Immer wieder kann man lesen, die Begriffe "links" und "rechts" seien längst überholt. Während mehr als 90 Prozent der Menschen kein Problem haben, ihren Standort auf einer Links-rechts-Skala zu bestimmen, erklären insbesondere Akademiker gerne wortgewandt, warum diese Unterscheidungen längst überholt seien.
Klar, wer sich selbst als intellektuelles Unikum sieht, befähigt mit der Gabe höchster Differenzierungsfähigkeit, fühlt sich geradezu vergewaltigt, wenn man ihm etwa eine Skala von 0 (linksextrem) bis 10 (rechtsextrem) vorlegt und ihn bittet, sich dort einzuordnen.
Nun, ich oute mich gerne zu Beginn der Besprechung, wenn ich Ihnen mitteile, dass ich mich selbst ziemlich genau bei einer 7 einordnen würde. Übrigens habe ich durch Allensbach eine Befragung durchführen lassen, die zeigte, dass sich in Deutschland die meisten Kapitalismus-Anhänger ebenfalls bei 7 einordnen, während die Zustimmung zum Kapitalismus bei Rechtsaußen wieder geringer wird. In manchen anderen Ländern ist das auch so, in anderen nicht.
Das Links-rechts-Schema ist eben nicht bedeutungslos
Natürlich gibt es andere Schemata, z. B. eine Matrix, in der kollektivistische und individualistische Orientierungen gegenüberstehen, welche möglicherweise besser zu einer Beschreibung taugen. Aber dass das Links-rechts-Schema so lange überlebt hat, obwohl es immer wieder als obsolet bezeichnet wird, zeigt, dass es eben nicht bedeutungslos ist. Andernfalls wäre es längst verschwunden.
Hoeres zeigt, dass die Links-rechts-Unterscheidung, zunächst gar nicht unbedingt politisch gesehen, "historisch durchgängig und global verbreitet [ist], wobei rechts traditionell überwiegend positiv, links überwiegend negativ besetzt ist".
Heute ist das bekanntlich anders. Rechts ist verfemt: Es fing an mit Konzerten wie "Rock gegen rechts" und heute ist der Begriff im öffentlichen Diskurs diskreditiert: "Die Feinderklärung 'rechts' duldet keine Neutralität, keine Privatheit, keine Differenzierung oder Zurückhaltung", so Hoeres. "Es ist alles erlaubt, ja geboten in diesem Kampf, und dem Feindobjekt werden jegliche Menschenrechte zumindest implizit abgesprochen."
Wahlweise können unter dem Feindbild "rechts" alle subsumiert werden, die nicht eindeutig links sind – also nicht nur die AfD, sondern auch die Unionsparteien, Libertäre, Anti-Feministen, konservative Intellektuelle oder Medien wie die Neue Zürcher Zeitung, Die Welt, Cicero, Nius und Apollo sowieso. Heute früh, bevor ich diese Besprechung schrieb, hielt mir ein Follower auf Facebook entgegen, Cicero, NZZ und FOCUS seien "rechtswirre Propagandaschleudern".
Der Kampf gegen rechts "ist ein Instrument der Spaltung"
Der Kampf gegen rechts, so Hoeres, ziele auf eine soziale Vernichtung derjenigen, denen das Etikett "rechts" angeklebt wird. "Es ist ein Instrument der Spaltung, durch Androhung moralisch-sozialer Höchststrafe, die bis in die Privatsphäre hineinreicht."
Jüngstes Beispiel, das sich noch nicht in dem Buch findet: Der Spiegel skandalisierte die Geburtstagsfeier des Unternehmers Theo Müller, weil sich unter den 250 Gästen etwa zehn befanden, die als rechts gelten oder es sind – so etwa Alice Weidel, Peter Gauweiler oder auch der Rezensent. Dass ich selbst seit 31 Jahren FDP-Mitglied bin und Gauweiler sein Leben lang CSU-Politiker, bestätigt wohl aus linker Sicht nur die Gefährlichkeit der ganzen Angelegenheit.
Als ich auf Facebook entgegenhielt, bei Umfragewerten von 25 Prozent für die AfD, sei es doch sehr wahrscheinlich, dass bei den meisten Geburtstagsfeiern auch AfD-Wähler darunter seien, reagierten linke Follower empört und versicherten, bei ihren Geburtstagsfeiern treffe man auf gar keinen Fall Rechte. Es seien alle da, schrieb einer, sowohl Millionäre als auch Geflüchtete, natürlich auch LGBTQ-Personen, aber mit Sicherheit kein einziger Rechter.
