AfD-Erfolg in Gelsenkirchen - Ansage von AfD-Wähler in SPD-Hochburg: "Wir wählen wieder anders, wenn ..."

Die Dominanz von SPD und CDU in den westdeutschen Bundesländern schmilzt dahin. Zwar hat die AfD bei der Bundestagswahl noch keine Direktmandate errungen, doch bei den Zweistimmen färben sich die ersten Wahlkreise blau. Neben Kaiserslautern (25,9%) fällt auch die einst sozialdemokratische Hochburg Gelsenkirchen auf. Hier hat die AfD 24,7 Prozent geholt. Ein Ortsbesuch im Außenbezirk Scholven zeigt, wie sich Genossen und Ruhrgebiets-Bewohner voneinander entfremdet haben.

In SPD-Herzkammer: Gelsenkirchen wird AfD-blau

Der Platz „Im Brömm“ wirkt wie ein typischer Mittelpunkt eines Großstadtviertels. Etwas abseits der Hauptstraße toben die Kinder der Gemeinschaftsschule in den Pausen auf dem Schulhof. Davor liegen Kiosk, Eisdiele, Imbissbude, Bank und Bäcker; auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Supermarkt und ein Bekleidungsgeschäft. Aus den industriellen Hochzeiten der Stadt ragen im Hintergrund drei Schornsteine in den Himmel, ein moderneres Bild vermitteln die zwei rotierenden Windräder.

Am Dienstagvormittag laufen Andrea und Manfred hier entlang, die 61-Jährige ist gerade auf dem Weg zur Arbeit. Ihren Nachnamen wollen sie nicht nennen, für ein kurzes Gespräch über die Bundestagswahl nimmt sich das Ehepaar aber Zeit. Für sie seien die Ergebnisse der Bundestagswahl erwartbar gewesen, sagen die beiden. 

Als Arbeitnehmer gehören sie zur klassischen SPD-Klientel und haben ihr Kreuz auch jahrelang entsprechend gesetzt. Bis Anfang der 2000er-Jahre feierten die Sozialdemokraten hier Wahlergebnisse um die 60 Prozent. Der Absturz auf 24,1 Prozent wirkt daher brachial; obwohl der Wert immer noch deutlich über dem Bundesergebnis der Partei liegt. Vor 2015 seien sie bereits zur CDU gewechselt, nun zur AfD, sagt Manfred und schiebt die Begründung hinterher: „Weil wir Menschen nicht gehört werden.“

Lebensqualität sinkt, Unzufriedenheit steigt

Die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation reicht vor der Haustür bis zu den großen Debatten in Berlin. „Die Außenbezirke der Stadt werden außen vor gelassen“, sagt Andrea; Scholven liegt am nördlichen Stadtrand. Mit 33,4 Prozent erzielte die AfD im hiesigen Kommunalwahlbezirk ihr bestes Ergebnis, in der unmittelbaren Nachbarschaft des Ehepaars waren es sogar 47,1 Prozent. 

Dafür findet Andrea schnell eine Erklärung. „Früher haben wir uns fast nur in unserer Nachbarschaft aufgehalten“, erzählt die 61-Jährige; vor Ort habe sie alle gewünschten Angebote vorgefunden und den Stadtteil nicht verlassen müssen. Doch immer mehr vertraute Geschäfte wichen banalen Imbissbuden, die Lebensqualität in Scholven sinke immer weiter. 

Für alltägliche Erledigungen müssten sie inzwischen eben in den nächsten Stadtteil fahren. Nachdem ein Altpapiercontainer gebrannt habe, sei der Müll wochenlang nicht weggeräumt worden. Gleiches gelte für den Sperrmüll, wenn Wohnungen geräumt wurden. „Viel verrottet hier auch“, bestätigt Manfred und fasst seinen Eindruck zusammen: „Es ist, als ob die Orte wie unserer abgeschrieben sind.“

 „Es geht mir um illegale Migration“

Hinzu kommen für die beiden die Wirtschafts- und Migrationspolitik als wahlentscheidende Themen. „Es geht mir um illegale Migration“, stellt Manfred klar. Durch seine Kinder sei inzwischen ein Tunesier Teil der Familie, er habe nichts gegen Ausländer allgemein. „Es geht um uns die, die ohne Ausweis und Anspruch reinkommen“, ergänzt Andrea. 

