Inmitten anhaltender Spannungen und Umbrüchen in der arabischen Welt wählt der Irak am Dienstag ein neues Parlament. Während der Iran und die USA im Zweistromland um Einfluss ringen, prägen im Inneren Misstrauen und Korruption den Alltag.
Mehr als 20 Jahre nach der US-Invasion zum Sturz von Diktator Saddam Hussein sowie nach dem Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ringt der Irak im Wettstreit seiner politischen, religiösen und ethnischen Gruppen weiterhin nach einer stabilen Demokratie.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Wahl:
Wie wird gewählt?
Insgesamt sind rund 21 Millionen Wahlberechtigte der 46 Millionen Einwohner aufgerufen, die 329 Abgeordneten im Parlament zu bestimmen. 7.754 Kandidatinnen und Kandidaten treten an. Ein Viertel aller Sitze ist für Frauen reserviert. Wählerinnen und Wähler stimmen meist für eine Liste oder einen Block von Kandidaten. Nach Auszählung der Stimmen beginnt ein komplexer Prozess der Regierungsbildung, der Wochen oder Monate dauern könnte.
Mehr als 300 Beobachter, darunter Vertreter der Vereinten Nationen, der Arabischen Liga und internationale Kontrolleure, werden den Wahlprozess überwachen.
Iraks aktueller Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani hat angekündigt, für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Das Wahlergebnis wird jedoch nicht unbedingt zeigen, ob al-Sudani im Amt bleibt oder nicht. In früheren Wahlen im Irak konnte der Block mit den meisten Sitzen seinen bevorzugten Kandidaten nicht durchsetzen.
Auch diesmal sehen Fachleute die Chancen für eine zweite Amtszeit al-Sudanis als eher gering an - vor allem aufgrund tiefer Spaltungen innerhalb der Koalition, die ihn damals ins Amt hob.
Welche Herausforderungen gibt es?
Das Wahlverhalten wird stark von ethnischen und konfessionellen Zugehörigkeiten geprägt. Viele Wähler bevorzugen Kandidaten aus ihrer eigenen Gemeinschaft. Beobachter kritisieren, dass der Wahlkampf weniger auf öffentliche Debatten oder konkrete Programme gesetzt hat, sondern auf Einfluss, Posten und Mandate. Die Wahl gilt unter Kritikern als ein Instrument zur Machterhaltung der Parteien, nicht zur Repräsentation der Bürgerinteressen.
Der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr und seine Bewegung haben angekündigt, die Wahl zu boykottieren. Der Boykott gilt als entscheidender Faktor, da die Bewegung al-Sadrs eine der größten im Land ist.
Der Wahlkampf wurde zudem von Gewalt begleitet: Mitte Oktober wurde der sunnitische Kandidat Safaa al-Maschhadani in Bagdad durch eine Autobombe getötet.
Welchen Einfluss haben proiranische-Milizen, Iran und die USA?
Seit der US-Invasion 2003 haben sich Dutzende schiitische Milizen im Irak gebildet. Viele gehören zum Verbund der Volksmobilisierungskräfte und haben enge Verbindungen zum Iran. Einige dieser Gruppen verfügen heute über politischen Einfluss und treten als Partei über eigene Listen bei den Wahlen an. Sie haben auch den aktuellen Premier al-Sudani mit ins Amt gehoben.
Mit ihrer Hilfe behält der Iran vor allem strategischen Einfluss und kann so politische Entscheidungen und Koalitionen indirekt lenken. Der Iran werde niemals zulassen, dass im Irak ein mächtiger Führer aufsteigt, zitierte das „Wall Street Journal“ kürzlich den irakische Analysten Lawk Ghafuri. Der Wechsel des Premiers sei für Teheran Pflicht, um sicherzustellen, dass keine Person zu beliebt oder einflussreich wird.
Auch die USA üben weiter Einfluss aus. Sie drängen auf eine vollständige Entwaffnung aller Milizen im Land - vor allem um den iranischen Einfluss zu minimieren. Unter dem Schirm des Islamischen Widerstands im Irak hatten mehrere Milizen nach Ausbruch des Gaza-Kriegs in Solidarität mit der Hamas im Gazastreifen immer wieder Angriffe auf US-Militärstützpunkte im Irak und in Syrien verübt. Diese wurden mittlerweile eingestellt. Ob al-Sudani eine weitere Amtszeit erhält, hängt auch davon ab, wie geschickt er das Gleichgewicht zwischen US-Interessen und iranischem Druck wahrt.
Wie blickt die Bevölkerung auf die Wahl?
Die Bevölkerung im Irak blickt mit gemischten Gefühlen auf die Wahl: Einige Iraker sehen sie als entscheidend für die Stärkung der Demokratie. Andere, insbesondere Boykott-Befürworter, glauben, dass diese Wahl nur die gleiche politische Dynamik befeuern wird, die seit 2003 von großen Parteien, unkontrollierten Waffen und Korruption dominiert wird.
„Wahlen sind entscheidend, um den politischen Prozess im Irak zu reformieren und weiterzuentwickeln“, sagte der Regierungsangestellte Salim Mohammed der Deutschen Presse-Agentur. Ähnlich sieht es die Lehrerin Soha al-Saadun. „Wir müssen alle an den Wahlen teilnehmen, um den Weg zu korrigieren und die korrupten und gescheiterten sektiererischen Politiker zu entfernen“, sagte sie. Es brauche neue Gesichter mit frischem Geist. Die Iraker seien müde von den immer gleichen Personen. Der Rentner Jassim Mohammed hingegen will die Wahl boykottieren, „wegen der weit verbreiteten Korruption und des Fehlens echter Reformen oder des Willens, eine Regierung frei von sektiererischer Machtaufteilung zu bilden“, betonte er.