Lindners Papier zur „Wirtschaftswende“: Heizungsgesetz, Bürgergeld und Rente – das will die FDP
Christian Lindner legt seinen Wirtschaftsplan auf 18 Seiten dar. Das Geheimpapier nennt heikle Punkte. Ist es ein neuer „Scheidungsbrief“ für die Ampel?
Berlin – Die Ampel-Regierung steht vor dem Zerfall. Vor dem Hintergrund der schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland ist ein Streit zwischen FDP, Grünen und SPD entbrannt, der die Scholz-Regierung endgültig zur Aufgabe zwingen könnte. Christian Lindners 18-Seiten-Papier, in der er eine neue Grundausrichtung der Wirtschaftspolitik fordert, ist der nächste Akt.
Die 18 Seiten mit dem Titel „Wirtschaftswende Deutschland - Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit“ hatte Lindner nach eigenen Angaben nur an den engsten Kreis der Bundesregierung verschickt. Schnell gelangte das Werk aber an die Presse. Der Stern berichtete zuerst. Lindner selbst beklagt „Indiskretion“ in der eigenen Regierung, dass das Geheimpapier so schnell durchgestochen wurde.
Lindner liefert 18-Seiten-Geheimpapier: zu brisantem Zeitpunkt
Lindners 18 Seiten sind als Antwort auf Robert Habecks Vorschlag aus der vergangenen Woche zu verstehen, in dem der Grünen-Wirtschaftsminister erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen hatte, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab. Den Vorschlag hatte Habeck offenbar ohne Absprache mit Kanzler oder Finanzminister veröffentlicht. Lindner sprach von einem „Hammer“ und unterstellte Robert Habeck „konzeptionelle Hilflosigkeit“, da er, obwohl sein Konzept der Rettung Intels mit Staatsgeld gescheitert sei, den gleichen Weg nun in wesentlich größerem – heißt teurerem Rahmen – weitergehen wolle.
In der letzten Woche hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) dann zu einem Industriegipfel eingeladen, zu dem aber weder Habeck noch Lindner eingeladen wurden. Die FDP-Fraktion hatte eine Art Gegengipfel mit Verbänden veranstaltet. Scholz plant – ebenso wie die FDP – noch weitere Treffen in etwa dem bisherigen Format. Am Ende will der Kanzler einen Pakt für die Industrie erreichen, das Ergebnis soll noch vor Weihnachten stehen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit ankündigte. Die drei Ampel-Partner scheinen je ihr eigenes Süppchen zu kochen.
Lindner-Papier: „Alternative Richtungsentscheidung für unser Land“
Zu seinen eigenen 18 Seiten schrieb Lindner, mit seinem Konzept schlage er „eine alternative Richtungsentscheidung für unser Land“ vor. Doch Lindner wird noch deutlicher und meint: „Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik“. In dem Papier ohne Datum wird eine „Wirtschaftswende“ gefordert, mit einer „teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden. Die deutsche Wirtschaft ist in einer Wachstumskrise. Eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik könne das Vertrauen von Unternehmen und privaten Haushalten stärken.

„Deutschland kann mehr als Durchschnitt“, schrieb Lindner. Manche wollten das Blatt wenden, indem sie Wohlstand durch Umverteilung versprächen. „Sie erwecken den Eindruck, ein Staat ohne Schuldenbremse könne neues Wachstum kaufen. Dabei unterschlagen sie, dass Schulden Geld kosten“, erklärte er. Aus der Kanzlerpartei SPD waren wiederholt Forderungen nach einer Lockerung der Schuldenbremse gekommen.
Meine news
Rente, Asyl, Heizungsgesetz: Lindner rechnet in 18-Seiten-Geheimpapier mit Ampel ab
Deutschland habe weder zu niedrige Steuern noch zu geringe Staatsausgaben, schrieb der FDP-Chef weiter. „Eine neue Realpolitik muss vielmehr benennen, dass Deutschland sich einen Arbeitsmarkt leistet, der nicht Aktivität belohnt, sondern Untätigkeit toleriert.“ Deutschland habe das Kapital, um das Land zu modernisieren, seine Sicherheit zu stärken und Freiräume für einen neuen Aufschwung zu öffnen. „Wir setzen unser Kapital nur falsch ein.“ Die Wende sei dringlich geworden.
Doch was will Lindner im Detail?