Dass Teile der AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem – auch wegen völkisch-ethnischer Positionen – eingestuft werden, schreckt sie nicht ab. „Wer macht schon alles richtig?“, meint Manfred. Genauso sei klar, dass US-Präsident Donald Trump „einen an der Waffel hat“. Doch immerhin habe er die illegale Migration in die Vereinigten Staaten gestoppt. Manfred ist immer noch sauer, dass die SPD Stimmung gegen die von der Union angestoßenen Abstimmung mit der AfD zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ gemacht habe. „Gut, dass die drei Pappnasen weg sind“, sagt er über die drei Spitzenkandidaten der einstigen Ampelparteien.

Ansage der AfD-Wähler

Zumindest eine Rückkehr zur SPD scheint für das Ehepaar ausgeschlossen. „Der Sozialstaat wird ausgenutzt“, findet Manfred und ärgert sich über die Ausgestaltung des Bürgergelds. Doch zumindest Friedrich Merz und einer CDU-geführten Bundesregierung wollen die beiden eine Chance geben. „Sollte sich wirklich was ändern“, sagt Andrea über die vorgetragenen Kritikpunkte: „ändert sich auch wieder unsere Wahl.“

Doch nicht alle Scholvener werten die Situation so negativ wie das Ehepaar. „Ich hoffe, dass wir nicht einen kompletten Rechtsruck bekommen“, sagt Maurice, 33: „Aber wir sollten ein bisschen mehr für uns tun.“ Dass ausgerechnet in Scholven, wo der Ausländeranteil mit 18 Prozent deutlich unter dem stadtweiten Durchschnitt von 26 Prozent liegt, die AfD so stark abschneidet, wundert ihn zwar. Nicht jedoch der allgemeine Trend: „Die AfD ist überall hochgesprungen – durch die Versäumnisse der Politik.“ 

Rentner wünscht sich mehr Austausch und bessere Integration

Rentner Dieter ist erst vor einem Jahr in den Gelsenkirchener Norden gezogen. Auch er kommt schnell auf den hohen Ausländeranteil und laute Jugendliche zu sprechen, die ihm mit seinem neuen Umfeld fremdeln ließen. Nachrichten wie der Überfall auf einen 63-jährigen Spaziergängers durch drei junge Männer im Vorjahr lösten dann nachhaltige Verunsicherung bei ihm aus. Den hohen AfD-Wähleranteil halte er zwar für erschreckend. „Aber wenn man sich das Umfeld anguckt, kann man es nachvollziehen“, sagt der Zuzügler.

Seine Schlussfolgerung sind allerdings nicht geschlossene Grenzen oder massenhafte Abschiebungen. „Es wäre nicht schlecht, wenn man mal untereinander warm würde“, wünscht sich Dieter ein besseres Miteinander im Viertel. Das beginne bereits mit kleinen Gesten, wie sich gegenseitig zu grüßen. 

Gegenwärtig gebe es jedoch keinen wirklichen Austausch zwischen der deutschen und ausländischen Bevölkerung in Scholven, so seine Beobachtung.  Was die Politik unternehmen sollte? „Gute Frage“, sagt der Rentner und antwortet nach kurzer Bedenkzeit: „Sie sollte sich mal mit den Problemen beschäftigen.“ Er erwarte keine großen Reden. Helfen könnten Begegnungsorte und eine bessere Quartiersarbeit, um die Integration zu fördern. Dieters Wunsch: „Eine Gemeinschaft, die gut miteinander auskommt und sich gegenseitig versteht.“