Rechtsruck bei der Europawahl: So kann das Ergebnis Putin nutzen
Die Europawahl zeigt einen klaren Rechtsruck. Während die Länder mit innenpolitischen Querelen beschäftigt sind, könnte Putin der heimliche Gewinner sein.
Brüssel – Den russischen Präsidenten Wladimir Putin wird es freuen: Die AfD kann bei der Europawahl enorm punkten und geht als zweitstärkste Kraft hervor. Zwar fielen die Gewinne der in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei geringer aus als befürchtet, sie kam auf 15,9 Prozent. Im April lag die Partei in Umfragen noch bei mehr als 20 Prozent. Trotzdem ist der Anstieg um 4,9 Prozentpunkte ein Erfolg für die AfD.
Putin hatte sich einige Tage vor der Europawahl wohlwollend zur AfD geäußert. „Wir werden mit allen zusammenarbeiten, die mit Russland kooperieren wollen“, sagte Putin am bei einem Treffen mit Vertretern großer internationaler Nachrichtenagenturen in St. Petersburg. „Wir sehen keine Anzeichen von Neonazismus in den Handlungen der AfD“, so der Kremlchef. „Wir sehen nichts, was bei uns Besorgnis auslösen würde.“ Putins AfD-Freundlichkeit ist weder neu noch überraschend: Hatte die deutsche Rechtsaußen-Partei doch immer wieder ihre prorussische Haltung demonstriert.

Rechtsruck bei Europawahl – auch ein Sieg für Putin?
Bei der Europawahl ist insgesamt ein Rechtsruck zu verzeichnen. Die rechtskonservative Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR), die rechtsextreme Fraktion Identität und Demokratie (ID), die Fraktionslosen, zu denen aktuell auch die AfD gehört, seit sie der rechtsextremen ID zu extrem wurde und ausgeschlossen wurde – sie alle gewinnen dazu. Vielerorts liest man daher „Sieg für Putin“ im Zuge der Berichterstattung zur Europawahl. Doch nutzt Putin und seinem Regime das wirklich etwas?
Nachgewiesenermaßen sitzen Russlands verlässliche Partner zwar vor allem am rechten Rand des Parlaments, aber in entscheidenden Fragen stehen sich die Rechtsaußenparteien oft diametral gegenüber: Die einen sind nur europakritisch, die anderen für einen EU-Austritt. Die einen sind Pro-Russland, die anderen lediglich ein bisschen kritisch, wieder andere nur gegen Putin.
Rechte im Europaparlament gespalten in der Russland-Frage
So trug die EKR – in der unter anderem die polnische PiS, die spanische Vox und die Fratelli d‘Italia von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sitzen – den außenpolitischen Kurs der EU in den letzten Jahren weitgehend mit.
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In der ID hingegen ist man eher geteilter Meinung: Ein Dutzend Abgeordnete stimmen hier regelmäßig gegen die Russland-Politik der EU. Die allermeisten Abgeordneten der AfD stimmten gegen Sanktionen und die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen durch Putins Regime in der Ukraine, Georgien und Russland. Marine Le Pens Rassemblement National unterstützte lediglich ein Viertel der Resolutionen gegen Russland. Die italienische Lega hingegen unterstützte demnach einen Großteil der Anträge.
Die Rechten in Europa sind zu gespalten zum Russland-Thema, um geschlossen einen realpolitischen Vorteil für Putin und seinen Angriffskrieg auf die Ukraine darzustellen.
Nach Europawahl liegt der Fokus der Länder nun auf Innenpolitik
Der Vorteil für Putin aufgrund des Rechtsrucks bei der Europawahl könnte an ganz anderer Stelle liegen: Die europäischen Länder sind aufgrund des Rechtsrucks nun mit innenpolitischen Querelen beschäftigt. Außenpolitik spielt nur noch nachrangig eine Rolle.
Man blicke zum Beispiel nach Frankreich: Nachdem der französische Rassemblement National von Marine Le Pen am Sonntag bei der Europawahl mehr als 31 Prozent – und damit 17 Prozentpunkte mehr als das liberale Bündnis von Emmanuel Macron – holte, kündigte der französische Präsident noch am Abend Parlamentsneuwahlen im Juni und Juli an.
In Deutschland wurde die AfD zweitstärkste Kraft und sorgt damit vor allem bei den Regierungsparteien der Ampel-Koalition Sorgen. Denn im Herbst finden in Brandenburg, Thüringen und Sachsen Landtagswahlen statt. Und auch dort stehen die Prognosen für die Rechtsaußenpartei gut. Daher wird sich auch in Deutschland der Fokus vor allem darauf richten.
In Österreich ist die rechtspopulistische FPÖ stärkste Kraft bei der Europawahl geworden – erwartbar, aber besorgniserregend, insbesondere im Hinblick darauf, dass dort im Herbst Nationalratswahlen anstehen. Auch hier wird der Fokus also eher auf der Innenpolitik liegen.
Unruhe nutzt Putin
„Da die Rechtsaußen-Parteien auch untereinander zersplittert sind, bedeutet dies ein fragmentierteres Europaparlament, in dem schwerer Entscheidungen getroffen werden können“, erklärt Nicolai von Ondarza, der bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin die Europa-Abteilung leitet, im Tagesspiegel. „Das neue Europäische Parlament wird bei der Findung politischer Mehrheiten vor großen Herausforderungen stehen“, sagt auch Sandra Eckert, Professorin für vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg.
Denn auch wenn die Rechten sich untereinander nicht einig genug sind, um Putin tatsächlich unterstützen zu können: Alles, was Unruhe bringt, nutzt dem Kremlchef am Ende. (sot)