Bewegter Donnerstag: Susanne Meinl stellt drei Allgäuer Künstler aus der NS-Zeit vor

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„So ist der Krieg!“ von Franz Xaver Unterseher. Die Pastellkreidezeichnung entstand 1919. Ein auf den Zweiten Weltkrieg angepasstes Gemälde (v. a. Uniform) mit identischem Motiv, ebenfalls im Besitz der Stadt Kempten, wird auf 1947 datiert. „Schnitterin“ von Josef Hengge. Die Schnitterin steht da „vor einem Feld zur Zeit der Ente, das mir immer wie ein entsetzliches Schlachtfeld vorgekommen ist“, schreibt Sebald. © Sammlung der Museen der Stadt Kempten und Heimatmuseum Wertach

Das Kempten-Museum und der Heimatverein präsentieren im Rahmen von „Bewegten Donnerstagen“ die Ergebnisse der von der Stadt in Auftrag gegebenen Forschung zur NS-Zeit. In Susanne Meinls Vortrag mit dem Titel „Die Kunst als Anpassung?“ ging es diesmal um das Leben, Werk und die Rezeption von drei mit dem Allgäu verbundenen Künstlern: Josef Hengge, Franz Xaver Unterseher und Franz Weiß.

Kempten – Zu den beeindruckendsten Darstellungen, wie komplex und ambivalent sich die Beziehung eines Künstlers zum nationalsozialistischen Regime – eine Art „Teufelspakt“ – entwickeln kann, gehört István Szabós Oscar prämierter „Mephisto“, eine Verfilmung von Klaus Manns gleichnamigem Roman.

Als Gustav Gründgens (in Film und Roman Hendrik Höfgen) der Kunstszene gilt Emil Nolde. Seine Person diente ebenfalls als Vorlage für eine berühmte Romanfigur, für die des Max Ludwig Nansen in Siegfried Lenz‘ „Deutschstunde“. Allerdings wird in diesem Fall weder im Roman noch in seiner Verfilmung durch Peter Beauvais die andere Seite des großen Expressionisten aufgezeigt: als bekennender Nationalsozialist und Antisemit. Am Anfang ihres Vortrags ging Susanne Meinl auf Noldes Lebensstationen ein, um an dem berühmten Beispiel aufzuzeigen, „wie fluide der Begriff der ‚arteigenen‘ Kunst zu Beginn des Dritten Reiches noch war, und wie schnell man vom Regime-erwünschten Künstler zum Outlaw werden konnte“. Ähnliche, mehr oder weniger ausgeprägte Ambivalenzen entdeckte die Historikerin auch bei den drei ausgewählten Künstlern aus dem Allgäu.

Biografien der Künstler

In der Diskussion nach dem Vortrag bemängelte ein Zuhörer, dass Meinl zu wenig auf die Analyse der einzelnen Kunstwerke und auf die künstlerische Bewertung der drei Männer eingegangen sei. Es wurde klargestellt: Ihr Auftrag sei, Biografien nach einem Kriterienkatalog zu erstellen, in dessen Mittelpunkt die Frage steht, inwieweit die Akteure Unterstützer, Mitgestalter, Nutznießer oder Gegner des Regimes waren und wie selbstkritisch sie damit nach 1945 umgegangen sind. Die Historikerin erklärte, dass sie in Kempten etwa 50 Kurzbiografien erstelle und dafür pro Person 1,5 bis 2,5 Tage zur Verfügung habe. Dementsprechend standen die Zusammenfassung der vorhandenen Daten und ihr inhaltliches Zuordnen im Mittelpunkt des Vortrags.

Josef Hengge geht in die Weltliteratur ein

Der Kunstmaler Josef Hengge wurde 1890 in Durach geboren. Zu seiner Ausbildung gehörten eine Lehre als Kirchenmaler und ein Studium an der Akademie der bildenden Künste in München, u. a. bei Franz von Stuck. Aber er „blieb leider nicht im künstlerischen Fahrwasser seines Lehrers“, bedauert Uwe Schütte („Annäherungen“, Böhlau 2019). Zunächst machte sich Hengge durch großformatige Fresken auf öffentlichen Gebäuden und vor allem Kirchen einen Namen.

