Die Koalition aus Union und SPD hat in der Nacht eine Reform beschlossen, die das Bürgergeld in „Grundsicherung“ umtauft. Ihre Schlagzeile: Wer nicht arbeiten will, soll weniger bekommen. Wer Termine beim Jobcenter wiederholt schwänzt oder Stellen ablehnt, wird künftig radikal sanktioniert. Nach drei versäumten Terminen ist der Regelsatz futsch, nach vier auch noch die Miete. Wer Jobangebote verweigert, dem kann das Geld vollständig gestrichen werden.
Alter Reflex: Härte zeigen gegen Verweigerer
Bravo? Was nach "Zeitenwende" und einem Einknicken der SPD klingt, ist tatsächlich der alte Reflex: Härte zeigen gegen vermeintliche Verweigerer. Die Koalition verspricht sich davon Milliardeneinsparungen. Aber wer die vergangenen 25 Jahre verfolgt hat, weiß: Das wird wohl nicht passieren. Die ewige Drohung: Wer nicht will, bekommt weniger, hat sich abgenutzt.
Wer zurückblättert, stolpert hierüber: 1996 beschloss die Kohl-Regierung, Leistungen in der Sozialhilfe zu kürzen, wenn zumutbare Arbeit abgelehnt wird. Das Gesetz sprach trocken von „Ausschluss der Hilfe bei Arbeitsverweigerung“. 2003 verkündete Kanzler Gerhard Schröder: „Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“ Hartz IV folgt, mit Sanktionslogik eingebaut. Klar ist: Mit Hartz IV änderte sich nicht nur der Ton, die Reform brachte eine wirkliche Systemänderung und trug zu einer sinkenden Arbeitslosigkeit bei.
Ampel führte Bürgergeld ein
2006 verschärfte die erste Regierung Merkel das Prinzip noch. Der damalige Tenor: Wer jung und gesund ist, darf sich nicht verweigern. 2010 bekräftigte sie: „Wer Arbeit ablehnt, hat Kürzungen zu befürchten.“
Doch die Verschärfungen und Kürzungen waren nicht nachhaltig, was rechtliche und politische Gründe hat.
2019 griff nämlich das Bundesverfassungsgericht ein und deckelte die Strafen. Mehr als 30 Prozent Kürzung seien „nicht verhältnismäßig“. Sanktionen blieben, aber auf kleinerer Flamme. 2022 wollte die Ampelkoalition das Bürgergeld einführen. Auf Druck der Union wurde die sogenannte „Vertrauensarbeitszeit“ gestrichen, womit der Strafmechanismus in Kraft blieb.
Die Sanktionsdrohung zieht sich also wie ein roter Faden durch alle Regierungen – genauso wie die Tatsache, dass die Ausgaben sich inzwischen auf knapp 52 Milliarden Euro vervielfacht haben.
Neue Grundsicherung: Der Apparat frisst Milliarden
Woran das liegt? Die Zahl derer, die aus purer Arbeitsverweigerung künftig in der Grundsicherung bleiben, ist verschwindend gering. Der große Block sind Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, fehlender Qualifikation, familiären Belastungen oder Schuldenproblemen. Härtere Strafen bringen sie nicht in Jobs, sondern in noch größere Distanz zum Arbeitsmarkt.
Zudem sind Sanktionen teuer in der Verwaltung. Jeder Fall muss geprüft, dokumentiert, angehört, notfalls vor Gericht verteidigt werden. Jeder zusätzliche Sanktionsgrad bedeutet Mehraufwand. So paradox es klingt: Mit jeder neuen Verschärfung steigen die Verwaltungskosten.
Der Apparat frisst Milliarden: Eine aktuelle Bertelsmann-Studie weist nach, dass die Verwaltungskosten um knapp 40 Prozent gestiegen sind, während die Ausgaben für Leistungen an die Bürgergeldempfänger stagnieren. Eine echte Reform hätte hier ansetzen müssen. Stattdessen füllt also jeder Bürgergeld-Empfänger weiter Formulare aus, legt Nachweise vor, schreibt Bewerbungen auf Papier, während Jobcenter-Angestellte prüfen, mahnen, sanktionieren.
Union und SPD trauen sich an dieses Thema nicht ran. Vom Digitalminister gibt es keinen Einspruch. Stattdessen verkaufen alle zusammen alte Hüte als einen neuen Anfang.
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit "Business Punk".