„Lohnabstand nicht mehr gewahrt“: FDP-Manager Thomae sieht Bürgergeld als „Fehler“

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Die FDP hat das Bürgergeld in der Ampel mit eingeführt, nun kritisiert sie es. Doch: „Es enthält einen guten Punkt“, sagt Stephan Thomae im Interview.

In Stephan Thomaes Büro steht ein Bild mit Angela Merkel. Der FDP-Politiker steht darauf neben der Altkanzlerin und lächelt in die Kamera. Fast wie ein kleines Kind, das seinen Star getroffen hat. Ein Büromitarbeiter hat Merkels neues Buch auf dem Schreibtisch liegen. Es trägt den Titel „Freiheit“, das Ur-Mantra der Freien Demokratischen Partei. Jener FDP, die derzeit so in der Krise steckt: Ampel-Aus, Rücktritte nach D-Day-Papier, Umfragewerte teils unter fünf-Prozent.

Thomae ist parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Er ist zuständig für die Arbeit im Parlament, kann gewissermaßen als FDP-Manager bezeichnet werden. Im Interview mit IPPEN.MEDIA spricht er über die Krise in seiner Partei, Christian Lindner und das Bürgergeld. Und Merkels Buch? „Das steht bei mir auf dem Wunschzettel fürs Christkindl.“

Herr Thomae, wann haben Sie das D-Day-Papier das erste Mal gelesen? 

Ich habe davon aus der Presse erfahren.

Und, wie finden Sie es? 

Begriffe wie „offene Feldschlacht“ hätte ich mir nicht zu eigen gemacht. Entscheidend ist aber doch, dass das Papier keine Rolle für tatsächliches Handeln gespielt hat. Im Übrigen war es angesichts der Meinungsunterschiede in der Koalition zwingend erforderlich, sich auf alle denkbaren Szenarien vorzubereiten. Ich bin sicher, auch Grüne, SPD und Union haben das getan. Und das erwarte ich auch von der Parteispitze.

Die Parteispitze will aber nichts von dem Papier gewusst haben. Widerspricht sich das nicht?

Ich glaube, in allen Parteizentralen ist ungeheuer viel über verschiedene Szenarien diskutiert worden. Da entstehen auch Notizen und Gedankenpapiere, die nicht weiter reifen und den Entscheidungsgremien gar nicht vorgelegt werden. Das scheint auch auf dieses Papier zuzutreffen.

Aber Christian Lindner sollte als Parteichef schon wissen, wenn ein solches Papier in der Partei zirkuliert. 

Christian Lindner war damals Bundesfinanzminister, was ein extrem hohes Arbeitspensum mit sich bringt. Er konnte nicht alles im Detail kennen, was auf Arbeitsebene an Papieren entstand. Wirklich wichtig sind ja auch andere Dinge. Nämlich, dass eine Koalition keinen Fortbestand haben kann, die keine Kraft mehr für notwendige Reformen hat.

Es geht ja auch um die Kommunikation, wenn führende FDP-Politiker wie Wolfgang Kubicki das Papier leugnen und von Märchen und Lüge sprechen. 

 Ich halte es für glaubhaft, dass das den Entscheidungsgremien nicht vorgelegt worden ist.

Thomae (FDP): „Christian Lindner ist der richtige Mann für den Wahlkampf und darüber hinaus“

Ist Christian Lindner nach wie vor der richtige Mann für die FDP?

Antwort: Ja, für den Wahlkampf und darüber hinaus. Wenn wir auf die wirklich wichtigen Dinge blicken, hat Christian Lindner eine klare, programmatische Idee, was unser Land jetzt braucht. Das steht detailliert in seinem Wirtschaftswendepapier.

Stephan Thomae verlässt mit FDP-Chef Christian Lindner das Reichstagsgebäude.
Ein Bild aus der Woche des Regierungsendes: Stephan Thomae verlässt mit FDP-Chef Christian Lindner das Reichstagsgebäude. Kurz zuvor wurde Lindner als Finanzminister entlassen. © Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Das Papier hat 18 Seiten. Auf welche Forderungen wollen Sie sich im Wahlkampf konzentrieren? 

Erstens braucht es eine neue Dynamik in der Wirtschaft, mehr Entlastungen, mehr Investitionen, weniger Bürokratie. Zweitens müssen wir aufhören, Klimaschutz nur national zu denken. Es hilft nichts, wenn wir mit einer nationalen Klimapolitik unsere Wirtschaft abwürgen, denn einem solchen schlechten Vorbild würden andere Länder niemals folgen. Wir müssen mindestens europäisch, wenn nicht weltweit denken. Drittens geht es darum, den Arbeitsmarkt in Schwung zu bringen. Da geht es um gesteuerte Einwanderung in den Arbeitsmarkt statt Fluchtmigration. Und ganz konkret ein anderes Arbeitszeitgesetz, durch das sich viele Menschen nicht mehr eingeschränkt fühlen.

Inwiefern fühlen sich die Menschen eingeschränkt?

