Um „Schaden von Deutschland abwenden“: Lindner mischt die Ampel auf – Koalitions-Krise verschärft
Um „Schaden von Deutschland abzuwenden“: Lindner mischt die Ampel auf – Koalitions-Krise verschärft
Lindner fordert in einem Papier für die „Wirtschaftswende“ einen umfassenden Schwenk in Klima-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Mit Grünen und SPD ist das kaum zu machen.
Berlin – Der Herbst wird für die Ampel-Regierung zur Zerreißprobe. Ein neues Grundsatzpapier aus der Feder von FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner heizte die Spekulationen am Freitag an. Er, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) streiten seit Wochen darüber, wie man der schwächelnden Wirtschaft wieder unter die Arme greifen könnte. Lindner preschte nun mit einem provokanten Wirtschaftsplan vor.

„Wirtschaftswende Deutschland“ – Das steht drin in Lindners Wirtschaftspapier
In dem 18-seitigen Papier, das zuerst dem Magazin Stern vorlag, fordert der Finanzminister unter anderem die Abschaffung des Solidaritätszuschlages auch für Vielverdiener und den sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen für die nächsten drei Jahre. Das Papier hat den Titel „Wirtschaftswende Deutschland - Konzept für mehr Wachstum und Generationengerechtigkeit.“ „Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik“, hieß es darin. Das bedeute eine „teilweise grundlegende Revision politischer Leitentscheidungen“, um Schaden vom Standort Deutschland abzuwenden.
Deutsche Wirtschaft trotz etwas verbesserte Prognose in „Schwächephase“ – IWF kritisiert Ampel
Die Bundesbank sieht die deutsche Wirtschaft in einer seit 2022 andauernden „Schwächephase“, auch wenn sie zuletzt laut Statistischen Bundesamt um 0,2 Prozent im Vergleich zum zweiten Quartal gewachsen war. Der Ifo-Geschäftsklimaindex, ein wichtiger Indikator, stiegt im Oktober erstmals wieder, nach vier Rückgängen in Folge. „Die deutsche Wirtschaft konnte den Sinkflug vorerst stoppen“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest der Nachrichtenagentur Reuters.
Der Wirtschaftsstreit der Bundesregierung stoßen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) auf deutliche Kritik. Es wäre „schon viel gewonnen, wenn die Politik klar kommunizieren würde, wie ihre Strategie mittel- und langfristig aussieht“, sagte der IWF-Europa-Chef Alfred Kammer am Dienstag (29. Oktober) der Süddeutschen Zeitung. Das gelte insbesondere für den klimagerechten Umbau des Landes. „Unternehmen werden nur investieren, wenn sie wissen, was in den nächsten zehn bis 15 Jahren passieren soll.“
FPD verlangt „Wirtschaftswende“ – Lindner und Habeck streiten über Schuldenbremse und Staatsfonds
Die FDP verlangt seit längerem eine „Wirtschaftswende“. Auch die Forderung nach der Abschaffung des Solidaritätszuschlages ist nichts Neues. Der Zeitpunkt des neuen Papiers ist aber brisant. Erst vor anderthalb Wochen hatte Habeck erneut einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern. Die FDP lehnt dies unter Verweis auf die Schuldenbremse ab.
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Scholz und FDP laden zu Wirtschaftsgipfeln – Ampel-„Wachstumsinitiative“ noch nicht umgesetzt
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zu einem Industriegipfel eingeladen, zu dem aber weder Habeck noch Lindner eingeladen wurden. Die FDP-Fraktion hatte eine Art Gegengipfel mit Verbänden veranstaltet. Scholz plant – ebenso wie die FDP – noch weitere Treffen in etwa dem bisherigen Format. Am Ende will der Kanzler einen „Pakt für die Industrie“ erreichen, das Ergebnis soll noch vor Weihnachten stehen, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit ankündigte. Erst im Juli hatte die Bundesregierung eine „Wachstumsinitiative“ angekündigt. Das Paket mit vielen Maßnahmen ist aber noch nicht umgesetzt worden.
Lindners Wirtschaftspapier: „Unnötige klimapolitische Regulierungen“ abschaffen
Einige von Lindners Forderungen bergen das Potenzial, den Ampel-Streit noch weiter anzuheizen: Neben dem Soli-Aus und dem Regulierungsstopp sollen das Tariftreuegesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und das Lieferkettengesetz fallen. In der Klimapolitik verlangt Lindner, die deutschen Klimaziele durch europäische zu ersetzen. Regulierungen zur Energieeffizienz, Gebäudeenergieeffizienz und der Flottengrenzwerte für Autokonzerne auf europäischer Ebene sollten, wie ein fixes Datum für den Kohleausstieg, als „unnötige klimapolitische Regulierungen“ abgeschafft werden, heißt es in dem Papier.
Weiter wird eine Abkehr der geplanten Subventionen für den Chiphersteller Intel verlangt, der kürzlich den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben hatte. Die Bürgergeld-Regelsätze sollten 2025 durch die Abschaffung der „Besitzstandsregelung“ gesenkt werden. Weiter müssten die Abschläge früheren Renteneintritt „angepasst“ werden. „Irreguläre Migration“ müsse über die bisher getroffenen Maßnahmen hinaus eingedämmt werden.
SPD, Grüne und FPD streiten über Bundeshaushalt 2025
Als wegweisend für den Fortbestand der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gilt die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, die für den 14. November geplant ist. Dort wird über den Haushalt 2025 entschieden.
Spekulationen über eine vorzeitige Auflösung der Ampel-Koalition wies Regierungssprecher Hebestreit am Freitagmittag – vor Bekanntwerden des neuen Lindner-Papiers – zurück. „Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendwer dabei ist, sich in die Büsche zu schlagen“, sagte Hebestreit in Berlin. Er machte deutlich, „dass man konstruktiv die nächsten knapp elf Monate bis zum regulären Wahltermin für die nächste Bundestagswahl miteinander zusammenarbeiten wird“.
CSU-Politiker deutet Lindners Wirtschaftspapier als „Ausdruck nackter Verzweiflung“
Gute Vorschläge seien willkommen, „doch das FDP-Wahlprogramm als Lösung zu präsentieren, bringt uns nicht weiter“, sagte der Co-Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD, Tim Klüssendorf, dem Portal t-online: Für den wesentlichen Teil der Forderungen werde es in der Ampel keine Mehrheiten geben. „Das weiß der Finanzminister auch“, so Klüssendorf. Der finanz- und haushaltspolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Sebastian Brehm, nannte Lindners Grundsatzpapier „Ausdruck nackter Verzweiflung über eine ausweglose Finanzlage und eine desaströse Lage seiner Partei“. Lindner und die FDP seien aber Teil und Mitverursacher der Probleme, die das Land quälten. (kb mit dpa)