Martin Fink und Dr. Christine Müller Horn erzählen über ein Jahrzehnt gemeinsame Kulturarbeit in und für Kempten
Seit einem guten Jahrzehnt (Juni 2014) bestimmen sie maßgeblich das kulturelle Leben der Stadt: Kulturamtsleiter Martin Fink (46) und Museumsleiterin Dr. Christine Müller Horn (49). Die Vorstellung des studierten Archäologen, Ägyptologen und Musikpädagogen sowie der Volkskundlerin, Germanistin und promovierten Kunsthistorikerin gehörte damals zu den ersten Amtshandlungen von Oberbürgermeister Thomas Kiechle.
Kempten – Der Kreisbote bat die beiden, Bilanz zu ziehen und über zukünftige Entwicklungen zu sprechen.
Herr Fink, Sie waren vorher stellvertretender Amtsleiter und haben Ihr neues Amt gleichzeitig mit einem neuen Oberbürgermeister angetreten. Was verbinden Sie mit OB Kiechle in der Kulturpolitik?
Fink: Mit Herrn Kiechle gab es von Anfang an einen guten Boden für die Kulturentwicklung. Wir erhielten viel Handlungsfreiheit und Vertrauen. Mit Unterstützung der Stadtpolitik konnten wir zielgerichtet an der kulturellen Entwicklung der Stadt arbeiten.
Frau Müller Horn, für Sie war die Übernahme der Museumsleitung ein Neuanfang in Kempten. Wie waren die Startbedingungen?
Müller Horn: Es gab von Anfang an eine große Offenheit für unsere Vorschläge. Klares Ziel war, die Museumslandschaft auf nachhaltige Füße zu stellen.
Sie sprechen beide von Zielen. Können Sie diese genauer beschreiben?
Fink: Wir wollten anhand konkreter Beispiele schnell zeigen, was wir langfristig vorhaben: Das kulturelle Angebot der Stadt und parallel dazu das Kulturamt strategisch weiterentwickeln. Schauen wir als Modell die erste von Christine Müller Horn kuratierte Ausstellung „Beim Zeus!“ an. Zu deren Verwirklichung hat man viel Improvisationstalent gebraucht, die Lampen zum Beispiel waren aus mehreren bayerischen Museen ausgeliehen, der Raum kurzfristig ertüchtigt. Aber wir wussten, was wir zeigen wollen: Kultur ohne Barrieren.
Müller Horn: „Beim Zeus!“ 2017 war die erste Sonderausstellung im Marstall. Wir wollten nicht nur ein schönes Event anbieten, sondern einiges ausprobieren: Wie viel Potenzial steckt in diesem Raum? Lassen sich ausgeliehene Objekte mit solchen aus dem eigenen Bestand kombinieren? Schaffen wir es, Inhalte auch an Kinder und Menschen, die keine langen Texte lesen wollen, zu vermitteln?
Fink: Als wir dem Stadtrat aufzeigten, dass wir unsere Museumslandschaft konsequent auf Familien und Vermittlung ausrichten wollen, reagierte das Gremium: Die Museumspädagogik wurde ausgebaut.
Wie ging es dann weiter?
Müller Horn: Am Anfang war ich allein für sieben Häuser verantwortlich. Um Qualität zu schaffen, war eine Schrumpfung dringend nötig. Unser Ziel war ein neues Stadtmuseum. Gleichzeitig fühlten wir uns verpflichtet, uns um die Sammlung zu kümmern und dafür ein neues Depot zu schaffen. Das Kempten-Museum im Zumsteinhaus wurde 2019 eröffnet und erhielt im Jahr darauf gleich den Preis für das beste Heimatmuseum Deutschlands. Für Kempten ist das Angebot mit einem Stadtmuseum, mit dem international beachteten APC und auf dem Bestand basierenden Sonderausstellungen groß genug. Dass das Konzept aufging, beweisen die Besucherzahlen: 2014 lagen sie in allen Häusern bei 72.000, 2024 bei 120.000.
Fink: Wir haben das noch von Ursula Winkler, unter Oberbürgermeister Dr. Netzer, ausgearbeitete Museumskonzept übernommen und um etliche Ideen erweitert. Dieses basiert auf drei Themen: Römer, Allgäu und Kempten. Die Hoffnung, im Marstall ein Allgäu-Museum aufzubauen, werden wir nicht aufgeben. Aber bis das möglich sein wird, kann man das Thema mit Sonderausstellungen gut bedienen. Die Sammlung bietet sehr viel Material dafür.