Woher stammt die panische Angst vor allem, was als "rechts" gelten könnte? "Die Herrschaft des Verdachts identifiziert alle Andersdenkenden als rechts = rechtsextrem, mit der Assoziation nationalsozialistisch. In der Nacht der Erkenntnis sind alle Katzen braun." Dabei ist gerade die Bezeichnung des Nationalsozialismus als "rechts" zweifelhaft. Hoeres widmet diesem Thema deshalb zu Recht 35 der 192 Seiten: "War der Nationalsozialismus rechts?"
Hitler selbst wandte sich stets scharf dagegen, seine Partei als "rechts" zu bezeichnen und wandte sich in seinen Reden ebenso scharf gegen "links" wie "rechts". Zuweilen wurde die Parole "Der Feind steht rechts" sogar von der Hitlerjugend oder NSDAP-Funktionären gebraucht, so informiert Hoeres.
Ich möchte ergänzen: Im Parlament stimmte die NSDAP häufig zusammen mit den linken Parteien SPD und KPD, wenn es um sozialpolitische Fragen ging. Sie brachte Anträge im Parlament ein, in denen sie die Nationalisierung aller Großbanken oder das Verbot des Handels mit Wertpapieren verlangte. Der Besitz der "Bank- und Börsenfürsten" sowie alle "Gewinne aus Krieg, Revolution und Inflation" sollten beschlagnahmt werden.
Die wirtschaftsnahe Deutsche Bergwerk-Zeitung kommentierte angesichts solcher Forderungen, die NSDAP stelle eine Bedrohung für das Privateigentum dar und unterscheide sich nur wenig von den Kommunisten. Die Deutsche Allgemeine Zeitung in Berlin, die einem Konsortium aus Ruhrindustriellen, Bankiers und Reedereibesitzern gehörte, gelangte zu dem Ergebnis: Im gleichen Maße, wie sich die Sozialdemokraten vom Marxismus distanzierten, seien die Nationalsozialisten offenbar darauf bedacht, dessen Erbe zu übernehmen.
Ein ideologischer Widerspruch zwischen links und rechts
Hoeres resümiert: "Das Egalitätsversprechen für die 'Volksgenossen', die Kontrolle der Ökonomie, die Feindschaft gegen die habsburgische wie preußische Monarchie, gegen die traditionellen Eliten, gegen das Bürgertum und die Kirche, der Antikapitalismus, die Glorifizierung des Arbeitertypus, der starke Zustrom von linken und kommunistischen Organisationen wie dem Rotfrontkämpferbund, die soziale Aufwärtsmobilisierung und die Sozialpolitik – das alles spricht einerseits dafür, Hitler und den Nationalsozialismus nicht auf der Rechten einzuordnen."
"Andererseits sprechen sein Nationalismus und Rassismus, der freilich auch links zu findende Antisemitismus, der Antimarxismus und Antibolschewismus – obschon nicht das Zentrum von Hitlers Ideologie – das Fortbestehen von Privateigentum und marktwirtschaftlichem Konkurrenzprinzip, sein taktisches Bündnis mit den Konservativen und der Industrie gegen eine Verortung auf der Linken, sofern man darunter zumindest die Übernahme der Grundprinzipien der Französischen Revolution und des Sozialismus versteht."
Wenn Antisemitismus keine genuin rechte Ideologie ist
Der linke Theoretiker Friedrich Pollock, der zur Frankfurter Schule gehörte, erkannte schon 1941, die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung bedeute "die Zerstörung aller wesentlichen Teile des Privateigentums, von einem abgesehen" – nämlich dem formalen Rechtstitel, der jedoch nur noch eine leere Hülle sei.
Der Antisemitismus, dies schränkt Hoeres zu Recht ein, war keine genuin rechte Ideologie. Von Eugen Dühring bis hin zu den Anti-Palästina-Aktivisten von heute finden wir stets einen Antisemitismus auch auf der Linken.
Der Antibolschewismus kann auch nicht als Beleg für eine rechte Gesinnung gelten, denn Kommunismus und Nationalsozialismus waren primär Rivalen im Kampf gegen die liberal-kapitalistische Ordnung.
Die schleichende Verschiebung des Meinungsspektrums nach links
Peter Hoeres hat mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag geleistet, der auch aufzeigt, wie sich das Meinungsspektrum in Deutschland über Jahrzehnte immer mehr nach links verschoben hat.
Der "Kampf gegen rechts" ist keine sprachliche Ungenauigkeit in dem Sinne, dass eigentlich der Kampf gegen Rechtsextremismus gemeint sei. Tatsächlich richtet er sich gegen alles und alle, die nicht eindeutig links sind.
Und es würde mich nicht wundern, wenn nach einem möglichen Verbot der AfD die Forderung von linker Seite aufkommen würde, auch CDU/CSU und FDP zu verbieten – es sei denn, diese würden sich selbst vollständig der linken Weltsicht unterwerfen. Einer nach dem anderen.
Peter Hoeres: Rechts und links
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