Neuwahlen in Frankreich: Riskantes Spiel – Macron will Le Pen wohl eine Falle stellen
Macrons Ankündigung von Neuwahlen überraschte. Will er, dass Le Pen gewinnt? Womöglich setzt der Präsident auf Entzauberung gegen Entteufelung.
Paris – Die „dédiabolisation“, zu Deutsch Entteufelung, durch Marine Le Pen trug das Rassemblement National (RN) an die Spitze der französischen Wählergunst bei der Europawahl. Die rechtspopulistische Partei errang 31,36 Prozent der Stimmen und deklassierte Macrons Partei Renaissance, die mit 14,60 Prozent auf weniger als die Hälfte kam. Der Schritt des französischen Präsidenten, deswegen noch am Wahlabend auf nationaler Ebene Neuwahlen für das Parlament der Republik anzukündigen, sorgte durch die Bank für Erstaunen. Möglicherweise zielt sein Kalkül darauf ab, dass sich die Rechtspopulisten um Parteichef Jordan Bardella in den Augen der Franzosen selbst disqualifizieren.
Der britische Telegraph berichtete unter Berufung auf dem Élysée-Palast nahestehende Quellen, dass es sich um eine „Falle“ handele, die Macron den Rechtsnationalen gestellt habe. Eine solche Quelle teilte der Nachrichtenagentur Reuters mit, der Präsident hoffe darauf, in den Neuwahlen bestenfalls die parlamentarische Mehrheit zurückgewinnen und Boden wiedergutmachen zu können, den Renaissance 2022 verloren hatte. Sollte das aber nicht gelingen, so die Quelle weiter, und der RN stattdessen die meisten Stimmen in der Nationalversammlung erhalten, pokere Macron darauf, dass drei Jahre Populismus den Menschen in Frankreich die Inkompetenz der rechten Partei enthüllen und ihre Bewerbung um das Präsidentenamt 2027 untergraben würden.

Neuwahlen in Frankreich: Verhilft Macron Le Pen an die Regierung, um ihre Inkompetenz zu zeigen?
Ein Renaissance-Mitglied äußerte sich gegenüber Europe 1 ähnlich: „Die Kohabitation mit dem RN könnte auch ein Weg sein, um ihn vor 2027 großartig abstürzen zu lassen.“ Als „Kohabitation“ wird es in Frankreich bezeichnet, wenn der Präsident der Republik einer anderen Partei angehört als jener, die stärkste Kraft im Parlament ist und daher den Premierminister und die Regierung stellt.
Derzeit stehen 169 Renaissance-Abgeordnete in Frankreichs 577-Sitze-Nationalversammlung 88 RN-Delegierten gegenüber. Gemeinsam mit Macrons Verbündeten Modem und Horizons kommt seine Regierungskoalition auf eine relative Mehrheit von 250 Stimmen, 289 brauchte sie für eine absolute Mehrheit. Aus diesem Grund muss die Regierung von Premierminister Gabriel Attal immer wieder auf Mehrheitssuche gehen, um Gesetze durchzubringen, wenn sie das Vorhaben nicht wie die umstrittene Rentenreform unter Anwendung des Artikels 49.3 durchdrücken will.
Macron spielte angeblich mit dem Gedanken, selbst zurückzutreten
Ein Vertrauter von Macron deutete sogar an, dass der Staatschef in den vergangenen Wochen über eine noch radikalere Maßnahme nachgedacht hatte: „Der Rücktritt des Präsidenten ist kein Tabu“, sagte der anonyme Gesprächspartner laut Europe 1. Man müsse heute alle Szenarios in Erwägung ziehen, Macron sei jedenfalls „bereit, das Ende seiner fünfjährigen Amtszeit zu opfern“, zitierte ihn der französische Sender weiter.
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Während die Linke in Frankreich zersplittert ist, kündigen die Républicains „Allianz“ mit Le Pen an
Die traditionelle Zersplitterung der französischen Linken erschwert es den demokratischen Parteien indessen, Schulter an Schulter gegen Rechts zu stehen. Dennoch beraten derzeit Vertreter der vier linken Parteien – Grüne, Linkspopulisten, Sozialisten und Kommunisten – darüber, ob sie sich für die nahe Nationalversammlungs-Wahl zur Volksfront vereinigen. Seit 1934, als sich aus Furcht vor einem faschistischen Staatsstreich die bisher einzige Volksfront-Regierung in Frankreich bildete, taucht der demokratische Sammlungsbegriff immer wieder in der französischen politischen Debatte auf, ohne jedoch zu verfangen.
Die konservativen Républicains gewannen 2022 61 Sitze in der Nationalversammlung. Ihr Chef Eric Ciotti kündigte währenddessen auf dem französischen Sender TF 1 für die kommende Wahl eine „Allianz mit dem Rassemblement nationale“ an. Sein Vorstoß rief scharfe Kritik hervor, auch aus den eigenen Reihen. Führende Vertreter der Républicains wie die Pariser Regionalvorsitzende Valérie Pécresse und ihr Fraktionsvorsitzender in der Nationalversammlung Olivier Marleix hatten sich schon zuvor dezidiert gegen eine zukünftige Zusammenarbeit mit dem RN ausgesprochen. Marleix forderte Ciotti inzwischen dazu auf, seinen Posten als Parteivorsitzender zu räumen. (Michael Kister)