfD wird weiterhin sein, dass sie sich im Strom der internationalen rechtsgerichteten Entwicklung sehen und damit das repräsentieren, was in einer neuen Generation als Fortschritt in Europa und auch den USA angesehen wird. 

Es wird weiterhin erhebliche Unterstützung aus anderen Bereichen der Wählerschaft geben, die die AfD repräsentiert.

"Das Interessante ist, dass sich seit dem Scheitern der Ampel wenig bewegt hat"

Trotz der Asyl-Offensive der Union bleibt die AfD in Umfragen aktuell noch stabil. Auch nach dem Bruch der Ampel hat sich kaum etwas bewegt. Warum gelingt es der Union trotz harter Rhetorik aktuell noch nicht, die Rechtsaußen-Partei substanziell zu schwächen?

Oberreuter: Jede demografische Erhebung hat Schwankungsbreiten von plus oder minus zwei Prozent. Ein Prozent mehr oder weniger, ist daher nicht zu bewerten. 

Das Interessante ist hier eher, dass sich seit dem Scheitern der Ampel wenig bewegt hat. Es bleibt die Frage offen, ob die Ereignisse im Bundestag am Wochenende zu einem Stimmungswandel in der Öffentlichkeit führen werden, in welche Richtung auch immer. 

Ich bin jedoch skeptisch und glaube nicht, dass radikale Stimmungsströmungen dadurch breiter werden.

Welche Taktik sollten Merz und die Union also in den kommenden Wochen bis zur Wahl weiterverfolgen, um der AfD die wechselwilligen Wähler endgültig abzunehmen? Und was sollte Merz dringend vermeiden?

Oberreuter: Radikale Zuspitzungen und polemische Angriffe sollten die Union und Merz dringend vermeiden. Merz hat versucht, die Situation, in die er geraten ist, zu bewältigen, möglicherweise ohne diese vorhergesehen zu haben – weniger im Parlamentarischen, sondern was die Proteste auf der Straße angeht. 

Straßenproteste gegen Rechts wird es aber immer geben, aber diese sind oft nicht historisch fundiert und neigen dazu, überzogene Vergleiche zu ziehen. 

Merz sollte daher die Linie fortsetzen, die er begonnen hat, und die Union sollte weiterhin klarstellen, dass sie sich von rechtsextremen Positionen distanziert. Viele der Punkte im Gesetzentwurf wurden auch von potenziellen Koalitionspartnern unterstützt, sodass man die Umsetzung vieler Vorhaben bei einer Koalitionsbildung als realistisch betrachten kann.