Schärfere Sanktionen, Einschnitte bei der Vermögensanrechnung, stärkere Bekämpfung von Sozialleistungsmissbrauch – mit einer neuen „Grundsicherung“ will die schwarz-rote Bundesregierung das alte „Bürgergeld“ abschaffen.
Während Grüne, Linke und Gewerkschaften die Pläne als „menschenunwürdig“, „kalt“ und „verfassungsrechtlich nicht haltbar“ kritisieren, loben Wirtschaftsvertreter das Vorhaben als „echte Erneuerung“ des Sozialstaats. CDU-Fraktionsvize Carsten Linnemann spricht vom Einzug einer „neuen Gerechtigkeit“.
Tatsächlich schürt die Koalition mit ihren vollmundigen Ankündigungen große Hoffnungen, gerade in den Kommunen, wo die negativen Auswüchse des Bürgergeld-Systems hautnah zu spüren sind. Kein Wunder, dass sich bei vielen Jobcenter-Chefs und Regionalpolitikern erstmal Erleichterung breitmacht.
Bürgergeld-Reform der Regierung: CDU-Landrat kritisiert Pläne
Doch es gibt auch kritische Stimmen.
So warnt der Landrat im thüringischen Greiz, Ulli Schäfer (CDU), im Gespräch mit FOCUS online vor überzogenen Erwartungen und einem Täuschungsmanöver. Gradmesser für den Erfolg der Reform seien nicht Ankündigungen, „sondern die gesetzliche Umsetzung. Und die steht noch aus“.
Schäfer mahnt, aus Kreisen der Koalition höre man immer wieder „starke Worte“ zur Bürgergeldreform, die er selbst für „grundsätzlich begrüßenswert“ hält. „Nachdenklich machen mich aber Interpretationen mancher Politiker, die den Eindruck aufkommen lassen: Es wird nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Seit Wochen werde das Argument wiederholt, dass nur geringe Einsparungen für den Bundeshaushalt zu erwarten wären.
„Angesichts des immensen finanziellen Aufwandes für das Bürgergeld machen solche Äußerungen stutzig, ob tatsächlich das Problem an der Wurzel angepackt wird. Es darf nicht sein, dass Hartz IV und Bürgergeld mit der Grundsicherung ein neues Etikett mit einigen homöopathischen Änderungen angeheftet wird“, warnt der CDU-Landrat. Allein 2024 musste der Staat 47 Milliarden Euro für die Unterstützung der rund 5,5 Millionen Bürgergeldbezieher aufbringen.
Ulli Schäfer: „Der Kurs ist strenger, aber nicht hart und klar genug“
Dann wird der Christdemokrat deutlich: „Der Kurs ist strenger, aber nicht hart und klar genug dort, wo es nötig wäre!“
Eine Reform des Bürgergeldes solle vor allem die arbeitsfähigen Menschen erreichen, so Schäfer. „Es geht darum, Menschen zu unterstützen, die aus eigenem Antrieb eine Arbeit suchen. Aber mehr noch um Zeitgenossen, die das Bürgergeld bisher als ein bedingungsloses Einkommen betrachten oder gar als Zubrot zur Schwarzarbeit.“
Der Thüringer Landrat fragt skeptisch: „Werden diese Personen auch in Zukunft ihr Schlupfloch finden? Mehr noch: Wie kann kriminellen Netzwerken das Handwerk gelegt werden?“
Schließlich erneuert er seine Forderung nach einer Arbeitspflicht mit gemeinwohlorientierten Tätigkeiten für Bürgergeldempfänger. „Ich halte eine Arbeitspflicht für arbeitsfähige Bürgergeldempfänger – egal ob Deutsche oder Ausländer – für die konsequente Maßnahme. Wir haben im Landkreis Greiz gezeigt, wie die Arbeitspflicht für Asylbewerber zu regulären Jobs führt“, so Schäfer zu FOCUS online. Zugleich kritisiert er Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) scharf.
Der Landrat hatte vor gut einem Monat einen Brief mit einem konkreten Gesetzesvorschlag zur Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger an Bas geschrieben. „Die Ministerin hat es nicht für nötig gehalten, den Brief zu beantworten. Das lässt doch tief blicken, wie ernst es um den Willen bestellt ist, dass aus der Bürgergeldreform kein Etikettenschwindel wird“, moniert Schäfer.
Thüringer Landrat: „Reformlast nicht in die Jobcenter verlagern!“
Auf die Frage, ob die geplante Reform wirklich der große Wurf sei, sagt Ulli Schäfer: „Manches, was für die Grundsicherung angekündigt ist, erinnert an Hartz-IV-Elemente, etwa die Sanktionen bei Terminversäumnissen oder weniger Karenzzeiten bei den Unterkunftskosten. Das kann punktuell steuern, löst aber die Kernhemmnisse nicht: fehlende Qualifizierung, Gesundheitsprobleme, regionale Jobflauten, schwache Arbeitsanreize im unteren Lohnsegment und Schwarzarbeit.“
Auch die Reduzierung der Karenzzeit und strengere Regeln für die Kosten der Unterkunft seien „kein Durchbruch“, findet der Landrat. „Sie können zwar dämpfend auf die Ausgaben wirken, bergen aber Risiken der Verdrängung beziehungsweise Ghettobildung, wenn bezahlbarer Wohnraum insbesondere in Großstädten und Ballungsräumen fehlt.“
Der Regionalpolitiker aus Thüringen weist auf weitere mögliche Probleme hin. „Ich befürchte, dass die Bürokratie weiter anwachsen wird, dabei braucht Deutschland eben gerade kein Konjunkturprogramm für den Amtsschimmel.“ Auch habe er Sorge, dass auf die Jobcenter „ein erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand zukommt“. Bund und Länder müssten alles dafür tun, dass sich „die Reformlast nicht in die Jobcenter verlagert“.
Schäfer weiter: „Wenn mit Bürgergeld-Empfängern, die künftig Grundsicherungsempfänger heißen, auf Augenhöhe Vereinbarungen verhandelt werden sollen, wie sie in Arbeit kommen, so wird das Prinzip ‚Fordern und Fördern‘ doch sehr großzügig ausgelegt.“ Zwischen den Zeilen könne man lesen, „dass sich auch künftig Hintertürchen finden, um sich einer Arbeit zu entziehen“.
„Wer bedürftig ist, dem gehört die Solidarität der Gesellschaft“
Aus Verlautbarungen gehe hervor, dass Mitarbeiter des Jobcenters auch eine aufsuchende Beratung ausüben sollen, so Schäfer. „Das kann ich verstehen, wenn es um kranke oder behinderte Menschen geht, die ihre Wohnung nicht verlassen können. Es kann aber nicht angehen, dass Mitarbeiter Personen hinterherrennen, die Geld vom Staat – und das ist immer Geld des Steuerzahlers – bekommen wollen.“
Bei all seiner Kritik an den Plänen der schwarz-roten Koalition stellt der Thüringer Landrat im Gespräch mit FOCUS online klar: „Wer bedürftig ist, dem gehört auch in Zukunft die Solidarität der Gesellschaft.“ Und schiebt nach: „Aber nur denen!“