Es gibt viele Menschen, die zu bestimmten Zeiten mehr arbeiten und dafür an anderer Stelle freihaben wollen. Manche Eltern möchten vormittags arbeiten, wenn die Kinder in der Kita oder Schule sind, sich dann nachmittags um sie kümmern und dafür am Abend noch einmal an den Schreibtisch setzen. Das ist aber häufig mit den gesetzlichen Pausenzeiten nicht zu vereinbaren.

Gewerkschaften würden entschieden widersprechen und davor warnen, dass der Arbeitgeber lockere Pausenregeln missbrauchen kann.

Es geht doch darum, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ein Arbeiten ermöglicht, das sich dem Lebensalltag der Beschäftigten anpasst und nicht so, wie es sich irgendein Staatssekretär im Ministerium vielleicht vorgestellt hat. In der Gastronomie und Hotellerie beispielsweise bräuchten wir dringend zumindest Wochenarbeitszeitkonten. Wir brauchen mehr Flexibilität, wie es in dem Wirtschaftswende-Papier aufgelistet ist.

Stephan Thomae (FDP): Das Bürgergeld war ein Fehler

In dem Papier geht es auch ums Bürgergeld, das Sie als FDP mit der Koalition ermöglicht haben. War das ein Fehler?

 Ja, so wie es jetzt ist, war das ein Fehler. Das Bürgergeld in der aktuellen Form enthält zwar einen guten Punkt.

Welchen?

Der Fortbildungsgedanke ist ein guter Ansatz. Demnach finden Menschen am besten einen dauerhaften Platz im Arbeitsleben, wenn sie sich weiterqualifiziert haben. Früher war es oft so, dass wegen des Vermittlungsvorrangs die Leute ganz schnell vermittelt worden sind, dann aber bald wieder beim Jobcenter oder der Arbeitsagentur standen. Ein echtes Problem sind Menschen, die gar kein Interesse daran haben, in den Arbeitsmarkt vermittelt zu werden. Wenn jemand nicht kann, muss das Sozialsystem greifen. Aber nicht, wenn jemand nicht will. Doch dafür ist der aktuelle Sanktionsmechanismus zu stumpf.

Diese Totalverweigerer sind aber in der Minderheit unter den Bürgergeldempfängern.

Das hoffe ich. Trotzdem gibt es sie. Erschwerend kommt das Problem der Berechnungsmethode hinzu. Der Lohnabstand ist nicht mehr gewahrt. Manche Bürgergeldleistungen, vor allem für Familien, sind so hoch, das muss man netto erst einmal verdienen. Da stehen Eltern sehr früh auf, arbeiten bei wenig Freizeit, haben aber am Ende nur wenig mehr Geld als Familien im Bürgergeld. Das kann nicht sein.

Man könnte ja auch den Mindestlohn erhöhen.

Eine Erhöhung des gesetzlichen bundeseinheitlichen Mindestlohns zieht das gesamte Lohngefüge nach oben, erhöht die Arbeitskosten der Unternehmen, damit das allgemeine Preisniveau und die Inflation, schließlich im nächsten Schritt wieder das Bürgergeld, und alles beginnt wieder von vorn. Den gesetzlichen Mindestlohn sollte man der Mindestlohnkommission überlassen und nicht in einen parteipolitischen Überbietungswettbewerb zu Wahlkampfzwecken einsteigen.

Stephan Thomae in seinem Bundestagsbüro im Interview mit IPPEN.MEDIA.
Stephan Thomae in seinem Bundestagsbüro im Interview mit IPPEN.MEDIA. © Jon Lasse Schmitt/IPPEN.MEDIA

Die Menschen könnte auch das von Finanzminister Christian Lindner ausgearbeitete Steuergesetz rund um die kalte Progression entlasten. Das kommt jetzt aber durch das Ampel-Aus wohl nicht mehr. Oder würde es die FDP mit SPD und Grünen durch den Bundestag bringen?

Wir haben das ja gemeinsam vorbereitet. Wenn Rot-Grün unser Gesetz vorlegt, werden wir als FDP dazu nicht Nein sagen.

Es wird ja allmählich knapp, wenn es noch dieses Jahr kommen soll.

Das Verfahren liegt jetzt in der Hand der Regierung. Ich habe meine Zweifel, ob es zeitlich noch gelingen kann. Aber inhaltlich stehen wir natürlich zu dem, was wir auch selbst erarbeitet haben.

Die FDP war gut drei Jahre in der Ampel-Regierung, hat seitdem nahezu jede Landtagswahl verloren und liegt in Umfragen teils unter der Fünf-Prozent-Hürde. Hat da wirklich nur die unbeliebte Regierung Schuld, deren Teil Sie ja waren?

Die Ampel-Koalition hat sicherlich einen erheblichen Anteil. Wir müssen jetzt klarmachen, was uns von SPD und Grünen unterscheidet: klare Mittelstandspolitik, vernünftige Wirtschaftspolitik, unternehmerische, aber auch bürgerliche Freiheiten. Dann werden wir ein gutes Ergebnis erzielen.

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