Wer regiert die Republik? Ich frage mich das öfter, denn man kann ja nicht sagen, dass sich die eher bürgerlich-konservative Mehrheit im Land in der aktuellen Regierung wiederfindet. Wer führt also dann? Der DGB? Die Grünen? Heidi Reichinnek, Anja Reschke oder Fridays for Future? Im Fall Hamburg kommen wir mit dieser Melange der Wahrheit zumindest schon sehr nahe.
Am Sonntag hat eine Volksinitiative mit der knappen Mehrheit der abgegebenen Stimmen mal eben die Regierungspolitik der Hansestadt aus den Angeln gehoben. Es geht nicht um Kleinigkeiten wie die Einrichtung von Lastenfahrrad-Parkplätzen vor der Stadtteil-Kita „Rote Zora“, sondern um große Fragen: Hamburg soll nun schon 2040 klimaneutral werden. Fünf Jahre früher, als bislang geplant. Die EU will übrigens erst 2050 so weit sein.
Tempo 30 in der ganzen Stadt
Das wird die Stadt und damit ihre Einwohner Milliarden kosten und macht eigentlich wenig Sinn, wenn nicht mal der Rest der eigenen Republik mitzieht. Aber es soll wahrscheinlich ein Zeichen setzen. Für was auch immer.
Hier nur mal ein paar der Konsequenzen des Volksentscheids, der für die Stadtregierung übrigens bindend ist: Bis 2040 müssen alle Gas- und Ölkessel in Wohn- und anderen Gebäuden ausgetauscht werden – bei gleichzeitiger Stilllegung des Gasnetzes. Wärmepumpe ist künftig King, auch wenn die Preise nicht nur dafür explodieren dürften aufgrund des plötzlichen Nachfragedrucks. Tempo 30 wird stadtweit zur Regel, der Pkw-Verkehr reduziert. Und die Industrie soll vollständig auf Wasserstoff und E-Fuels umsteigen (die es in ausreichender Menge noch gar nicht gibt).
Wir sprechen hier nicht von der Transformation eines Freizeitparks, sondern einer Hafen-, also Industriemetropole. Und wenn Sie sich an dieser Stelle fragen, wer all die CO2-Ambitionen bezahlen soll – auch dafür haben die Initiatoren Antworten: Mieter zum Beispiel dürfen natürlich nicht durch energetische Sanierungen belastet werden. Und für die Vermieter braucht es eben Förderprogramme, also Steuergelder.
Auch der Erste Bürgermeister warnte
Alle, die was von Wirtschaft verstehen, hatten im Vorfeld gewarnt, nicht nur der Erste Bürgermeister, SPD-Mann Peter Tschentscher. Auch Handwerks- und Handelskammer, Industrieverband sowie die komplette Bürgerschaft, außer den Linken. Ein Sonderfall sind zudem die Grünen. Ihre mitregierende Bürgerschaftsfraktion war ebenfalls gegen den „Zukunftsentscheid“, die Parteibasis aber dafür. So ist das ja oft: Wer direkte Führungsverantwortung hat, schaut bisweilen deutlich rationaler auf Machbarkeiten.
Die meisten Lobby-Verbündeten des „Zukunftsentscheids“ kennen nix als ewige Opposition: BUND und Nabu, Greenpeace, Campact, Fridays for Future, Ver.di – viele von ihnen definieren sich über ihr Dagegen-sein. Gegen „Rechts“. Gegen Reichtum, den man zumindest neu definieren müsste. Gegen „Fossilmafia“, die da oben, Steuersenkungen, Trump oder wenigstens den „Genozid“ an Palästinensern.
Klima-Ideologie statt Kompromissbereitschaft
Ich dachte, die fixe Idee hätte sich mittlerweile erledigt, dass am deutschen Öko-Wesen die Welt genesen soll. Dass wir wirklich noch glauben: Wenn wir nur im Sauseschritt vorangehen, dann werden die anderen schon folgen. Dem Rest der Welt ist der Hamburger Aktionismus herzlich egal. Aber nun wird eben die Stadt ruiniert mit einer Agenda, die vor allem durch ideologische Kompromisslosigkeit besticht.
Klima ist in Hamburg jedenfalls nun Prio 1. Und natürlich ist das ein schönes und ehrenwertes Ziel. Aber soll man deshalb die Kosten ausblenden? Mal abgesehen davon, dass die Stadt noch ein paar andere Baustellen hätte.
„Das ist keine nachhaltige Klimapolitik, sondern ein kostspieliger Schnellschuss, der Vertrauen zerstört“, sagt etwa Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, der rund sechs Millionen Wohnungen in der ganzen Republik repräsentiert.
Es geschah jedenfalls im Namen des Volkes, das diesen Weg ja gewählt hat. Das gibt mir eigentlich am meisten zu denken.
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