Kemptener OB Thomas Kiechle im Interview über seine Arbeit im Bayerischen und im Deutschen Städtetag
Kemptens Oberbürgermeister Thomas Kiechle ist Mitglied im Deutschen und Bayerischen Städtetag.
Kempten – Im Kreisboten-Interview erzählt er über seine Tätigkeit in diesen Organisationen.
Herr Kiechle, welche Funktionen haben Sie in den beiden Gremien und seit wann?
Im Bayerischen Städtetag gehöre ich seit zehn Jahren dem Vorstand an und bin Mitglied im Finanzausschuss. Im Deutschen Städtetag gehöre ich dem Hauptausschuss an.
Den Bayerischen Städtetag gibt es seit mehr als hundert Jahren. 25 kreisfreie, 29 große kreisangehörige und über 200 weitere Städte sind Mitglied. Wir vertreten weit mehr als die Hälfte der bayerischen Bevölkerung. Der Vorstand wird von der Vollversammlung gewählt und legt die politischen Leitlinien fest. Es gibt insgesamt zwölf Fachausschüsse.
Es handelt sich um die Lobbyorganisation der bayerischen Städte …
Ja, aber es geht um deutlich mehr. Der Städtetag in Bayern hat Verfassungsrang. Er verfügt über ein Mitspracherecht im Gesetzgebungsverfahren. Wir stehen in engem Kontakt mit der Staatsregierung, den Ministerien und vielen gesellschaftlichen Organisationen und haben immer die Belange der Kommunen im Blick und machen diese sichtbar. Der Städtetag hat die Aufgabe, die zum Funktionieren der Kommunen notwendigen Ressourcen einzufordern. Da alle Mitglieder gewählte Stadtoberhäupter sind, haben wir eine klare demokratische Legitimation.
Welche Themen stehen zurzeit im Mittelpunkt?
Die Kommunen erhalten ein Siebtel der gesamten Steuereinnahmen, müssen aber ein Viertel der gesamten Aufgaben leisten. Da gibt es ein deutliches Missverhältnis, das in den letzten Jahren entstanden ist, weil die Aufgaben massiv gestiegen sind. Diese problematische Entwicklung führt dazu, dass es sehr schwer ist, ausgeglichene, genehmigungsfähige Haushalte aufzustellen.
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Am schlimmsten ist das daraus resultierende Wahrnehmungsproblem. Ob der demokratische Staat seine Aufgaben erfüllt, erleben die Bürgerinnen und Bürger direkt in den Kommunen: Funktioniert die Infrastruktur? Die Schulen, die Kitas, die Krankenhäuser, der ÖPNV, die Brücken, die Straßen? Wenn die Dinge nicht mehr gestaltet, sondern nur notverwaltet werden können, wirkt sich das massiv auf die Stabilität der Demokratie aus. Auch Kempten befindet sich aus dieser Sicht in einer Schieflage.
Sind die 100 Milliarden Euro im gerade beschlossenen Sondervermögen für Kommunen die Lösung?
Diese Summe darf man nicht überbewerten. Es ist einerseits die Frage, was bei den Kommunen tatsächlich ankommt. Andererseits werden wir in den kommenden Jahren um Reformen nicht herumkommen, und das gilt für alle politischen Ebenen. Ich hoffe, dass die neue Regierung schmerzhaften Prozessen nicht aus dem Weg geht und die Kraft findet, neue Prioritäten zu setzen, Bürokratie abzubauen, die Strukturen zu entschlacken und die finanziellen Mittel neu zu verteilen. Das Konnexitätsprinzip soll wieder gelten: Wer Aufgaben auf die Kommunen überträgt, muss diese auch voll finanzieren. Als Beispiel will ich den Anspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen nennen. Man muss anfangen, grundsätzlich neu zu denken: Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Der zweite Teil wird überhaupt nicht mehr gelebt, was einen erheblichen bürokratischen Aufwand erfordert. Außerdem müssen wir uns besser vernetzen und dabei die Chancen der Digitalisierung nutzen.
