Robert Habeck und Annalena Baerbock müssen auf Sahra Wagenknecht warten. In der Bundespressekonferenz spricht am Morgen nach der Wahl erst die BSW-Chefin, die denkbar knapp den Einzug in den Bundestag verpasst hat. Danach sind die Grünen an der Reihe. Mit versteinerten Mienen und kleinen Augen betreten sie den Saal, aus dem man einen Blick aufs Kanzleramt hat.
Mit nur 11,6 Prozent haben die Grünen mit ihrem Kanzlerkandidaten Habeck ihr eigentliches Wahlziel weit verfehlt. Die Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung in einer Kenia-Koalition mit Union und SPD war jedoch erst spät in der Nacht endgültig zerplatzt, als das Ergebnis des BSW feststand. Wagenknecht als letzte Hoffnung für Habeck und Baerbock – eine, der vielen ironischen Wendungen eines langen Wahlabends.
Von Selbstkritik ist im Moment seines Abschieds jedoch kein Ton zu hören
So aber ist das Desaster für die Grünen perfekt und Habeck zieht am Montagmorgen Konsequenzen: „Die Partei wird sich in einer neuen Rolle neu aufstellen“, sagt der Noch-Vizekanzler und macht klar, dass er kein Teil des Neuanfangs sein wird. „Ich werde keine führende Rolle in den Personaltableaus der Grünen beanspruchen oder anstreben.“ Nach SPD-Kanzler Olaf Scholz und FDP-Chef Christian Lindner ist Habeck der letzte Ampel-Frontmann, der aufgeben muss.
"Das Angebot war top, die Nachfrage war nicht so dolle" Robert Habeck, Grünen-Kanzlerkandidat über das schwache Wahlergebnis.
Von Selbstkritik ist im Moment seines Abschieds jedoch kein Ton zu hören. „Es war ein großartiger Wahlkampf“, sagt Habeck trotz der massiven Verluste. Die Mobilisierung der Partei sei stark gewesen, die Kampagne toll, die Performance im Netz habe eine „unglaubliche Reichweite“ erzielt. „Das war der Wahlkampf, den ich führen wollte“, sagt Habeck.
Nur das Ergebnis stimme eben nicht. „Das Angebot war top, die Nachfrage war nicht so dolle“, sagt Habeck auf Nachfrage schmalllippig.
Ausführlicher äußert sich Annalena Baerbock, doch auch mit mehr Worten bleibt sie vage. Als Co-Spitzenkandidatin war sie ebenfalls in der ersten Wahlkampfreihe, vertritt als Reala einen ähnlichen inhaltlichen Kurs wie Habeck. Doch Verantwortung für die Wahlniederlage und den Gang in die Opposition übernimmt Baerbock an diesem Tag nicht. „Das besprechen wir in unseren Gremien, und zwar ganz in Ruhe“, sagt sie auf Nachfrage.
„Die Realos sind komplett blank“
In ihrer Partei gilt es jedoch als sicher, dass die Außenministerin an die Spitze der geschrumpften Bundestagsfraktion wechseln will. Personell wäre es nur ein Neustart light für die Grünen. Nicht alle in der Partei sind überzeugt.
„Zu Baerbock gibt es keine Alternative“, sagt ein gut vernetzter Grüner kritisch über seinen eigenen Parteiflügel, der personell keine neuen Führungspersönlichkeiten hervorbringen würde: „Die Realos sind komplett blank.“
Im linken Flügel der Partei, der in der neuen Bundestagsfraktion wieder eine Mehrheit haben wird, scheint es keinen großen Widerstand gegen Baerbock zu geben. Seit zwölf Jahren sitzt die 44-Jährige im Bundestag und gilt als bestens vernetzt auf Funktionärsebene.
„Das darf aber keine Entscheidung für in vier Jahren sein“, betont ein Parteilinker über ihre mögliche Wahl. Die Oppositionsbank soll nicht zum Sprungbrett für eine erneute Kanzlerkandidatur werden.
Dröge gilt parteiintern als eine der wenigen Wahlgewinnerinnen
Neben Baerbock scheint vom linken Parteiflügel Katharina Dröge als gesetzt. Die aktuelle Fraktionsvorsitzende, die in Köln überraschend ihren Wahlkreis gegen SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gewinnen konnte, gilt als strategisch versiert und hat die Fraktion in den Ampel-Jahren gut zusammengehalten. Zudem gelten Dröge und Baerbock, die beide etwa gleich alte Kinder haben, als befreundet.
Dröge gilt parteiintern als eine der wenigen Wahlgewinnerinnen. Mit ihrem wirtschaftspolitischen Profil sei sie eine pragmatische Parteilinke, der es bislang jedoch an Außenwirkung fehle, konstatieren Realo-Grüne. Konkurrenz könnte Dröge wohl nur Ex-Parteichefin Ricarda Lang machen. Doch die scheint ihre Zukunft eher als Chefhaushälterin der Grünen zu sehen.
Mit 63 Jahren gehört Haßelmann nicht mehr die Zukunft bei den Grünen
Damit das Fraktions-Duo Baerbock-Dröge möglich wird, müsste zudem eine erfahrene Parlamentarierin ihren Posten räumen: Britta Haßelmann. Sie hatte gemeinsam mit Dröge in den Ampel-Jahren die Fraktion geführt und war bei vielen Abgeordneten beliebt. Doch mit 63 Jahren gehört Haßelmann nicht mehr die Zukunft bei den Grünen. So scheint es nur logisch, dass sie offenbar Ambitionen auf das Amt der Vize-Bundestagspräsidentin verfolgt.
Am Montag sagt Haßelmann jedoch öffentlich, dass sie sich für den geschäftsführenden Fraktionsvorstand bewerben werde. Für wie lang sie das Amt dann ausführen würde, bleibt aber unklar.
„Wir haben keine Idee davon, welche Rolle wir einnehmen wollen“
Einigen Grünen geht es mit der Neuaufstellung nach der Wahl deutlich zu schnell. Für die Opposition, das räumen viele Grüne am Tag nach der Wahl ein, sei man nicht gut vorbereitet. „Wir haben keine Idee davon, welche Rolle wir einnehmen wollen“, sagt eine Abgeordnete.
Strittiger als das Personal scheint der Kurs, mit dem die Grünen in den nächsten vier Oppositionsjahren wieder Vertrauen gewinnen wollen. Viele Parteilinke wollen sich nach dem gescheiterten Habeck-Wahlkampf wieder stärker der eher linken Kernklientel zuwenden.
Ein Kurs, vor dem führende Realos, wie Cem Özdemir bereits am Wahlmorgen warnen. Die Grünen hätten fast genau so viele Stimmen an Union, BSW und sogar die AfD verloren.
Habeck: „Ich rate denen jetzt gar nichts“
Wer auch immer in der Krise bei den Grünen nun übernimmt, braucht ein glückliches Händchen. Robert Habeck will davon nichts mehr wissen. „Ich rate denen jetzt gar nichts“, sagte er über den Kurs der Grünen für die Zukunft. Seine eigene ließ er offen. Ob er einfacher Bundestagsabgeordneter wird, wurde er gefragt. „Die Antwort gebe ich, wenn die Gremien aufgestellt sind.“ Es klingt nach dem Ende der Ära Habeck.
Von Felix Hackenbruch
Das Original zu diesem Beitrag "Nach Habecks Rückzug: Baerbock will bei den Grünen jetzt den Ton angeben" stammt von Tagesspiegel.