Protest bei CDU-Parteitag - Der Grünste von Merz' Leuten schweigt plötzlich – dann kommt es zum Zwischenfall

Über dem CDU-Parteitag in Berlin schwebt eine heikle Frage: Tut sich ein Spalt auf in der CDU? Gibt es in der Partei Risse, nachdem sie erstmals mit den Stimmen der AfD im Bundestag eine Mehrheit erlangt hat? Sollte da im Inneren etwas beschädigt sein bei den Christdemokraten, verstecken sie das auf ihrem Parteitag in Berlin unter einem großen Pflaster der Geschlossenheit. Die ist vorhanden. Aber nicht in dem Maße, wie es die Parteiführung gerne suggeriert.

Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der nach dem Attentat in Aschaffenburg schnell eine Wende in der Migrationspolitik eingefordert hatte, bekommt von den Rednern an diesem Montag viel Zuspruch. Generalsekretär Carsten Linnemann bedankt sich, „dass du gegen den Wind stehen geblieben bist“. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein bezeichnet das Vorgehen als „exakt richtig“, sogar CSU-Chef Markus Söder reiht sich ein und verzichtet weitestgehend auf seine Sticheleien.

„Kommunikativ hätte das alles besser laufen können“

Und doch ist zu spüren, dass die vergangenen zwei Wochen in der Partei ihre Spuren hinterlassen haben. Einen großen Spalt mag es nicht geben, aber feine Haarrisse, die nur mit der Lupe erkennbar sind. Noch sind sie ungefährlich. Aber gerade beim Thema Brandmauer und Umgang mit radikal-rechten Parteien zeigen andere europäische Länder, was drohen kann, wenn man nicht klug vorgeht. Dort sind konservative Parteien geschrumpft, Rechtsextreme dafür gewachsen.

Diejenigen, die sich trotz der von der Parteiführung gewünschten Geschlossenheit zu Kritik hinreißen lassen, tun das möglichst schonend. In der Sache habe Merz alles richtig gemacht, sagt zum Beispiel ein Delegierter aus Thüringen im Gespräch mit FOCUS online. „Aber kommunikativ hätte das besser laufen können. Vor tiefgreifenden Veränderungen muss man sich gut vorbereiten und klären, wie man sich am besten verkauft. Das ist nicht geschehen.“

Ein junger, aber aufstrebender Bundestagskandidat schlägt in dieselbe Kerbe. Merz‘ Aussage, „all in“ gehen zu wollen, sei vielleicht nicht besonders geschickt gewesen. SPD-Konkurrent Olaf Scholz hatte unter anderem anhand dieser Formulierung erklärt, Merz sei ein Spieler und deshalb als Kanzler ungeeignet. 

Warnschuss der CDU-Delegierten auf dem Parteitag

Es ist dann eine eigentlich kleine Satzungsänderung, bei der die CDU-Führung erkennbaren Widerspruch hinnehmen muss. Künftig soll nach deren Willen nicht ein großer Parteitag, sondern ein kleiner Bundesausschuss über das Eintreten in eine Koalition entscheiden. Ein Delegierter widerspricht dem auf offener Bühne. Er äußert die Sorge, dass die obersten Funktionäre so die vielfältigen Meinungen der Landesverbände übergehen könnten.

Darin drückt sich womöglich auch ein generelles Unbehagen aus: Merz und seine Mannschaft haben die CDU nach der Wahlniederlage 2021 wieder auf Kurs gebracht, die Basis hat ihm deshalb viele Freiheiten zugestanden. Aber das heißt noch lange nicht, jede Entscheidung – gerade spontan und allein getroffene – ohne Diskussion hinzunehmen. So gibt es dann bei der Abstimmung über die Satzungsänderung auch zahlreiche Gegenstimmen.

Stiller Protest von Daniel Günther

Um die Haarrisse zu erkennen, muss man aber nicht nur darauf achten, wer was sagt. Bemerkenswert ist auch, wer nichts sagt. Während die Unions-Ministerpräsidenten Markus Söder, Boris Rhein und Hendrik Wüst alle ihren Moment auf der Bühne bekommen, sich dabei auch gegenseitig loben, bleibt einer ihrer Kollegen im Hintergrund: Daniel Günther.

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hatte in der vergangenen Woche offenbar Kritik an dem gemeinsamen Abstimmen mit der AfD geäußert. Mehr als Merz wäre er dazu bereit gewesen, in der Sache einen Schritt auf SPD und Grüne zuzugehen. Er fürchtet, dass die Union sich bei einem Thema verrennt, das womöglich kein Gewinnerthema ist – und das der Partei am Ende vielleicht sogar Koalitionsoptionen verbaut.

Schon am Vorabend des Parteitags, bei einem Empfang im Adenauer-Haus, steht Günther abseits des Trubels. Die Wirkung dieses Bildes dürfte ihm bewusst sein. Die räumliche Abgrenzung soll wahrscheinlich auch seine inhaltliche Abgrenzung widerspiegeln.

