Boris Pistorius: Die verschiedenen Fronten des Selbstverteidigungsministers

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius galt bei uns Wahlbürgern lange als sehr beliebt. Warum eigentlich? Meine persönliche Empirie im Bekanntenkreis läuft auf drei Begründungen hinaus: 1) Er wirkt so verlässlich, ein Macher 2) War der nicht selber mal beim Bund? 3) Als Macher verlässlich, irgendwie.

Das ist natürlich nicht repräsentativ, aber zugleich mehr, als andere Kabinettsmitglieder zu bieten haben an Image-Pluspunkten. Das Problem mit Pistorius ist nur: Je länger der 65-Jährige das Amt innehat, umso öfter gerät er zum Selbstverteidigungsminister: gegen die Union, gegen seine eigene Partei, gegen Vorwürfe von Missmanagement. Manchmal sogar gegen alles zusammen wie gerade mit seinem neuen Wehrdienstgesetz.

Es fehlen 200.000 Soldaten

Hintergrund: Die Bundeswehr braucht dringend Personal angesichts der russischen Bedrohung. Angestrebt ist bis Mitte der dreißiger Jahre eine Stärke von 460.000 Soldaten, inkl. Reservisten. Das fordert schon die Nato. Und das wären 200.000 mehr als heute. Es braucht also dringend junge Menschen, die sich für den Wehrdienst begeistern, der 2011 ausgesetzt wurde.

Pistorius schlug als Lösung ein Zwei-Stufen-Modell vor, auch weil seine eigene SPD – anders als er – schon beim Begriff „Wehrpflicht“ Schüttelfrost kriegt. Seine Idee: Erst probiert man’s mit Freiwilligkeit. Wenn das nicht klappt, wäre der Bundestag aufgerufen, über die Rückkehr zur Wehrpflicht abzustimmen. 

Daraufhin handelten vier Unterhändler von SPD und Union eine Art Kompromiss im Kompromiss aus. Wenn’s mit der Freiwilligkeit nicht klappt, könnte ja ein verpflichtendes Losverfahren die nötigen Rekruten liefern. 

Selber doof

Dann drehte Pistorius durch. Dann beschimpfte er seine eigenen Leute und schmiss am Dienstagabend eine Pressekonferenz. Dann hielt ihm CDU-Mann Norbert Röttgen vor, dass er das ganze Projekt „torpediert und die eigene Fraktion ins Chaos stürzt“. Dann keilte Pistorius zurück: „Ich torpediere nicht.“ Dann, dann, dann. Immer einer mehr als du. Selber doof. Du mich auch. 

Pistorius soll seine junge Genossin Siemtje Möller, die den Deal mitverhandelt hatte, vor den eigenen Leuten brachial beschimpft haben. Sagen wir so: Ich hätte mir den Bundesverteidigungsminister einen Hauch souveräner gewünscht. Schließlich ist die Bundeswehr doch die vielleicht wichtigste Aufgabe überhaupt im Kabinett. Wenn die nicht steht, brauchen wir über Bürgergeld, Wokeness oder Bahn-Verspätungen womöglich gar nicht mehr so lange diskutieren.

825 Millionen Euro für Ausgehuniformen

Aber die Lunte des Ministers wirkt inzwischen kurz. Er scheint nicht nur sich selbst manchmal kaum noch im Griff zu haben, obwohl ihm Dank Sondervermögen ja fast alles Geld der Welt zur Verfügung steht. Doch auch das macht Probleme, die man noch Ende 2024 lieber milde weglächelte.  

Damals war Pistorius nicht nur kurzzeitig als SPD-Kanzlerkandidat im Gespräch, so beliebt war er als Macher da gerade. Es wurde auch gerade publik, dass das Ministerium mal eben 825 Millionen Euro für neue Ausgeh-Uniformen ausgeben wollte. Machte aber nix. Es wurde ohnehin schnell noch deutlich ernster.

Der existenziell wichtigen Digitalisierung des Funkverkehrs der Truppe droht inzwischen ein technischer Milliardenflop. Ein Umbau des für seine Bürokratie gefürchteten Beschaffungsamtes kommt nicht in die Gänge. Und die Lieferung neuer Marinefregatten verzögert sich um drei Jahre. Der Macher macht dazu nur ein grimmiges Gesicht.

Ein Macher auf Abruf

Vor allem: In der Truppe wächst die Kritik am zunächst fast religiös verehrten Minister. Auf die markigen Sprüche sei nicht mehr viel gekommen, heißt es im Bendlerblock. Pistorius kümmere sich lieber um schöne Fotos als ums nervige Tagesgeschäft, das ihn nun einholt.

Heute soll trotz allen Geschreis im Bundestag sein Gesetzentwurf eingebracht werden, der von den realen Notwendigkeiten indes so weit entfernt ist wie der Lotterie-Firlefanz der Union. Die Republik braucht eine klare Wehrpflicht, aber ganz bestimmt keinen eitlen Koalitionskrach wie den, der von Pistorius gerade angezettelt wurde.

Da traf es sich zumindest gut, dass er gestern ein paar deutsche Kampfjets für Nato-Schutzflüge nach Polen beordern konnte. Macher halt. Aber einer auf Abruf.