Worauf Meinl nicht hinwies, ist, dass der Maler es mit diesen Werken ungewollt – wenn auch für ihn nicht auf schmeichelhafte Weise – geschafft hat, in die Weltliteratur einzugehen: W.G. Sebald erinnert sich im letzten Teil seines ersten Prosawerkes „Schwindel. Gefühle“ unter dem Titel „Il ritorno in patria“ an seine Kindheit in Wertach: Hengges Bilder „sind die einzigen gewesen, die ich bis zu meinem siebten oder achten Lebensjahr gesehen habe“. „All diese Hengge­bilder hatten für mich etwas äußerst Beunruhigendes“, schreibt er. Im Buch sind mehrere dieser Werke abgebildet, sie hätten ihn mit ihren Schlachtfelddarstellungen „geängstigt“ und auf ihn „einen vernichtenden Eindruck gemacht“. Auf eine Frage aus dem Publikum sagte Meinl, dass Hengge der einzige von den drei Malern sei, von dem sie nie ein Bild in ihrer Wohnung aufhängen würde. Sie bezeichnete ihn in ihrem Vortrag als den „zumindest künstlerisch am stärksten NS-belasteten Maler“.

Hengge und die Wittelsbacher

Zum Durchbruch half Hengge seine private Beziehung zum Wittelsbacher Prinzen Rupprecht, auf dessen Empfehlung er 1929 die Gestaltung des Kriegerdenkmals in Berchtesgaden übernehmen konnte. Bei der neuen Außengestaltung des Augsburger Weberhauses wurde Hitler auf ihn aufmerksam und besuchte den Maler in seinem Atelier. Ihm sei die Gestaltung der Außenfassade des Berghofs auf dem Obersalzberg in Aussicht gestellt worden, was jedoch der „Kirchenhasser“ Martin Bormann verhindert habe, vermutet Meinl.

1937 trat Hengge der NSDAP bei. Er „orientierte seine heimattümelnde und martialische Kunst immer stärker am Kunstgeschmack der NS-Führung“. Als Belohnung durfte er zwischen 1941 und 1944 bei den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ im Haus der Deutschen Kunst in München seine eingereichten Werke zeigen. Sein 1941 ausgestelltes Bild „Eduard Dietl“ erwarb Hitler für 3.000 Reichsmark.

In seinem Spruchkammerverfahren stilisierte er sich als Monarchist und Katholik erfolgreich als Gegner des NS-Regimes. Meinl wies darauf hin, dass hier auch der Verdacht aufkam, dass Hengge seinen Kollegen Julius Diez denunziert haben soll (er hatte eine jüdische Frau), um bei der Zuteilung eines Atelierraums in München den Vorrang zu bekommen. Nach dem Krieg lebte Hengge zunächst in Wertach, ab 1952 in Kempten. Er begann wieder zu malen und kehrte zu seiner „schweren, erdigen und heimattümelnden Kunst der Jahre vor 1935“ zurück. 1960 ehrte ihn die Stadt mit einer Sonderausstellung, 1972, zwei Jahre nach seinem Tod, mit einer Straßenbenennung.

Frühe Kriegerfahrungen

Die beiden zuerst vorgestellten Künstler Hengge und Unterseher gehörten der gleichen Generation an, betonte Meinl. Was sie verbindet, ist die leidvolle Erfahrung des Ersten Weltkriegs. Infolge einer schweren Halsverletzung durch eine Granate hatte Hengge eine Sprachstörung, die ihn bei seiner beruflichen Karriere einschränkte. Unterseher litt lebenslang an einer posttraumatischen Belastungsstörung, ausgelöst dadurch, dass er 1916 an der Westfront verschüttet wurde. Das Erlebte hielt Hengge nicht davon ab, in seinen Werken den Krieg zu verherrlichen. Bei Unterseher sieht es anders aus.

Franz Xaver Unterseher: „eine echte Überraschung“

Meinl sprach im Falle von Franz Xaver Unterseher von einer „echten Überraschung“. Sie lobte die breite Palette seines Könnens, die „von Holzschnitzereien über großformatige Intarsienarbeiten, wie zum Beispiel am Kemptner Rathaus, bis zu Gemälden der unterschiedlichen Kunststile und handwerklichen Ausführungen“ reichte. Er war offen für die Moderne, schuf Werke, die man dem Expressionismus, Surrealismus und der Neuen Sachlichkeit zuschreiben kann. Trotz dieser Haltung trat Unterseher im Frühjahr 1933 der NSDAP bei, berichtete die Historikerin.

