Neuer Waffendeal – Militärbündnis zwischen Moskau und Peking scheint möglich

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Seite an Seite – vermutlich bald gemeinsam gegen die USA: der chinesische Präsident Xi Jinping (l) und Kremlchef Wladimir Putin in Peking. © Suo Takekuma/Pool Kyodo News/AP

Das Horrorszenario für Nato-Militärs: Russland und China Seite an Seite. Deren Diktatoren schmieden gegen die USA einen Pakt. Haltbarkeitsdatum offen.

Moskau – Wladimir Putin und Xi Jinping sind gerade ziemlich beste Freunde – die beiden Giganten auf tönernen Füßen, Russland und China, wachsen am Ukraine-Krieg langsam zusammen, jetzt offensichtlich auch durch einen Waffendeal zwischen Xi und Putin, nachdem der sich mit der Krim-Annexion bereits vor zehn Jahren als gewaltbereit geoutet und in China Interesse geweckt hatte. Nach zwei Jahrzehnten argwöhnischer Feindschaft zwischen den beiden Nachbarn bekommen die USA und die Nato damit eine harte Nuss zu knacken: „Obwohl die beiden Staatsoberhäupter kein formelles Militärbündnis unterzeichnet haben, sollten solche Schritte die USA und ihre Verbündeten mit großer Sorge erfüllen“, schreibt Chels Michta für die Denkfabrik Center for European Policy Analysis.

Russland soll China Suchoi Su-25-Jets, Mil Mi-17-Hubschrauber und S-400-Luftabwehrsysteme verkauft haben. Das ist laut Medienberichten der nächste konkrete Schritt aufeinander zu nach zwei Absichtserklärungen zwischen Putin und Xi: China und Russland erklärten im Februar 2022 eine „grenzenlose“ Partnerschaft, als Putin Peking besuchte, nur wenige Tage bevor er Zehntausende Truppen in die Ukraine schickte und damit den tödlichsten Landkrieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg auslöste – Experten rechnen damit, dass Xi zumindest eine Ahnung davon hatte, was folgen würde. Anfang November lobte Putin in Moskau diesen inoffiziellen Pakt gegenüber General Zhang Youxia, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission Chinas, als die seiner Meinung nach „wichtige ,High-Tech‘-Militärkooperation zwischen beiden Ländern – das hatte die Nachrichtenagentur Reuters gemeldet.

Die fast ein Vierteljahrhundert währende Eiszeit zwischen beiden Ländern ist damit getaut. Der Zerfall der Sowjetunion Ende Dezember 1991 war für die chinesischen Eliten ein Schock gewesen. Russland hatte sich damit dem Sozialismus entfremdet, vom östlichen Nachbarn abgewandt und sich nach Westen orientiert. China hatte damit aber schon zwei Jahre früher begonnen mit der Präsidentschaft von Jiang Zemin – unter ihm machten Partei und Staat allmählich Platz für freies Unternehmertum, was in Chinas Städten einen Boom des Privatsektors nach sich zog. 

2001 wurde die Annäherung zwischen China und Russland in dem Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit festgehalten. „Natürlich werden auch unsere Zusammenarbeit, unsere Kontakte im militärischen und militärisch-technischen Bereich immer wichtiger, denn bei der militärisch-technischen Zusammenarbeit steht hier natürlich unsere Arbeit in High-Tech-Bereichen an erster Stelle“, sagte Putin gegenüber Reuters damals. „Ich meine den Weltraum, einschließlich Gruppierungen mit hoher Umlaufbahn, ich meine auch moderne und vielversprechende Waffen, die sicherlich die strategische Sicherheit sowohl Russlands als auch der Volksrepublik China gewährleisten werden.“

USA: Der erklärte Feind von Russland und China gleichermaßen

Autorin Michta warnt angesichts dieser Aussichten: „Ein umfassendes chinesisch-russisches Bündnis würde die Vereinigten Staaten mit einer Bedrohung konfrontieren, wie es sie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat.“ Die Wissenschaft liegt allerdings im Streit ob der Tragfähigkeit des Bündnisses – Anastasia Vishnevskaya-Mann schreibt für die Bundeszentrale für politische Bildung vom „Juniorpartner Russland“: Die Asymmetrie zwischen beiden Ländern fände sich in der militärischen genau so wie in der Sicherheitszusammenarbeit. Seit den 1990er Jahren sei China zwar einer der wichtigsten Absatzmärkte russischer Waffen. Doch durch den legalen wie illegalen Technologietransfer stelle es immer mehr Waffen selber her, sodass fraglich sei, wie lange China noch auf russische Waffensysteme angewiesen sein werde.