Müller Horn: Ich finde, wenn man die Kulturlandschaft in Kempten anschaut, haben wir damit genügend Museen. Ein Allgäu-Museum im Marstall wäre natürlich toll, ist aber in der heutigen Haushaltslage nicht realistisch. Die großen Institutionen, wie zum Beispiel das Theater, leisten auch hervorragende Arbeit. Wichtiger für die Zukunft ist, das Kulturangebot weiter zu streuen: Mehr tun müssen wir für die Stärkung der Jugend-, der Sozio- und der alternativen Kultur. Wir sind keine Event-Agentur, wir müssen so viele Menschen wie möglich einbinden.
Fink: Damit wären wir bei unserem nächsten Schwerpunktprojekt, bei der Erstellung des Kulturentwicklungskonzepts (KEKK), dessen Themen und Prioritäten unsere freie Szene erarbeitet hat.
Müller Horn: Die Kulturförderung, die daraus unter der Leitung von Sabine Modzel-Hoffmann entstand, ist ein Meilenstein. Sie erleichtert Planungen in der freien Szene. Wenn man weiß, dass die Stadt einen unterstützt, werden für die Akteure neue Chancen eröffnet.
Fink: Im Kulturquartier – ein klar definiertes Ziel des Konzeptes – entwickelt ein sehr rühriger Verein einen Ort des Austausches, vor allem für die freie Szene. Und darum ging es uns beim KEKK: Wir wollen als Katalysator und Lobbyisten für unsere bunte und sehr professionell agierende freie Szene fungieren.
Als ein Dreh- und Angelpunkt des kulturellen Austausches haben sich auch die Bewegten Donnerstage etabliert. Von wem stammt die Idee und woher kommt der Name?
Müller Horn: Ein Forum für Diskussionen, bei dem die Bürgerschaft sich am Diskurs zu Gegenwartsthemen beteiligen kann, gehörte für mich schon immer zum Wesenskern unseres partizipativen Museumskonzepts. Es steht sogar in unserem Leitbild. Die Namensfindung war ein längerer Prozess, es gab mehrere Gespräche. Laura Cadio, Jana Möller-Schindler, Kerstin Batzel und ich kamen gemeinsam schrittweise auf den endgültigen Namen. Uns war es wichtig, dass wir damit gleich nach der Eröffnung des Museums starten. Bereits die erste Veranstaltung war im Nu ausgebucht und das Interesse hat bis heute nicht nachgelassen.
Für unsere Arbeit sind die Bewegten Donnerstage ganz wichtig: Wir können Themen austesten und mit der Stadtgesellschaft ins Gespräch kommen. Die Expertinnen und Experten von außerhalb, die Laura Cadio in Absprache mit uns zielgerecht aussucht, bringen wertvolle Impulse für unsere Arbeit. Diese Veranstaltungsreihe ist auch die Plattform, bei der wir Themen für die Diskussion in der Stadtgesellschaft setzen. Der Vortrag von Prof. Martina Steber gab zum Beispiel den Startschuss für die öffentliche Auseinandersetzung mit der kommunalen Erinnerungskultur.
Damit wären wir bei einem weiteren Schwerpunkt der letzten Jahre.
Fink: Hier gab es zwei Auslöser: die konkrete Diskussion um einen Straßennamen und den Wirbel im Nachklang eines Vortrages von Prof. Martina Steber. Und wie bei jedem großen Thema kann auch die Bearbeitung der Erinnerungskultur nur im engen Verzahnen der einzelnen Abteilungen und einer Vielzahl an Kooperationspartnern gelingen. Möglich wurde es erst nach dem Abschluss des ressourcenintensiven Kulturentwicklungskonzeptes.
Müller Horn: Hier gibt es wieder eine exemplarische Ausstellung. Wir werden zeigen, dass die Kälberhalle als Ausstellungsort funktioniert. Wir wollen dort nicht nur einen Erinnerungsort schaffen, mit einer passiven Rückschau, sondern ein Erinnerungslabor, wo aktive Demokratiebildung stattfindet.
Was ist der aktuelle Stand beim Projekt Erinnerungskultur?
