130.000 Umverteilungen pro Jahr: So wollen die EU-Länder Asylsystem umbauen

Wenn sich die EU-Innenminister am kommenden Dienstag in Luxemburg treffen, wollen sie offiziell über Katastrophenschutz, Schengen-Fragen und innere Sicherheit sprechen. Tatsächlich aber geht es auch um die ersten Details eines neuen „Solidaritätspools“ im reformierten EU-Asylsystem – ein Punkt mit großem Konfliktpotenzial, wie die "WELT am Sonntag" berichtet.

Hinter dem technischen Begriff verbirgt sich eine alte Streitfrage: Wie sollen Migranten, die in der EU ankommen, künftig verteilt werden? Alle Regierungen fordern Gerechtigkeit – im Klartext: Kein Land möchte den Eindruck erwecken, stärker belastet zu werden als andere, schreibt die Zeitung. 

Umgang mit Migranten: EU soll Italien und Griechenland helfen

 Ab Juli 2026 soll das neue gemeinsame europäische Asylsystem (GEAS) greifen. Es soll das bisherige Gerangel um Zuständigkeiten beenden und eine gerechtere Verteilung sicherstellen. Grundsätzlich bleiben die Staaten an den EU-Außengrenzen – etwa Italien oder Griechenland – für Asylverfahren zuständig. Neu ist ein Solidaritätsmechanismus, der in Kraft tritt, wenn ein Land nachweislich überfordert ist. Dann soll die EU-Kommission andere Mitgliedsstaaten verpflichten, Migranten aufzunehmen oder anderweitig Unterstützung zu leisten. Geplant sind mindestens 30.000 Umverteilungen pro Jahr.

„Aus logistischer Sicht ist es einfach, 1000 Menschen aus einem anderen Land zu übernehmen – politisch ist es sehr kompliziert“, zitiert die "WELT am Sonntag" einen EU-Diplomaten. Kein Staat wolle zum Auffanglager für umverteilte Flüchtlinge werden oder bei der Verteilung schlechter dastehen als andere – auch Deutschland nicht.

Nach Informationen aus Berliner Regierungskreisen möchte die Bundesrepublik nicht automatisch Nehmerland sein. Polens Präsident Karol Nawrocki erklärte, sein Land werde „keinerlei Maßnahmen“ der EU unterstützen, „die auf die Ansiedlung illegaler Einwanderer in Polen abzielen“.

Aufnahme von Migranten: EU-Länder müssen bald entscheiden

Die Mitgliedsstaaten warten nun gespannt auf den Europäischen Asyl- und Migrationsbericht, den die EU-Kommission am kommenden Mittwoch erstmals vorstellen will. Darin sollen die Belastungen einzelner Länder analysiert werden – Grundlage für die künftige Umverteilung im Rahmen des Solidaritätspools. Bis zum Jahresende müssen die Regierungen entscheiden, welches Land wie viele Migranten übernimmt.

Wie die "WELT am Sonntag" weiter berichtet, sorgten in internen Gesprächen zuletzt gegenseitige Vorwürfe für Spannungen. Besonders Griechenland und Italien seien ins Visier geraten: Ihnen werde vorgeworfen, Migranten weiterhin in Richtung Norden durchzuwinken und anschließend nicht zurückzunehmen. Rom und Athen entgegneten, sie trügen bereits jetzt die Hauptlast und könnten auch im neuen System überfordert bleiben.

Laut Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik könnten überlastete Staaten künftig „ganz offiziell Dublin-Übernahmen einschränken“, wenn nicht genug Migranten umverteilt werden. Damit bleibe der alte Grundkonflikt bestehen: die richtige Balance zwischen Solidarität und Verantwortung.

Aufnahme von Migranten: Deutschland will kein Nehmerland sein

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) stellte klar: „Wir lassen die Länder an den Außengrenzen nicht allein. Aber die Mitgliedstaaten müssen sich wieder an die Dublin-Regeln halten.“ SPD-Fraktionsvize Sonja Eichwede betonte, Solidarität dürfe „keine Einbahnstraße“ sein. Auch CDU-Innenpolitiker Alexander Throm warnte, Deutschland könne „keine Asylbewerber übernehmen, solange sich nicht alle EU-Staaten an ihre Pflichten halten“.

Nach Angaben der "WELT am Sonntag" lehnt auch Österreichs Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) die geplante Umverteilung ab: „Österreich war und wird immer gegen eine Umverteilung sein, weil sie in der Praxis nicht funktioniert hat.“ Sein Land habe bereits erhebliche Solidarität gezeigt, so Karner. Die EU müsse berücksichtigen, „wie viele Menschen Österreich in der Vergangenheit aufgenommen hat“. Zudem fordert er, Asylverfahren und Rückkehrzentren in Staaten außerhalb Europas einzurichten, damit „praktisch keine Migranten aus Afrika oder Asien mehr illegal nach Österreich kommen“.

Eine Sprecherin des deutschen Innenministeriums erklärte gegenüber der "WELT am Sonntag", Deutschland prüfe den Vorschlag der Kommission. Die Belastung der Aufnahme- und Integrationskapazitäten sei aufgrund der hohen Zugangszahlen seit 2015 „nach wie vor stark“ und müsse bei künftigen Bewertungen berücksichtigt werden.

Am Ende steht viel auf dem Spiel: Ohne den Solidaritätsmechanismus droht das neue EU-Asylsystem zu scheitern – noch bevor es in Kraft tritt.