Nach Wahl-Erfolg - Zu neuer AfD-Fraktion gehören wohl mehr Extremisten: Das stellt Partei-Strategie auf die Probe

Wenn sich die neuen Abgeordneten in den nächsten Tagen mit ihrem Mandat, den Gepflogenheiten im Bundestag und ihren Büros vertraut machen, sind darunter besonders viele, die für die AfD ins Parlament einziehen. 

Ihr Ergebnis hat die Partei verdoppelt. Von den nun 152 Abgeordneten sind laut Parteiangaben sogar 92 zum ersten Mal im Bundestag.

Das stellt nicht nur das Parlament, sondern auch die AfD selbst vor Herausforderungen. Denn: Rassismus, Geschichtsrevisionismus und antidemokratische Vorstellungen äußern sich bei der Partei weniger in Programmen und Anträgen als in Äußerungen ihrer Vertreter. Und darauf stützen sich etwa Einordnungen der Geheimdienste.

Im 21. Deutschen Bundestag werden auch alte Bekannte sitzen – der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland etwa, der die Zeit des Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ bezeichnete. 

Helferich war großen Teilen der AfD zu extrem, jetzt sitzt er im Bundestag

Oder Matthias Helferich, der sich selbst in einem Chat als „das freundliche Gesicht“ des Nationalsozialismus bezeichnet hatte.

Helferich war sogar großen Teilen der eigenen Partei zu extrem und wurde daher in der vergangenen Legislatur nicht in die AfD-Bundestagsfraktion aufgenommen. Nun zieht der Abgeordnete aus NRW wieder ein.

Und auch die Personalie Maximilian Krah setzt die Parteiführung unter Druck. Der ehemalige Europa-Spitzenkandidat durfte wegen Spionageverdachts gegen einen Mitarbeiter und Bestechungsvorwürfen nicht einmal mehr auftreten. Krah hatte außerdem in einem Interview erklärt, nicht alle Mitglieder der SS seien Verbrecher gewesen.

Wie gefährlich kann der AfD ihre eigene Unberechenbarkeit werden?

Der Europaabgeordnete, der zum völkischen Lager rund um den thüringischen AfD-Landeschef Björn Höcke gezählt wird, zog nun mit 44 Prozent als Direktkandidat ein, Gauland mit mehr als 32 Prozent.

Und dann sind da eben noch die 92 neuen Gesichter. Wie gefährlich kann der Partei ihre eigene Unberechenbarkeit werden? Werden Helferich und Krah aufgenommen? 

Diese Frage wurde auch in der ersten Pressekonferenz am Tag nach der Wahl gestellt. AfD-Parteichefin Alice Weidel erklärte: „Wir greifen der Entscheidung der Fraktion, die sich morgen konstituiert, nicht vorweg.“

Parteichef Tino Chrupalla ergänzte, zunächst konstituierten sich nun die Landesgruppen, da werde man schon sehen, wie groß der Rückhalt für die Genannten sein werde. Dennoch hätten auch diese AfD-Abgeordneten im Bundestag eine Bühne.

„Neue AfD-Fraktion mit vielen Charakteren, klar, das gehört auch dazu“

Weidel spielte das Thema herunter und betonte: „Wir freuen uns auf die neuen Kollegen. Es ist keine besondere Herausforderung, mit 150 Abgeordneten umzugehen.“ 

Die Infrastruktur für die Fraktion sei aufgebaut, das sei das Wesentliche. Man freue sich auf eine „neue Dynamik“. Außerdem kenne man ja bereits viele Abgeordnete, die zuvor etwa in Landtagen gewesen seien.

Weidel und Chrupalla wollen wieder gemeinsam für den Fraktionsvorsitz kandidieren. Die Doppelspitze habe sich bewährt. In dieser Funktion werden vor allem sie sich mit denjenigen auseinandersetzen müssen, die den Kurs der Partei – regierungsfähig zu wirken – torpedieren.

Chrupalla erklärte, er hoffe angesichts der vielen Neuen auf zusätzliche „Qualität“ in der Fraktion, schränkte aber ein: Es sei eine Fraktion „mit vielen Charakteren, klar, das gehört auch dazu“.

Welches Risiko stellen solche „Charaktere“ in einer Partei dar, die Geschlossenheit zeigen will?

„Die Normalisierungsstrategie der Partei erschwert“

Benjamin Höhne, Professor für Politikwissenschaften an der TU Chemnitz, erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: „Die AfD hat über die Jahre dazugelernt, Erfahrungen gesammelt und verhält sich geschickter bei Meinungsäußerungen, die eine rechtsextremistische Grundlage haben.“

Höhne schlussfolgerte: „Insofern würde ich erst mal nicht davon ausgehen, dass die Vergrößerung der Fraktion mehr Anhaltspunkte für einen rechtsextremen Kern der Partei liefern wird. Aber sicherlich wird so die Normalisierungsstrategie der Partei erschwert.“

Bei Entgleisungen drohen Strafen: „Das reicht von Ermahnungen über Geldstrafen bis dahin, einem Abgeordneten für eine gewisse Zeit das Rederecht im Plenum zu entziehen“

Wie kann die Fraktion mit Abweichlern von diesem Kurs umgehen? Der Pressesprecher der AfD-Fraktion, Marcus Schmidt, sagte dem Tagesspiegel: „Die Fraktion hat unterschiedliche Möglichkeiten, Mitglieder zu sanktionieren. Das reicht von Ermahnungen über Geldstrafen bis dahin, einem Abgeordneten für eine gewisse Zeit das Rederecht im Plenum zu entziehen.“

Konkret: „Der entsprechende Abgeordnete dürfte dann etwa für die nächsten drei, vier Parlamentswochen keine Reden im Plenum halten. Das Rederecht innerhalb der Fraktion ist davon natürlich nicht berührt“, sagte Schmidt.

Mögliche Sanktionen hätten an sich schon einen gewissen Disziplinierungseffekt, so der Pressesprecher. In der vergangenen Legislatur seien sie aber „sehr selten“ zum Einsatz gekommen.

Am Dienstag konstituiert sich die AfD-Fraktion und wählt einen neuen Vorsitz. In den nächsten Tagen werden die Abgeordneten zu Abläufen in Parlament und Fraktion unterrichtet – ein Punkt: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.

Von Stefanie Witte

Das Original zu diesem Beitrag "152 Abgeordnete im Bundestag: Wie wird die AfD mit Extremisten in der Fraktion umgehen?" stammt von Tagesspiegel.