Handelt es sich tatsächlich um einen Widerspruch? Wie Meinl betonte, war die künstlerische Ausrichtung des Regimes zunächst fluide. Die Vorstellung einer u. a. von Joseph Goebbels propagierten nationalen Moderne, deren Anhänger sich um die Zeitschrift „Kunst der Nation“ sammelten und in die der Expressionismus (s. Nolde) sehr gut passte, hat den Kampf gegen die von Alfred Rosenberg bevorzugte völkische Antimoderne erst 1937 endgültig verloren. Hitler, der sich bereits in seiner Rede am Reichsparteitag 1934 klar positionierte, nahm erst die Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst in München zum Anlass, um seinen persönlichen Geschmack endgültig durchzusetzen. Die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ dort und die gleichzeitig in den nahen Hofgartenarkaden laufende diffamierende Ausstellung „Entartete Kunst“, die übrigens eindeutig mehr Leute sehen wollten, markierten die von höchster Stelle gezogene Grenze. 1937 wurde die Beschlagnahmung von „entarteter Kunst“ per Dekret angeordnet.

Unterseher, der „spinnerte Künstler“

Der 1888 in Göggingen geborene Unterseher, der seit 1924 in Kempten lebte und an der Oberrealschule als Lehrer für Kunsterziehung arbeitete, scheint seine NS-Begeisterung, sicher auch infolge dieser Entwicklungen, schnell abgelegt zu haben. Man hielt ihn immer mehr für einen „spinnerten Künstler“, auch seine politische Loyalität wurde ab Ende der 30er-Jahre angezweifelt. Meinl vermutet, dass seine massive, zu Sarkasmus neigende Kritik an HJ-Führer Emil Klein und an der nationalsozialistischen Rassenlehre 1944 zu seiner frühzeitigen Pensionierung führte. Auch sein Bild „So ist der Krieg!“, das er 1944 für die „Große Deutsche Kunstausstellung“ einreichte, und das man als „entartet“ abwies, könnte hierbei eine Rolle gespielt haben.

Nach dem Krieg wurde er zunächst wegen seiner frühen Parteimitgliedschaft automatisch als „Belasteter“, später als „Mitläufer“ eingestuft. In den Schuldienst kehrte er nicht mehr zurück. Unterseher erkrankte an Parkinson, laut Meinl möglicherweise eine Spätfolge seiner Kriegsverletzung, und starb 1954. Der Mensch wird in seinen Werken oft „als gequälte Kreatur, die durch den Glauben und in der Natur ihren Halt findet“ gezeigt, stellte die Historikerin fest. Die „Frontgeneration“ wird als „verlorene Generation“ bezeichnet, weil ihre Vertreter oft von Orientierungslosigkeit und Selbstzweifeln gequält wurden. Sie neigten zum Streit, wobei das Dagegen dominierte und das Dafür meist fehlte. Unterseher scheint ein typischer Vertreter dieser Generation gewesen zu sein.

Bei der Straßenbenennung 1986 spielte die Gestaltung der Innentür zum Großen Sitzungssaal im Rathaus durch Unterseher eine wichtige Rolle. Das Fazit von Meinl lautete: Unterseher war „ein Maler mit vielen Widersprüchen, aber einer, der uns heute durchaus beschäftigen könnte und sollte, in einer Zeit, wo Krieg und Zerstörung auf der Welt ständig zuzunehmen scheinen und die Frage nach der Lernfähigkeit der Menschen immer öfter gestellt wird“.

Der Multitalent Franz Weiß

Der 1903 in München geborene Weiß gehörte zu der Kriegsjugendgeneration, die Michael Wildt die „Generation des Unbedingten“ (Hamburger Edition, 2002) nennt. Diese Generation profitierte von den durch das nationalsozialistische Regime eröffneten Karrieremöglichkeiten am meisten. Im Unterschied zur Frontgeneration gab es für viele der Jahrgänge ab 1900 im Leben wieder ein Wofür. Der Maler, Grafiker und Designer Weiß, laut Meinl ein „Multitalent mit überdurchschnittlichen beruflichen Fähigkeiten“, gehörte zu den typischen Nutznießern seiner Generation.

