Die Fakten am Morgen
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Der „Herbst der Reformen“ hat begonnen. Und dann gleich noch mit dem zweitgrößten Aufreger (hinter Migration): dem Bürgergeld. Wow! Endlich werde es „abgeschafft“, freute sich selbst das „Handelsblatt“. Aber das stimmt natürlich nicht. Nichts wird abgeschafft – außer vielleicht ein weiteres Stück Glaubwürdigkeit der Regierung.
Erinnern Sie sich an den Wahlkampf? Das Thema Bürgergeld triggerte die Bevölkerung. Völlig zurecht, denn dessen großzügige Ausgestaltung sowie der Sozialbetrug drumherum scheinen mir mittlerweile die letzten deutschen Wachstumsbranchen zu sein.
Sozialbetrug – so einfach geht‘s
Warum überhaupt noch arbeiten, wenn man mit ein paar Abstrichen ein nettes Minimum vom Staat garantiert kriegt, wunderten sich nicht nur Mindestlohnempfänger. Und offenbar kassieren ja viele hier das Geld, leben aber heimlich längst wieder in ihren Heimatländern wie Rumänien oder der Ukraine.
Bis zu 30 Milliarden Euro könne man sparen, hieß es aus der Union. Selbst nach der Wahl donnerte Friedrich Merz im Spätsommer, zumindest fünf Milliarden Euro (also zehn Prozent des aktuellen Budgets für Bürgergeld inkl. Mieten, Heizung etc.) seien drin. Vergangene Woche tagte der Koalitionsausschuss eine halbe Nacht lang. Und?
Der Berliner Berg kreißte – und gebar im Fall Bürgergeld nicht mal ein Mäuschen: Der Druck auf die bislang dem Arbeitsmarkt eher – nun ja – reserviert gegenüberstehenden Empfänger wird erhöht. Wer mehrfach nicht zu Terminen im Jobcenter erscheint, muss mit Kürzungen rechnen. Bevor es aber zu Totalsanktionen kommt, sollen die Behörden jeden Einzelfall akribisch checken. Dafür haben sie weder Personal noch Geld.
Die Einsparungen? „Recht klein“, murmelte Bas
Die Folge: Im Alltag wird sich kaum etwas ändern. Die Einsparungen würden „recht klein“ ausfallen, murmelte sogar die zuständige SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas. Fachleute rechnen gar nicht damit. Seither spielen aber alle bravourös ihre Rollen, vorneweg wieder Bas, die erfolgreich so tat, als sei sie mit den – theoretisch – drakonischen Strafen echt an die Grenze dessen gegangen, „was verfassungsrechtlich zulässig ist“. Bei ihren schauspielerischen Darbietungen muss sie nie lachen, was schon eine Leistung ist.
Die Grünen warfen Schwarz-Rot trotzdem reflexhaft „soziale Kälte“ vor, die Linken „ekelhafte Sündenbock-Politik auf Kosten der Ärmsten“. „Wahnsinn“, schnappatmete DGB-Chefin Yasmin Fahimi. Dabei ist der auf der einen Seite propagierte Weltuntergang genauso absurd wie auf der anderen Seite der Jubelsturm.
Und als nächstes? Wird wohl Kranksein verboten
CSU-Chef Markus Söder freute sich zum Beispiel: „Das Bürgergeld ist jetzt Geschichte.“ Wobei – damit hat er sogar recht. Denn es ändert sich zwar nicht, wird aber umbenannt. Nun heißt es „Grundsicherung“. So wie Raider irgendwann Twix hieß.
Das ist die ganz hohe Kunst: Wähler belügen, ohne etwas Falsches zu behaupten. Insofern ist die anstehende „Reform“ immerhin ein rekordverdächtig peinliches Fanal Berliner Symbolpolitik. Übertrieben empört die einen, übertrieben enthusiastisch die anderen – alle haben ihre Rollen gespielt und sich selbst gleich mit belogen.
Wenn das so weiter geht mit dem „Herbst der Reformen“, werden wir noch echte Überraschungen erleben. Ich nehme an, dass man das nächste Projekt – die explodierenden Gesundheitskosten – dann noch schneller lösen wird: Kranksein wird einfach per Kabinettsbeschluss verboten.
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