Flüchtlinge „förmlich verpflichtet“: Gemeinde will Arbeitsdienste an Asylbewerber geben

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Für den Bauhof sollen Asylbewerber künftig eingesetzt werden. (Symbolbild) © Thomas Plettenberg

Die Gemeinde Icking will Flüchtlinge stärker einspannen. Für 80 Cent je Stunde sollen einige Asylbewerber Dienste an der Allgemeinheit übernehmen.

Icking - Unterm Strich geht es um ein paar Stunden Arbeit in der Woche und ein paar Euro extra. Für Claudia Roederstein geht es um mehr. Die Asylkoordinatorin der Gemeinde Icking sieht darin einen Schritt zur Integration, praktisches Deutschlernen und gegenseitige Akzeptanz zwischen Ickingern und Geflüchteten. Die Isartalgemeinde möchte einige Asylbewerber zu sogenannten Arbeitsgelegenheiten einteilen. Das Modell ist einfach: Asylbewerber werden für einige Stunden in der Woche zu Diensten für die Allgemeinheit eingeteilt. Dafür erhalten sie eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde. Die ausgewählten Flüchtlinge werden förmlich zur Arbeit verpflichtet – ein tatsächliches Arbeitsverhältnis entsteht dadurch aber nicht.

80 Cent für eine Stunde Arbeit: „Es ist kein Job“

Der niedrige Geldbetrag – geregelt vom Bayerischen Innenministerium – könnte für Kritik sorgen, weiß Roederstein. Der Vize-Bürgermeisterin und Asylkoordinatorin geht es aber nicht um das Geld. „Das ist kein Job, den wir den Menschen vermitteln.“ Es sei viel mehr eine Möglichkeit, sich in der neuen Heimat einzubringen und einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen. Der Geldbetrag wird auf die Sozialleistungen draufgelegt, niemand erfahre dadurch Nachteile. Geflüchtete, die eine Arbeit haben oder Sprachkurse absolvieren, kommen für das neue Programm nicht in Frage. „Das wäre kontraproduktiv. Wir wollen, dass sich die Menschen integrieren.“ Dabei sollen die Arbeitsgelegenheiten helfen statt im Weg zu stehen.

Zwölf Stunden pro Woche maximal: „Das ist zumutbar“

Geplant ist, dass die Flüchtlinge höchstens zwölf Stunden pro Woche Dienste übernehmen. Das Innenministerium würde 20 Stunden genehmigen. Roederstein: „Zwei Tage in der Woche könnten sie dann arbeiten – das ist zumutbar.“ Die Arbeiten selbst seien es auch. Die Asylbewerber sollen Aufgaben übernehmen, die sonst vom Bauhof erledigt werden. „Da reden wir über Grünflächen, die sie pflegen, oder mal eine Wand, die sie streichen.“

Verena Reithmann Claudia Roederstein
Asylbewerber zu Arbeitsdiensten verpflichten möchte die Gemeinde Icking. Darin sind sich die Bürgermeisterinnen Verena Reithmann (li.) und Claudia Roederstein einig. © SH/A

Einsatz bei Landschaftspflege und Winterdienst

Bürgermeisterin Verena Reithmann konkretisiert auf Nachfrage unserer Zeitung: „Unser Bauhofleiter würde jeweils einteilen, wo die Asylbewerber im Sinne von gemeinnützigen Tätigkeiten eingesetzt werden können.“ Das könnten im Sommer die Bereiche Landschaftspflege, Umwelt- und Naturschutz sein. „Sie können auch helfende Hände im Winterdienst oder auch bei der Bewältigung von besonderen unvorhergesehenen Ereignissen sein.“

Bürgermeisterin hält Arbeitsdienste für Asylbewerber für sinnvoll: „Gefühl, eine Gegenleistung“ zu erbringen

Die Rathauschefin hält die Arbeitsgelegenheiten für eine gute Lösung für alle. „Für die Leistungsempfänger, die keiner Arbeit nachgehen, kann die Tätigkeit sinnstiftend sein.“ Laut Reithmann geht es nicht nur um Arbeit und Beschäftigung. Sie betont „das Gefühl, eine Gegenleistung für erhaltene Sozialleistungen für die Allgemeinheit erbringen“ zu können. „Im besten Fall erhöht die Sichtbarkeit der Arbeit auch die Akzeptanz in der Bevölkerung und hilft beim Spracherwerb.“ Asylkoordinatorin Roederstein weiß, dass viele Flüchtlinge das gerne leisten wollen. „Beim Ramadama waren sehr viele Familien dabei und haben da fleißig angepackt.“ Für diejenigen, die in dem Projekt mitmachen sollen, seien die Dienste „ein bisschen geregelter Alltag“, der einigen aus verschiedenen Gründen fehle.

Ich glaube, dass Integration nur dann funktionieren kann, wenn beide Seiten aufeinander zugehen.

Roederstein ist seit neun Jahren Asylbeauftragte in der Isartalgemeinde. „Ich glaube, dass Integration nur dann funktionieren kann, wenn beide Seiten aufeinander zugehen.“ Dienste an der Allgemeinheit seien eine Möglichkeit, gerade dann, wenn sich die Neu-Ickinger weder über das Arbeitsleben noch über Sprach- oder Integrationskurse angenähert hätten.

Landratsamt prüft Flüchtlings-Plan: Gemeinde will zur Arbeit verpflichten

Die Arbeitsstunden sind kein freiwilliges Angebot. „Die Asylbewerber werden zur Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit förmlich verpflichtet“, schreibt Reithmann. Wie die Umsetzung am Ende genau funktioniert, möchte Roederstein abwarten. Derzeit liegt die Planung zur Prüfung beim Landratsamt. Die Kreisbehörde müsste die Bezahlung stemmen. „Wir können uns vorstellen, dass es im Juli losgeht“, sagt die Vize-Bürgermeisterin.

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Reithmann habe mit Bauhof-Mitarbeitern gesprochen. Jubelstürme habe sie nicht vernommen, gibt sie zu. „Es ist eine Herausforderung“, die „von gemischten Gefühlen begleitet ist“. Die Kommunikation sei eine Hürde. Vielleicht müssten zu Anfang Dolmetscher helfen. Mit Kleidung und Werkzeug werden die neuen Arbeitskräfte durch die Gemeinde ausgestattet.

„Einfach ausprobieren“: Icking will Arbeitsdienste starten

Roederstein kann die Skepsis verstehen. „Wir haben uns bewusst entschieden, nicht die Bedenken hochzuhalten, sondern es einfach auszuprobieren.“ Sie betrachtet die Idee als Chance. Statt die Sprachbarriere zu fürchten, sieht sie die Möglichkeit für Flüchtlinge, die Sprache in praktischen Situationen zu lernen. Da es kaum vergleichbare Projekte gebe, „müssen wir eigene Erfahrungen machen und schauen, wie das im Alltag funktionieren kann“.

Mit den Paten der Asylbewerbern – für jede Unterkunft in Icking gibt es einen – hat sie über die Idee gesprochen. Die Ehrenamtlichen kennen die Menschen gut. „Bei dem Thema hat niemand die Augenbrauen hochgezogen.“ Dem Projekt würden alle eine Chance geben wollen.

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