„Helft uns“: Vier Ukrainer berichten im Miesbacher Pfarrheim von Krieg, Folter und Tod
Sie erzählten von und über den Krieg in der Ukraine: Ein Musiker, eine Mutter, ein Priester und ein Kickboxer sind ins Pfarrheim nach Miesbach gekommen. Ihre Botschaft: „Helft uns.“
Miesbach – „Die zivilisierte Welt kann das nicht glauben, aber es ist die Wirklichkeit, in der wir leben!“ Damit schloss der ukrainische Musiker Taras Kompanichenko das letzte seiner offiziell gespielten Lieder im Rahmen des Zeitzeugengesprächs „Der Preis der Freiheit“, zu dem Bundestagsabgeordneter Karl Bär (Grüne) ins Pfarrheim Mariä Himmelfahrt in Miesbach eingeladen hatte. Er wolle daran erinnern, „dass nur 600 Kilometer von hier Menschen darum kämpfen, dass sich der Stärkere nicht einfach nehmen kann, was er will“, sagte Kompanichenko.
Großes Leid für Kriegsgefangene
Auch die zierliche Jana aus Kiew, die mit bisweilen brechender Stimme von ihrem seit zwei Jahren gefangenen Sohn erzählte, flehte: „Verschließt bitte nicht Eure Augen!“ Der Künstler und Musiker, der die Ukraine verteidigen wollte, sei als Marine-Infanterist zusammen mit Zivilisten in Mariupol durch 14 000 russische Soldaten eingekesselt und gefangen genommen worden. Die letzte Nachricht ihres stets zuversichtlichen Sohnes kam per SMS: „Mama, das kann man nicht mehr aushalten.“ Auf Bildern habe sie ihn bis auf die Knochen abgemagert gesehen, mit ausgeschlagenen Zähnen und einer klaffenden Lücke, wo einst ein Tattoo war.
Wie man ihm helfen könne? Das fragte Psychotherapeutin Isabel Anders-Brodersen, die mit ihrem Kollegen Stefan Woinoff mit viel Fingerspitzengefühl das Gespräch leitete. „Was sie hier hören, muss die große Masse erfahren!“ Das sei die einzige Chance, betonte die verzweifelte Mutter. Den Gefangenen in Strafkolonien sei der Kontakt nach außen verboten, es gebe weder Rechtsbeistand, noch medizinische Hilfe. An die Genfer Flüchtlingskonventionen hielte sich keiner.
Sogar Priester werden gefoltert
Das bestätigte Vasyl Vyrozub. Der ukrainisch-orthodoxe Priester war auf dem Weg zur Schlangeninsel vor Odessa, als er von Spezialkräften des Marinekreuzers Moskwa aufgehalten und später auf der Krim-Halbinsel verhört wurde. Die Folter begann nach einigen Tagen, als sich die vermeintlich einfach einzunehmende Insel nicht erobern ließ. Man habe ihm die Fingernägel abgezogen, in die Nieren geschlagen, die Arme verdreht und ihn mit Elektroschockern traktiert. „Und das bei einem gewöhnlichen Priester“, so Vyrozub. „Können sie sich vorstellen, was sie mit Soldaten angestellt haben?“ Der blanke Hass sei ihnen entgegengeschlagen und immer wieder der Vorwurf, wer den Ukrainern erlaubt habe, so gut zu leben.
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Auch er habe diesen Hass immer wieder in den Augen der Peiniger gesehen, sagt Oleksiy Anulya, einst Kickboxer und Bodyguard aus der Region Tschernihiw, der bei den Kämpfen um Lukaschiwka im März 2022 gefangen genommen wurde. Er sprach davon, wie der große Sieg von 1945 verherrlicht werde. „Sie werden eure KZs wiederholen. Deshalb bitten wir euch, zu helfen, so lange es noch Soldaten gibt. Uns gehen sie langsam aus.“
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Dringender Appell für mehr Unterstützung
Auch Artem Rakitin sagte: „Wir werden ermordet, es wird Genozid betrieben.“ Wenn der stattliche Mann mit dem verletzten Auge beschreibt, wie die Menschen Wasser aus Pfützen trinken und auf dem Lagerfeuer kochen, ist Rakitin fassungslos.
Dass sie dennoch nicht von Rache, sondern von Frieden sprechen, beeindruckte Bär, der besonders Sofia Chtcherban dankte, die den Abend im Rahmen eines studienbegleitenden Praktikums organisiert hatte. „Der Verlust dieses Konflikts würde uns dem Krieg viel näher bringen, als jede Waffenlieferung.“
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Priester Vyrozub ergänzte: „Wenn sie uns vernichten, dann kommen sie zu euch!“ Seine Botschaft. „Bewahrt euren Frieden und helft uns, unseren wieder zurückzubekommen. Auch wir Ukrainer haben mal Kriege im Fernsehen gesehen und dachten, das ist weit weg. Wir haben uns bitter getäuscht!“
hsi