Beispielsweise setzt China aktuell auf eine eigenständige Waffenproduktion mit Belarus – zur Herstellung von Raketenwerfern. Ohnehin hatten sich beide Länder in den vergangenen Jahren wirtschaftlich verstärkt gen Westen orientiert: Russland als Energielieferant, China brauchte Absatzmärkte. Den Schwenk nach Asien vollzog Wladimir Putin nach der Krim-Annexion, um die wirtschaftlichen Einbußen durch die westlichen Sanktionen auszugleichen. Beide versuchen voneinander zu profitieren durch das Seidenstraßen-Vorhaben – ein großes Infrastruktur-Projekt, das vor allem schnellere und sicherere Handelsrouten zwischen China und Europa zum Ziel hat. Die neue Seidenstraße soll – wie schon die alte – durch Zentralasien führen. Eine Region, die der Kreml dezidiert als eigene geopolitische Interessensphäre begreift.

Russland und China: Ein Miteinander unter Vorbehalt

Vishnevskaya-Mann schreibt: „Doch obwohl die Initiative unter anderem auch größeren Einfluss Chinas in Zentralasien vorsieht, macht man sich darüber im Kreml demonstrativ keine Sorgen. Laut Beobachtern soll der Kreml dabei keine bittere Pille geschluckt, sondern folgendermaßen kalkuliert haben: China konzentriert sich auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der Region, während Russland Garantiemacht bleibt und seinen politischen Einfluss behält.“ Auch bei dem wichtigsten Element der Seidenstraße – dem Ausbau der Eisenbahnschiene – war Russland außen vor. Seine ursprüngliche Erwartung, dass der Ausbau dieser „Belt and Road Initiative“ die russische Transsibirische Eisenbahn zur Grundlage nehmen würde, wurde von China enttäuscht.

Das Miteinander ist insofern insgesamt eines unter Vorbehalt. China verfolgt eine Pro-Forma-Neutralität, um eventuell auch vom Wiederaufbau der Ukraine zu profitieren. Das Verhalten Xi Jinpings folgt also dem Verlauf des Ukraine-Krieges, wie der Asien-Forscher Zhang Junhua für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt: „China profitiert, weil ein schwaches Russland bedeutet, dass China mehr von Russland verlangen kann. Russlands frühere Arroganz gegenüber China ist dem Gegenteil gewichen, jetzt ist Russland eher abhängig von China. Ein so großes Land mit so vielen Ressourcen als Nachbar, das ist für China ein Gewinn.“

Ursprünglich hatte Xi seit seiner Machtübernahme vor zehn Jahren Russland links liegengelassen. Damals wollte er sich mit den USA zusammentun, in der Vorstellung, dass die beiden Großmächte in der Welt eine führende Rolle spielen würden, wie Zhang Junhua analysiert. Ex-US-Präsident Barrack Obama hatte der Idee einer bipolaren Welt wenig abzugewinnen. Xi ging trotzdem weiter davon aus, dass die USA China gegenüber freundlich gesinnt bleiben würden. Er nahm auch an, dass China durch die Bereitwilligkeit des Westens – besonders auch Deutschlands - zum technologischen Transfer langfristig gewinnen könnte. Obamas Nachfolger Donald Trump hat ihm mit seiner „America First“-Politik und den daraus folgenden höheren Einfuhrzöllen sowie den Exportbeschränkungen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Deutschland: Experte urteilt „Scholz zeigt Putin seine Angst“

Seitdem sind Xi und Putin ein Herz und eine Seele. So schreibt Zhang Junhua: „Putin bewundert die großen, wirtschaftlichen Errungenschaften Chinas, und Xi bewundert Putin wegen seiner Entschlossenheit, seiner Härte gegenüber dem Westen. Dieser Hintergrund hat dem Abkommen, das China im Februar dieses Jahres mit Russland geschlossen hat, den Weg gebahnt.“ Die im November angekündigte Vertiefung bedeutet die nächste Eskalationsstufe hin zu einem Militärbündnis, das Experten entstehen sehen. Rainer Meyer zum Felde beschreibt im Magazin Sirius drei mögliche Szenarien:

  • begrenzte militärische Kooperation zwischen Russland und China auf ausgewählten gemeinsamen Interessenfeldern;
  • ein Militärbündnis de facto – also nicht förmlich – im globalen Maßstab gegen westliche Institutionen und US-geführte Allianzen, das jedoch nicht von strategischer Koordinierung untermauert wird;
  • ein förmliches politisches und militärisches Bündnis zwischen Russland und China – dem sich möglicherweise andere regionale Mächte wie Iran anschließen – auf Grundlage einer Rahmenstrategie mit integrierter Planung und der Fähigkeit zu koordinierten, groß angelegten Operationen hoher Intensität an zwei oder mehreren Kriegsschauplätzen gleichzeitig – zum Beispiel in Europa, seiner Peripherie und dem Indopazifik, also beispielsweise auch mit Australien als Ziel.

Alle drei Szenarien zeitigen Konsequenzen für die einzelnen Nato-Partner – von ihnen wird mehr „Vornepräsenz“ erwartet mit permanent stationierten alliierten Kampfverbänden in Brigade-Stärke, also von bis zu 6.000 Kräften – außer in den exponiertesten drei baltischen Staaten und Polen ebenso in den südosteuropäischen Mitgliedstaaten; laut dem Autor zum Felde schließt das auch die Notwendigkeit weiträumiger stationierter nuklearer Waffen ein: „Obgleich sich die Rhetorik der Nato gegenüber China im Jahr 2021 verschärft hat, nimmt sie China bislang nur als Herausforderung, nicht als Bedrohung wahr.“

Deutschland komme dabei im Urteil der meisten Militärexperten eine exponierte Stellung zu; die Wehrhaftigkeit der gesamten Nato hänge entscheidend von der Kriegstüchtigkeit Deutschlands ab. Die Stärke Deutschlands spielt in der Expertenmeinung eine gewichtige Rolle gerade in Wladimir Putins Risiko-Abwägung, inwieweit offene Konfrontation gegenüber dem Westen geboten ist. „Scholz zeigt Putin seine Angst“, hatte der deutsche Militärhistoriker Sönke Neitzel bereits nach einigen Wochen des Ukraine-Krieges über die Salami-Taktik des Bundeskanzlers gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung geurteilt. Die Gefahr für die Nato würde also eher von Berlin ausgehen als von Moskau.

Der Westen: für China Handelspartner wider Willen

Dennoch bleibt China aufgrund seiner wankenden Wirtschaftskraft auf absehbare Zeit gezwungen, dem Westen die Hand zu reichen, wie das Magazin Cicero schreibt: In 2022 waren die Vereinigten Staaten der zweitgrößte Importeur chinesischer Waren, die sich auf mehr als 15 Prozent der chinesischen Exporte beliefen. Sie waren mit zehn Prozent die drittgrößte Quelle für ausländische Direktinvestitionen. Die Europäische Union bildete Chinas größten Exportmarkt mit mehr als 20 Prozent der chinesischen Exporte und zweitgrößte Quelle für ausländische Direktinvestitionen mit 15 Prozent. Einige Experten prognostizieren, China hätte sich in vielleicht sogar schon drei Jahren davon emanzipiert und könnte sich Russland enger an die Seite stellen.

Andere Experten sehen das gelassener – wie der Politikwissenschaftler Thomas Jäger in Cicero: „Richtig ist, dass beide füreinander derzeit die wichtigsten strategischen Partner sind. Denn beide versuchen, die Dominanz der USA in der internationalen Ordnung zu beseitigen. Dazu wurde jahrelang das Narrativ verbreitet, dass die USA und der Westen sowieso abstiegen, weil die liberalen Demokratien zu dekadenten Gesellschaften verkommen seien. Chinas Aufstieg hingegen beweise, dass Modernisierung, Fortschritt und Demokratie nicht alleine in westlichen Formaten erfolgreich sein könnten.“

Jäger plädiert dafür, mindestens einen zweiten Blick zu riskieren in der Beurteilung der Allianz zwischen Putin und Xi – eine Freundschaftsbeziehung sei das nämlich nur bei flüchtigem Hinsehen.

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