Nach seinem Umzug 1929 nach Kempten soll der freischaffende Künstler finanzielle Schwierigkeiten gehabt haben. Aber ab 1933 konnte er es kaum schaffen, den zahlreichen Aufträgen nachzukommen: Die „Ausschmückung von Ordensburgen, Kasernen, Parteibauten und öffentlichen Gebäuden mit heroischen Fresken“ gehörten ebenso dazu wie die Beteiligung am Ausbau des Führersperrgebiets am Obersalzberg und die davon im Auftrag von Hitler und Martin Bormann angefertigte Überblickskarte, die angeblich im Münchner „Braunen Haus“ hing. Ab 1939 stellte er regelmäßig bei den „Großen Deutschen Kunstausstellungen aus, seine Bilder wurden zu „ordentlichen, aber nicht exorbitanten Preisen“ von Hitler und anderen NS-Größen gekauft.

Weiß‘ private Netzwerke

Seine Freundschaft mit Hermann Giesler, der neben Speer als Hitlers zweiter Lieblingsarchitekt galt, ebnete ihm den Weg zu den Auftraggebern in den Machtzentren. Meinl ging in ihrem Vortrag ausführlich auf Gieslers Karriereentwicklung und auf die Berührungspunkte mit Weiß ein. Sie sprach auch von einem seit Ende der 1920er-Jahre existierenden „Geflecht von Architekten, Kunstgewerblern, Malern und Bauherren im Großraum Kempten“, zum dem Leonhard Heydecker, Andor Ákos, die Gebrüder Giesler, Unterseher und Weiß gehörten. Wie Ákos-Kenner Dr. Dieter Weber in der Diskussion andeutete, ist hier eine Differenzierung und genauere Betrachtung notwendig.

Weiß‘ Selbstaussage 1947/48, er sei in der NS-Zeit Künstler und ein „vollkommen unpolitischer Mensch“ gewesen, erinnert gespenstisch an die letzten Worte von Gründgens/Höfgen in Szabós „Mephisto“. Als er sich im Stadion von Scheinwerferlichtern verfolgt fühlt, sagt er: „Was wollen die von mir? Ich bin doch nur ein Schauspieler.“ Weiß wurde von der Spruchkammer Kempten als „Mitläufer“ eingestuft. Meinl spricht von einer „geschenkten Entnazifizierung“ und weist nach, dass seine Aussage, 1942 aus der Partei ausgetreten zu sein, höchstwahrscheinlich nicht der Wahrheit entspricht.

Weiß: noch eine Überraschung

Die Historikerin entdeckte aber eine andere Geschichte, die auf den Maler ein anderes, menschliches Licht wirft: 1936 gründete er eine Tarnfirma, um seinem jüdischen Freund, dem Werbegrafiker und Filmkaufmann Siegfried Kluger zu helfen. „Dieser Schritt war wirklich riskant“, betonte Meinl. „Weiß hätte seinen privilegierten Status verlieren können, wenn er aufgeflogen wäre.“

Nach dem Entnazifizierungsverfahren begann die zweite Karriere des Künstlers, deren Spuren Kempten und das Allgäu bis heute prägen und in der Region allgegenwärtig sind. 1980 bekam er auf den Vorschlag von OB Dr. Josef Höß das Bundesverdienstkreuz. 1986 erhielt eine Straße in Rothkreuz seinen Namen.

Das Werk von Weiß wäre ganz besonders geeignet, um dem Titel des Vortrags entsprechend die Frage zu stellen: Wie viel Anpassung war nach 1933 und nach 1945 nötig? Wo und wie stark sind die Kontinuitäten?

Ausstellung über NS-Kunst geplant

Im Rahmen der Diskussion im Margareta und Josephinenstift kündigte Kulturamtsleiter Martin Fink an, dass die Stadt eine Ausstellung über die Kunst der NS-Zeit plane. Diese könnte die Möglichkeit bieten, die im Vortrag nur gestreiften Merkmale der NS-Kunst wie Heroisierung des Militärischen und der Gewalt, pornografisch konkret gemalte weibliche Akte, Betonung des „Ewigen“ (Heimat, Landschaft, Bauerntum) anhand lokaler Beispiele aufzuzeigen, aber auch auf Themen wie Kunst- und Kulturraub einzugehen. Und die Frage zu stellen: Wie viele der damaligen Bilder leben bis heute in den Köpfen weiter? Beispiele aus anderen Städten, wie die Ausstellung „Grauzonen“ 2022 in der Kunstvilla in Nürnberg (mit einem ausgezeichneten Katalog) sind vorhanden.

Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.

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