Fink: In der ersten Phase haben wir uns zum Ziel gesetzt, ein wissenschaftliches Grundlagenwissen zu bekommen über eine Zeit, über die dieses weitgehend nicht vorhanden war. Jetzt wechseln wir schrittweise in die nächste Phase, in der wir mit diesem Wissen nach außen gehen, zu Austausch, Meinungsbildung und Vermittlung schreiten. Das Projekt „Butter, Vieh, Vernichtung“ in Zusammenarbeit mit Cultura Kulturveranstaltungen e. V. ist für uns hierbei Gold wert.
Lassen Sie mich raten: Der nächste Arbeitsschwerpunkt wird die Landesausstellung 2029 werden.
Fink: Die archäologische Landesausstellung bietet uns eine riesige Chance, wichtige Akzente in unserer Kulturlandschaft zu setzen. Um Kemptens archäologisches Erbe aufzubereiten und auf internationaler Bühne zu zeigen. Die Archäologische Staatssammlung in München übernimmt bei der Planung und Durchführung die federführende Rolle, den Kemptener Part betreut unsere Kollegin Dr. Maike Sieler. Wir nutzen die Gelegenheit außerdem, um die ohnehin ausgezeichnete Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in Augsburg zu verfestigen.
Müller Horn: Dr. Maike Sieler, unsere führende Archäologin, hat es geschafft, Kempten wieder auf die wissenschaftliche Landkarte zu setzen. Die mit der Archäologie der LMU durchgeführten Grabungen werden international beachtet, es gab dazu sogar in Indien eine Publikation. Maike Sieler ist sowohl in der wissenschaftlichen Forschung als auch bei lokalen und überregionalen Fachstellen gut vernetzt und anerkannt.
Fink: Wir haben insgesamt hervorragende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die oft internationales Renommee mitbringen und sich bewusst für Kempten entschieden haben, weil der Boden für kulturelle Arbeit hier ein guter war.
Müller Horn: Denken Sie nur an die Eiszeitausstellung, übrigens mit 44.000 Interessierten die bisher meist besuchte in Kempten, die von unserer Fachfrau für Bildung und Vermittlung, Dr. Kerstin Batzel, mit kuratiert wurde.
Fink: Zu den Aufgaben der ersten Jahre gehörte es, Personal zu schaffen, damit wir unsere Aufgaben in guter Qualität bearbeiten können. Es genügt nicht, ein Haus zu errichten und der Öffentlichkeit zu übergeben. Es muss leben, braucht eine Leitung, die diese Lebendigkeit immer neu konzipiert. Sehen Sie sich den APC an, der unter Maike Sieler kontinuierlich fortentwickelt wird (Dauerausstellung, Außenrundgang, Römerbox, Römerfest usw.) und es der Stadt mit einer Vervielfachung der Besucherzahlen dankt.
Müller Horn: Aktuelles Beispiel ist die Kunsthalle, die unter der Leitung von Susan Funk mit neuem Leben gefüllt wird.
Das klingt nach einer klaren Setzung von Schwerpunkten, die da über die Jahre Stück für Stück abgearbeitet wurden. Wie behalten Sie im Blick, was in welchem Format machbar scheint?
Fink: Die wichtigsten Themen und „Glaubenssätze“ unserer Arbeit werden seit einigen Jahren in unserer erweiterten Abteilungsleiterrunde verhandelt. Dort skizzieren wir anhand unserer Ressourcen und Schwerpunktsetzungen, welche Themen, Prioritäten und Reihenfolge der Bearbeitung wir der Stadtspitze und der Politik vorschlagen. Für die Durchführung eines Projekts brauchen wir eine abteilungsübergreifende Zusammenarbeit, das gesamte Team.
Müller Horn: Wenn jemand auf seiner Abteilung oder Haus beharren würde, hätten wir keine Chance. Uns gelingt viel, weil wir ein super Team sind.
All das klingt nach einer kontinuierlichen Erfolgsgeschichte ohne Brüche und Rückschläge. Gab es in den letzten zehn Jahren tatsächlich keine?
Fink: Wir waren bei der Planung der neuen Stadtbibliothek schon sehr weit. Die Realisierung ist leider in weite Ferne gerückt. Nun müssen wir versuchen, die Bibliothek im Bestandsgebäude fortzuentwickeln.
Müller Horn: Das Gebäude barrierefrei zu machen mit einem Aufzug oder Treppenlift ins Obergeschoss sollte der städtische Haushalt trotz der aktuellen Lage hergeben. Das würde meiner Meinung nach zur Grundausstattung gehören. Die Stadtbibliothek hat rund 13.000 Nutzerinnen und Nutzer, das Team um Andrea Graf hat das Angebot stark ausgeweitet und leistet eine hervorragende Arbeit bei der Leseförderung.