Wie profitiert Kempten von Ihrem Engagement im Städtetag?
Wir sind schnell und gut informiert über die aktuellen Entwicklungen. Man profitiert von dem persönlichen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen. Überall ist man mit den gleichen Themen konfrontiert. Im Wesentlichen gibt es hierbei keinen Unterschied zwischen großen und kleinen Kommunen. Deswegen findet die Kommunikation auf Augenhöhe und auf der Sachebene, unabhängig von der politischen Zugehörigkeit statt. Der Umgang miteinander ist respektvoll und es geht im Grunde darum, wer wie die Probleme löst. Ich nehme von jedem Besuch etwas mit, manchmal sind es nur Kleinigkeiten. Zum Beispiel habe ich die Idee eines öffentlichen Weihnachtssingens aus Würzburg aufgenommen und in Kempten umgesetzt.
Könnte Ihr persönliches Engagement im Städtetag der erste Schritt Richtung Landes- oder Bundespolitik sein?
Nein. Das Amt des Oberbürgermeisters ist wirklich das schönste politische Amt, das es gibt. Die direkte Nähe zu den Bürgern hat man sonst nirgendwo. Zugleich verfügt man über eine große Gestaltungsmöglichkeit.
Wäre es für Sie vorstellbar, mal den Vorsitz zu übernehmen?
Nach dem Ausscheiden von Ulrich Maly war die CSU an der Reihe bei der Besetzung des Vorsitzenden. Im Gespräch waren damals Straubing und Kempten. Mit Markus Pannermayr haben wir uns darüber freundschaftlich auseinandergesetzt und eine gute Lösung gefunden, mit der ich gut leben kann, weil er sein Amt hervorragend ausübt.
Bringt das Engagement für Sie persönlich Vorteile?
Der Hauptausschuss des Deutschen Städtetags trifft sich dreimal im Jahr, jedes Mal in einer anderen Stadt. Die Begegnung mit Kollegen aus allen Bundesländern bedeutet für mich eine große Bereicherung. Ich stelle immer wieder fest, dass das Allgäu und Kempten bundesweit bekannt sind und einen guten Ruf haben. Es wird einem klar, dass wir in vielen Bereichen Grund zur Dankbarkeit haben. Bei Themen wie innere Sicherheit, belebte Innenstadt, Einzelhandel, Wirtschaftsstruktur, Sauberkeit, kulturelles Angebot geht es uns relativ gut. Man merkt es vor allem, wenn man die Situation mancher Städte in Nordrhein-Westfalen anschaut: hohe Verschuldung, Unfähigkeit zu Investitionen, großer Zuzug. Aber wir leben im gleichen Land und sind voneinander abhängig. Und wir wissen alle, dass die Kommunen fundamental wichtig sind und dass wir nicht aufhören dürfen, das gegenüber dem Bund und den Bundesländern gemeinsam zu betonen.
Ich fahre gerne zu diesen Städtebegegnungen, weil dort das parteipolitische Gezerre einfach nicht vorhanden ist. Man hat ein gemeinsames Verständnis über eine funktionierende Debattenkultur. Es ist wohltuend, sich mit konkreten Themen zu beschäftigen. Ohne diese Vernetzung könnte ich meine politische Arbeit zu Hause nicht so gut machen.
Als letztes Jahr Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, sich in den Ruhestand verabschiedete, machte er einen Abschiedsbesuch in Kempten, was mich als Zeichen der persönlichen Wertschätzung sehr freute. Bei der gemeinsamen Arbeit entstehen auch Freundschaften: Mit den Oberbürgermeistern von Amberg und Würzburg treffen wir uns einmal im Jahr in einer der drei Städte und führen enge, nahe Gespräche, die uns selbst und unsere Kommunen weiterbringen.
Herr Kiechle, danke für das Gespräch.
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