„Man muss hellhörig werden“: Wird die Kardinal-Faulhaber-Straße umbenannt?

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An die Kardinäle Michael von Faulhaber (1869-1952) und Joseph Wendel (1901-1960) erinnert im Wolfratshauser Stadtteil Waldram jeweils eine Straße. Vor allem Faulhaber ist aufgrund seiner Rolle im sogenannten Dritten Reich umstritten. © Montage/Sabine Hermsdorf-Hiss

In Wolfratshausen tragen zwei Straßen die Namen inzwischen umstrittener Kardinäle. Nun wird über die Umbenennung der Straßen diskutiert.

Wolfratshausen – „Es ist extrem schwierig, diesen Mann zu verstehen“: Zu diesem Schluss kommt Stadtarchivar Simon Kalleder mit Blick auf Kardinal Michael von Faulhaber. Der Diplom-Historiker Kalleder hatte sich wie vom Stadtrat beschlossen mit der Rolle Faulhabers in der NS-Zeit auseinandergesetzt. Zudem recherchierte der Stadtarchivar mögliche Verstrickungen des 1952 verstorbenen Münchner Kardinals in den Missbrauchsskandal in der Erzdiözese München und Freising. Dasselbe gilt für den 1960 verstorbenen Kardinal Joseph Wendel. An beide Geistliche erinnert im Wolfratshauser Stadtteil Waldram jeweils eine Straße. Mit dieser Tatsache müsse sich die Kommune kritisch auseinandersetzen, hatte die SPD/FDP-Fraktion im April dieses Jahres beantragt (siehe Infokasten unten). In der jüngsten Sitzung des Stadtrats präsentierte Kalleder eine erste historische Einschätzung.

Würzburg benannte Faulhaber-Platz in Theaterplatz um

Die Recherche bedeute einen „extremen Aufwand“, schickte Kalleder voraus. Zu Faulhaber gebe es „sehr viel Material“, der Stadtarchivar verwies unter anderem auf rund 30 000 Seiten Tagebucheinträge, die seit zehn Jahren als Online-Edition veröffentlicht werden. Faulhaber, der als enger Vertrauter von Papst Pius XI. galt, hinterließ nach seinem Tod detaillierte Gesprächsprotokolle und Aktennotizen aus den Jahren 1911 bis 1952. Faulhaber wie Wendel sind wegen ihrer Haltung zum nationalsozialistischen Regime umstritten. Jüngst hat die Stadt Würzburg ihren Kardinal-Faulhaber-Platz in Theaterplatz unbenannt. Der Kardinal habe sich „trotz seiner machtvollen Position innerhalb der katholischen Kirche nicht gegen die nationalsozialistischen Verbrechen eingesetzt“, erklärte der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Würzburger Stadtrat, Konstantin Mack, die Mehrheitsentscheidung. Die nach dem früheren Erzbischof von München und Freising benannte Straße in der Münchner Innenstadt steht inzwischen auf der Liste der „Straßennamen mit erhöhtem Diskussionsbedarf“. Einen Zeitplan für eine mögliche Umbenennung gibt es nicht.

Die Fraktionsgemeinschaft von SPD und FDP im Wolfratshauser Stadtrat wolle durch ihren Antrag „eine Diskussion anstoßen“, so ihr Sprecher Fritz Meixner. Zu diesem Zweck war Stadtarchivar Kalleder beauftragt worden, „die bisherigen Erkenntnisse und Untersuchungsergebnisse“ zu den Vorwürfen gegen Faulhaber und Wendel zusammenzustellen. Faulhaber, so Kalleders Fazit, sei „bei oberflächlicher Betrachtung eine extrem schwer zu verstehende und einzuschätzende Person“.

Zu Wendels Rolle in der Nazi-Zeit finde sich „fast nichts“

Es seien antisemitische Aussagen überliefert, auf der anderen Seite habe sich Faulhaber in den 1920er-Jahren für die Juden eingesetzt. Allerdings verurteilte er die Judenverfolgung im sogenannten Dritten Reich nicht klar und deutlich – das Attentat am 20. Juli 1944 auf Adolf Hitler dagegen unmissverständlich. Dennoch stempelten seine Fehleinschätzungen Faulhaber nicht zum Nazi, bilanzierte Kalleder. Auch eines Kriegsverbrechens habe er sich nicht schuldig gemacht.