Fink: Ähnliches gilt auch für das Stadtarchiv. Das Team von Thomas Steck betreut neben seinen alltäglichen Aufgaben den Fachbereich Erinnerungsarbeit mit und bietet erfolgreiche Spezialtage, wie vor kurzem den Tag der Familienforschung.
Man hat den Eindruck, dass Sie gut zusammenarbeiten können. Was ist, was Sie aneinander besonders schätzen?
Fink: Wir ergänzen uns tatsächlich sehr gut. Ich schätze Christines Fachlichkeit sehr hoch. Sie hat ein gutes Gespür für Themen, auch für die, die für die Stadt wichtig sind. Sie ist in ihren Vorstellungen und Aussagen immer sehr klar.
Müller Horn: Das mit dem gegenseitigen Ergänzen stimmt. Wir sind unterschiedliche Kommunikationstypen. Martin ist diplomatisch und verbindlich; er hat ein breites Kulturverständnis und ein großes Gespür für mögliche Chancen und Hindernisse. Ich kann mich auf ihn 100-prozentig verlassen. Wir haben ein sehr gutes Vertrauensverhältnis und die gleiche Vision über das kulturelle Leben in Kempten.
Fink: Wir sprechen unglaublich viel miteinander. Das hat sich seit 2023 noch intensiviert, als Christine Co-Amtsleiterin wurde. Wenn wir uns am Ende einer Diskussion einig werden, dann ist die gemeinsame Idee sicher nicht ganz falsch.
Für die Kultur sind die Zeiten schwieriger geworden. Die finanziellen Möglichkeiten der Stadt werden immer enger und Kultur gehört nicht zu den Pflichtaufgaben. Was heißt das für Ihre Arbeit?
Fink: Da würde ich zuerst einmal widersprechen, und behaupten, die Pflege der Kultur gehört sehr wohl zu den Pflichtaufgaben einer Kommune. Wir spüren aktuell aber alle eine große Unsicherheit. Seit letztem Jahr gibt es einen großen Schnitt durch die finanziellen Einschränkungen in der Haushaltsaufstellung. Aber unsere Leute konnten wir bis jetzt im Wesentlichen behalten. Sie sind die Basis des Erfolgs in allen kulturellen Bereichen.
Müller Horn: Das gilt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Positionen. Wir sind findig und können improvisieren. Aber wenn das Team beschnitten wird, das können wir nicht ersetzen. Uns trägt die Kraft in unserem Team.
Fink: Für uns, wie übrigens für alle Kolleginnen und Kollegen in der Stadtverwaltung, wäre es wichtig, eine klare Linie zu haben: Was steht in den nächsten Jahren an und welche Ressourcen gibt es dafür? Bis jetzt war unser gemeinsames Ziel, bestmögliche Arbeit zu machen, Benchmarks zu setzen. Dadurch haben wir in den letzten Jahren übrigens auch über eine Million Euro an kulturellen Fördermitteln für innovative Projekte nach Kempten geholt. Das funktioniert aber nur, wenn das Team und eigene Ressourcen vorhanden sind. Wenn das in Zukunft nicht mehr möglich ist, brauchen wir eine klare Haltung, damit wir mit der Situation umgehen können. Dazu braucht es auch klare Priorisierungen, an denen wir uns langfristig und verlässlich orientieren. Und auch unsere freie Szene braucht Verlässlichkeit, um nachhaltig und langfristig planen zu können, das gilt besonders, aber nicht nur, für die kulturellen Leuchttürme.
Müller Horn: Es geht darum, dass die Politik und das Kulturamt gemeinsam ein Bild vom möglichen kulturellen Leben entwickeln. Was dabei nicht hilft, ist das hektische Einschieben von Einzelaktionen. Das ist nicht nachhaltig.
Trotz der aktuellen Schwierigkeiten, worauf freuen Sie sich in der nächsten Zeit?
Fink: Dass wir künftig den Marstall wieder als Ausstellungsraum nutzen können und dazu ein Depot, womit sich dort gut arbeiten lässt.
Müller Horn: Auf die Ausstellung „Butter, Vieh, Vernichtung – Nationalsozialismus und Landwirtschaft im Allgäu“ in der Kälberhalle.
Vielen Dank für das Gespräch!
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