„Russland muss spüren, was es angerichtet hat“ – Selenskyj äußert sich nach Kurk-Vorstoß erstmals
Der ukrainische Überraschungsangriff in Kursk zeigt Wirkung. Nun äußerte sich auch Wolodymyr Selenskyj erstmals öffentlich zur Lage in Kursk – wenn auch indirekt.
Kiew/Moskau – Obwohl die Ukraine im eigenen Land unter russischem Druck steht, gelang ihren Streitkräften am Dienstag (6. August) ein bemerkenswerter Entlastungsangriff. Von Sumy aus kommend rückten ukrainischen Soldaten über die russische Grenze hinweg in die Region Kursk vor. Mehreren internationalen Medienberichten zufolge gelang es der Ukraine, einzelne Dörfer in der Region einzunehmen.
Wladimir Putin rief bereits am Tag des Grenzübertritts den Ausnahmezustand für die Region Kursk aus. Während rund 3000 Anwohner evakuiert werden mussten und Russland den Schutz des lokalen Atomkraftwerks verstärkte, gehen die Kämpfe in der westrussischen Oblast weiter. Am dritten Tag nach dem Grenzübertritt seiner Truppen meldete sich nun auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit einer öffentlichen Videoansprache zu Wort.
Selenskyj findet nach Vorstoß in Kursk deutliche Worte: „Ukrainer können ihre Ziele erreichen“
„Russland hat den Krieg in unser Land gebracht und muss spüren, was es angerichtet hat“, sagte Präsident Selenskyj am Donnerstagabend (8. August) in einer Videobotschaft aus Kiew. Den Vorstoß seiner Truppen über die Grenze hinweg nach Russland und die andauernden Kämpfe in Kursk benannte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache aber bewusst nicht explizit namentlich.

Der Bezug seiner Aussage zu den Kampfhandlungen in Kursk dürfte jedoch schon alleine während des Zeitpunkts seines Statements offensichtlich sein. Seiner abendlichen Ansprache fügte der ukrainische Präsident hinzu, dass sein Land so bald wie möglich einen gerechten Frieden erreichen wolle.
„Ukrainer können ihre Ziele erreichen“, sagte Selenskyj in seiner Videobotschaft. Er habe sich vom Oberkommandierenden der Streitkräfte, Olexander Syrskyj, über die Lage in Kursk informieren lassen. Details nannte Selenskyj nicht, betonte aber, dass die Ergebnisse so seien, wie sie das Land derzeit brauche. Zuvor hatte Syrskyj in sozialen Netzwerken ein Foto veröffentlicht, das ihn im Aufmarschgebiet zeigen soll – vermutlich in Sumy unweit der Grenze zu Russland, von wo aus die ukrainischen Soldaten in die Region Kursk eingedrungen sind.
Selenskyj-Berater Podolja: Ukrainische Reaktion ist „absolut ruhig, ausgewogen und objektiv“
Auch Selenskyjs Berater, Mychajlo Podoljak, äußerte sich in einem Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) zum ukrainischen Vorstoß in Kursk. Die Reaktion der Ukraine sei „absolut ruhig, ausgewogen und objektiv“, resümierte Podoljak demnach. Sie sei dem „Geist des internationalen Rechts“ verpflichtet und richte sich nach den „Prinzipien der Führung eines Verteidigungskrieges“, teilte Podoljak in seinem X-Beitrag weiter mit.
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Zuvor hatte die EU erklärt, ukrainische Truppen haben zu ihrer Verteidigung im von Russland initiierten Ukraine-Krieg das Recht, zu Verteidigungszwecken auch russisches Staatsgebiet anzugreifen. Während sich auch einige deutsche Politiker in diese Richtung hin äußerten, zeigten sich andere besorgt.
Angriffe auf russischem Gebiet gehen in der Nacht weiter – Drohnenangriffe in der Ukraine
Auch in der Nacht zum Freitag kam es Berichten zufolge erneut zu Angriffen auf russischem Gebiet. Neben Kursk waren unter anderem die Grenzregionen Belgorod, Brjansk sowie das Gebiet Lipezk, rund 450 Kilometer südlich von Moskau betroffen. In der Ukraine gab es in der Nacht auf Freitag ebenfalls zahlreiche Drohnenangriffe aus Russland.
„Lipezk ist einer massiven Drohnenattacke ausgesetzt“, wurde der Gouverneur des Gebiets, Igor Artamonow, von staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zitiert. „Die Luftabwehr arbeitet dagegen an“, hieß es demnach. Beim Absturz einer Drohne sei eine Elektrizitätsanlage beschädigt worden. Infolgedessen sei es zu Stromausfällen gekommen. Zudem sei es fernab ziviler Infrastruktur zu einer „Explosion von Gefahrstoffen“ gekommen, fügte Artamonow hinzu.
Militärexpertin hält ukrainischen Vorstoß in Russland für politisch „sehr erfolgreich“
Da sich Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache nicht direkt zur Operation seiner Streitkräfte in Kursk äußerte, muss auch die konkrete Zielsetzung der Ukraine in Kursk vorerst Gegenstand von Mutmaßungen bleiben. Denkbar ist, dass Kiew hiermit das Ziel verfolgt, russische Truppen lokal zu binden – auch, um Truppenverschiebungen Putins zu erschweren und Russland neben logistischen auch vor strategische Herausforderungen zu stellen.
Nahe liegt aber auch, dass Putin den Schutz des örtlichen AKW in Kursk erhöhte, weil er sich um eine mögliche baldige Übernahme durch ukrainische Truppen sorgt. So hält etwa der russische Militärexperte Jurij Fjodorow es durchaus für möglich, dass das Kursker AKW zum Ziel des ukrainischen Vorstoßes werden könnte: „Wenn die ukrainischen Truppen das AKW Kursk erobern und besetzen können, dann bestünde die Aussicht, das AKW Kursk gegen das AKW Saporischschja einzutauschen“, wie er es gegenüber einem unabhängigen YouTube-Kanal ausdrückte.
Jade McGlynn, eine Ukraine-Expertin und Forschungsstipendiatin am King‘s College London, äußerte sich gegenüber dem britischen Guardian zur aktuellen Lage in Kursk: „Als militärische Strategie bleibe ich ein wenig ratlos, aber als politische Strategie war sie sehr erfolgreich. Es zeigt einmal mehr, dass Putins ‚rote Linien‘ nur Worte sind und dass Russland nicht so stark ist, wie manche behaupten.“ (fh)