Zu Wendels Rolle in der Nazi-Zeit finde sich „fast nichts“, sagte der Stadtarchivar. Für die aktuelle Forschung sei der ehemalige Kardinal „kein Thema.“ In Wendels Amtszeit als Erzbischof habe es allerdings Fälle von sexuellem Missbrauch gegeben. Täter sei Wendel nicht gewesen, betonte der Stadtarchivar, doch Missbrauchstäter seien wieder in der Seelsorge eingesetzt worden, in Einzelfällen habe sich Wendel bei staatlichen Stellen für deren Begnadigung eingesetzt.

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Von einer raschen Umbenennung der Faulhaber-Straße in Waldram riet Kalleder dem Stadtrat ab. Zum einen sei der Lokalbezug „überschaubar“, zudem gelte es, weitere Forschungsergebnisse abzuwarten.

Das ist das Problem, wenn Straßen nach Personen benannt werden.

Für den Stadtrat mit ein Grund, den Antrag von SPD/FDP zu vertagen. Diesem Antrag zur Geschäftsordnung von Assunta Tammelleo (Grüne) stimmten 15 Räte zu, acht waren dagegen. Zuvor hatte Dr. Manfred Fleischer (Wolfratshauser Liste) auf das grundsätzliche Problem hingewiesen, „wenn Straßen nach Personen benannt werden“. Seine Fraktion sei „nicht dafür“, die Straßen umzubenennen, sofern „eindeutig“ ausgeschlossen werden könne, dass es sich bei den Namensgebern um „Kriegsverbrecher oder Sexualverbrecher“ handelt. Fleischer warf die Frage auf, ob das Thema „von großer kommunalpolitischer Bedeutung für Wolfratshausen“ sei – und gab die Antwort selbst: „Nein.“

Dr. Ulrike Krischke (Bürgervereinigung) schlug vor, an den Straßenschildern in Waldram einen QR-Code zu befestigen, der zu Details der kontroversen Debatte über Faulhaber und Wendel führt. Man müsse „hellhörig werden“, meinte Krischke. Immerhin wären Straßennamen als „Ehrung“ für die jeweiligen Männer oder Frauen gedacht. Allerdings müsse im konkreten Fall zwischen der „geschichtlichen Problematik“ und „persönlichem Fehlverhalten“ differenziert werden.

Grünen-Rat Hans-Georg Anders haderte mit dem Antrag von SPD und FDP. Es gebe mehr als 150 Straßennamen in der Loisachstadt. Wenn, so Anders, müssten die alle überprüft werden. Voraussichtlich steht das Thema im September wieder auf der Agenda des Stadtrats. cce

Der Antrag

Die Fraktionsgemeinschaft der SPD/FDP hatte beantragt, dass Stadtarchivar Simon Kalleder beauftragt wird, „die bisherigen Erkenntnisse und Untersuchungsergebnisse zur Verwicklung in den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche und der Unterstützung des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland der Kardinäle Wendel und Faulhaber zusammenzustellen“. Im Rahmen des Gutachtens über sexuellen Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising „wurden Verfehlungen von Kardinal Michael von Faulhaber – laut Gutachten zumindest in vier Fällen fehlerhaftes Verhalten – und Kardinal Joseph Wendel – laut Gutachten zumindest in acht Fällen fehlerhaftes Verhalten – festgestellt“, so Fraktionssprecher Fritz Meixner in der Antragsbegründung.

Zudem sei die Rolle Faulhabers in der NS-Zeit „nicht unumstritten“. Als Beleg verweist Meixner auf eine Notiz in Faulhabers Tagebuch: „In letzter Stunde gab die Vorsehung dem deutschen Volk einen Mann, der es, so Gott will, zu einem besseren Reich führen soll.“

Die Stadt Wolfratshausen, so Meixner im Namen der Fraktionsgemeinschaft, müsse sich „kritisch damit auseinandersetzen“, ob die Ehrung der beiden Kardinäle „durch die Benennung von Straßen weiterhin angemessen ist“. SPD und FDP wollten mit ihrem Antrag eine Diskussion anstoßen, so der Fraktionschef. cce

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