CDU schwenkt von Migrations- zu Wirtschaftsthemen

Doch nicht jede Interpretation ist hilfreich. So mutmaßen manche Delegierte und Beobachter, der eine oder die andere Rednerin habe auffällig wenig Applaus bekommen. Werden da etwa populistische Töne von Jens Spahn und Julia Klöckner abgestraft? Oder sind zu ihren Reden einfach nur weniger Delegierte in der Halle, weil sie sich gerade ein Mittagessen besorgen?

Über eine Uneinigkeit sind die Delegierten am ehesten bereit, offen zu sprechen: Ob es richtig ist, nun wieder die Wirtschaftspolitik in den Vordergrund zu rücken, oder ob man das Feld der Migrationspolitik weiter intensiv bearbeiten sollte. Die Parteiführung, die vor Aschaffenburg auf einen Wirtschaftswahlkampf setzte, will diesen jetzt wieder aufgreifen. Das folgt vermutlich auch der Idee, die Abstimmungsniederlage in der vergangenen Woche zu überdecken.

Manche würden dagegen lieber noch einen Moment bei dem Thema bleiben, das die vergangenen zwei Wochen beherrscht hat. Erstens, sagen manche, könne man schlecht erklären, dass sich konkret zwar nichts geändert hat in der Migrationspolitik, man nun aber den Fokus davon wieder weglenkt. Und zweitens ließen sich bei diesem Thema viel besser konkrete Maßnahmen verkaufen als in der konkreten Wirtschaftspolitik.

Offenbar mehr Ein- als Austritte bei der CDU

Ob echte oder vermeintliche Risse, die Parteiführung versucht unermüdlich Kit anzurühren, um die Partei zusammenzuhalten. Wie schon in der vergangenen Woche arbeitet man sich an SPD und Grünen ab, bewertet deren Angriffe als unanständig. Kritik lässt die CDU an sich abtropfen, fast egal, von wem sie kommt.

Von der Kritik an Merz in vielen Medien will man sich nicht beeindrucken lassen – das entspräche nicht der öffentlichen Meinung. Eine Demo gegen die CDU mit Hunderttausenden ficht angeblich niemanden an – schließlich brauche man „keinen faschistischen Nachhilfeunterricht“, wie es Parteivize Karin Prien formuliert. Und auch die zahlreichen Parteiaustritte bekümmert die CDU nicht – laut Parteikreisen gibt es nämlich viel mehr Eintritte. Eine Anfrage zu konkreten Zahlen hat die CDU unbeantwortet gelassen.

Warten auf den Aufschwung in den Umfragen

Führende Christdemokraten sagen es ganz offen: Ja, man habe den ein oder anderen Anhänger verloren und man habe SPD und Grünen einen Anlass zur Mobilisierung gegeben. Viel wichtiger sei aber, dass man plötzlich wieder Zugriff habe auf eine Reihe von Menschen, die zuvor mit der AfD geliebäugelt hatten. Die Hälfte von deren Anhänger sei weder rechts noch rechtsextrem, es lohne sich, für diese zu kämpfen.

Bislang ist davon allerdings wenig zu sehen in den Umfragen. Die Mobilisierungseffekte und Wählerwanderungen scheinen sich bislang gegenseitig aufzuheben. Weist man darauf hin, heißt es, man solle die Umfragen zum Ende dieser Woche abwarten. Dann gehe es nach oben, 35 Prozent und mehr sei nach wie vor das Ziel. Mancher würde die Messlatte gerne noch höher legen.

Helfen soll dabei auch, dass Merz auf dem Parteitag noch einmal ganz klar jegliche Kooperation mit der AfD ausschließt. Manchen Delegierten ist das wichtig. Andere halten diese Bekenntnisse für müßig. Einer sagt: „Ich finde das Glaubensbekenntnis gut. Aber nur weil man es immer wieder betet, wird man auch nicht gläubiger.“

Während Merz-Rede wollen „Aktivisten“ eine Botschaft senden

Gerade als Merz in seiner Rede zum entscheidenden Punkt kommt, entsteht ein kleiner Tumult. Der Kanzlerkandidat erklärt, „niemals“ mit der AfD zusammenarbeiten zu wollen, die „gegen alles steht, was unsere Partei und unser Land aufgebaut hat“. Dafür erhält er Standing Ovations, von der Partei vorgefertigte Jubel-Plakate werden nach oben gestreckt. 

Doch im Gäste-Block hält eine kleine Gruppe selbstgemalte Zettel hoch, die das Wort „Brandmauer“ ergeben, vermutlich, um für eben diese zu demonstrieren. Sofort sind Sicherheitskräfte zur Stelle und wollen die Plakate einsammeln, es kommt zu einer kurzen Rangelei. 

Ob es sich bei den Protestlern um eigene CDU-Leute oder Demonstranten aus dem linken Spektrum, lässt sich nicht aufklären. Die Pressestelle der CDU spricht später von „Aktivisten“. Sie werden schnell aus dem Saal geführt. Die CDU duldet auf ihrem Parteitag offenbar keine Botschaften, die als Protest verstanden werden könnten. Das zeigt: Ganz im Reinen ist die CDU mit sich nicht. Sie ist durchaus nervös.