Konkret ist in Lindners jetzigem Papier von einem sofortigen Moratorium zum Stopp aller neuen Regulierungen die Rede. Der FDP-Chef deutlich: „Ein immer weiter wucherndes Regulierungs- und Bürokratiedickicht“ erstickt „die traditionell hohe Innovationskraft Deutschlands und den Unternehmergeist“. Neue Gesetzesvorhaben sollten entweder ganz entfallen oder, wo dies nicht möglich sei, so ausgestaltet sein, dass Bürokratie und Regulierung durch das Vorhaben sinken und keinesfalls steigen. Genannt werden in diesem Zusammenhang zum Beispiel Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für ein Tariftreuegesetz sowie das Lieferkettengesetz.
Weiter heißt es, als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbstständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt werde, entfallen. Er sollte in einem ersten Schritt im Jahr 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf 3 Prozent abgesenkt werden. In einem zweiten Schritt könnte er im Jahr 2027 dann vollständig entfallen. Der Soli wurde für 90 Prozent der Steuerzahler bereits abgeschafft.
Lindners Geheimpapier in 18 Seiten: Heizungsgesetz, Bürgergeld, Rente - das will der FDP-Minister
Weiter heißt es im Papier, nationale müssten durch europäische Klimaziele ersetzt werden. „Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen.“ Deutschland solle auf europäischer Ebene insbesondere die Abschaffung der Regulierungen zur Energieeffizienz, Gebäudeenergieeffizienz und der Flottengrenzwerte für Autokonzerne durchsetzen.
Und auch Robert Habecks Heizungsgesetz greift Lindner in seinen 18 Seiten an: Bei Angleichung der nationalen und europäischen Ziele könnten die Bundesförderung für effiziente Gebäude und die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze reduziert oder zeitlich gestreckt werden, heißt es im Papier. Im Gebäudeenergiegesetz – oft als Heizungsgesetz bezeichnet – könne der Zeitpunkt, ab dem Heizungen vollständig klimaneutral sein müssen, um fünf Jahre verschoben werden, der Anteil erneuerbarer Energien dabei von 65 Prozent bei neuen Heizungen zunächst abgesenkt und erst später erhöht werden. Das Förderprogramm Klimaschutzverträge könnte ebenfalls weitgehend entfallen – das zielt auf eine Maßnahme Habecks.
Weitere Punkte in Lindners 18-Seiten-Papier:
- Die geplante Subvention für Intel sollte nicht nur verschoben werden, sondern ganz entfallen, heißt es im Papier. Die bisher gebundenen Mittel von insgesamt 10 Milliarden Euro könnten aus dem Klima- und Transformationsfonds entnommen werden – das ist ein Sondertopf des Bundes. Der kriselnde Chipkonzern Intel hatte den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben.
- Im Papier ist die Rede von einer „Wende in der Asyl- und Arbeitsmarktpolitik“. Durch eine niedrigere Zahl der Asylerstanträge fielen die Zahlungen an Länder und Kommunen zur Unterstützung durch den Bund geringer aus .Die Bürgergeld-Regelsätze seien 2024 überproportional gestiegen. „Sie liegen im Jahr 2025 weiter über dem Bedarf und sollten daher durch die Abschaffung der „Besitzstandsregelung“ abgesenkt werden, um Arbeitsanreize zu stärken.“
- Weiter heißt es im Papier, Abschläge bei frühzeitigem Renteneintritt sollten angepasst werden.
- Im Papier Lindners ist mit Blick auf bestehende Milliardenlücken im Haushaltsentwurf von der Notwendigkeit einer weiteren Senkung der Ausgaben die Rede.
18 Seiten von Lindner: Vergleich zu Lambsdorffs „Scheidungsbrief“ von 1982
Als wegweisend für den Fortbestand der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gilt die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, die für den 14. November geplant ist. Dort wird über den Haushalt 2025 entschieden.
Von Beobachtern im politischen Berlin wurden Vergleiche gezogen zu einem Konzept des damaligen Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff (FDP) in der sozialliberalen Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD). Das Papier aus dem Jahr 1982 machte eine Reihe von Vorschlägen für eine „Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ - und ist als „Scheidungsbrief“ in die Geschichte eingegangen. Wenige Tage später, am 1. Oktober 1982, wurde Helmut Kohl (CDU) mit einem konstruktiven Misstrauensvotum zum neuen Bundeskanzler gewählt. An dieses Papier erinnerte Christian Lindner gerade erst im Interview mit dem Spiegel. Dort zollte er Lambsdorff Respekt für seinen Mut, in einer schwierigen Lage das Land über die Partei zu stellen. Daran erinnert sich offenbar auch der Parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei. Er nannte Lindners 18 Seiten gegenüber der Rheinischen Post die „ultimative Scheidungsurkunde“ für die Ampel. (dpa/rist)