Chinesische Raketen in Belarus: Eine ernsthafte Bedrohung für die Bundeswehr

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Russische und belarussische Truppen bei gemeinsamen Militärübungen im Februar 2022. Raketengestützte Artillerie wird der künftige Schrecken der Nato. © Russian Defence Ministry/Imago

Belarus bekommt reichweitenstarke Raketen aus China. Das stärkt auch Putin militärisch. Nato und Bundeswehr müssen Russland als Gegner ernster nehmen.

Minsk – „Der nächste Krieg wird lediglich im Cyber-Raum geschlagen“, sagte Sönke Neitzel Mitte dieses Jahres. Deutschlands bekanntester Militärhistoriker nannte diesen Satz als die beherrschende These vorheriger sicherheitspolitischer Konferenzen mit dem Abstand inzwischen gewachsener Erkenntnis; also mit dem besseren Wissen, dass eine Katastrophe wie die in der Ukraine eben früher gekommen ist als befürchtet, und tatsächlich wie eh und je am Boden geführt wird. Beziehungsweise in der Luft, denn genau so wie der Panzer hat auch die Artillerie ihre Hauptrolle in Russlands Krieg wiedergefunden. Oder wie das deutsche Reservistenmagazin loyal schreibt: „So ist die Artillerie zurück als Königin der Schlachten. Eine Rolle, die sie in Europa seit den Feldzügen Napoleons innehatte, bis zum Ende des Kalten Krieges.“

Nachschub für Putins Verbündete im Ukraine-Krieg: China liefert nach Belarus neue Raketensysteme

Gerade schicken sich Belarus und China an, den Stand der artilleristischen Technik neu zu definieren. Wladimir Putins engster Verbündeter im Ukraine-Krieg rüstet mächtig auf: Die belarusische Armee hat jetzt neue Einheiten des gemeinsam mit China entwickelten Raketenartillerie-Systems „Polonez-M“ erhalten, berichtet das Military Watch Magazine. Pikant daran ist, dass China zuletzt im Mai durch seinen Sonderbeauftragten Li Hui in verschiedenen europäischen Ländern fordern ließ, „man müsse aufhören, Waffen in die Konfliktregion zu schicken“, wie der Deutschlandfunk berichtet hat.

Laut dem Military Watch Magazine gilt die „Polonez-M“ weithin als das leistungsfähigste Raketenartillerie-System in Europa und findet keine annähernd vergleichbaren Konkurrenten in den Systemen, die von Nato-Mitgliedstaaten oder von Russland eingesetzt werden. 2016 ist die „Polonez-M“ in Dienst gestellt worden als ein joint venture von Belarus und China, wobei die Chinesen die Raketentechnologie beisteuern und Belarus die mobile Abschussrampe.

Die schleppende Aufrüstung der belarussischen Armee mit diesem System gründet sich darauf, dass sich das Land seine selbst entwickelte Militärtechnologie kaum leisten kann. Military Watch: „Das sehr kleine Verteidigungsbudget Weißrusslands von nur etwa 800 Millionen US-Dollar, von dem der Großteil eher für Betriebsausgaben als für Anschaffungen aufgewendet wurde, war somit ein wesentliches Manko des ,Polonez‘-Programms.“ Die bisher im Einsatz befindlichen Batterien dienten als schlichtes Symbol für das Potenzial des belarussischen Verteidigungssektors und waren vor allem Teil von deren Militärparaden.

Belarus: „Polonez-M“ hat das Zeug zum Gamechanger

Als bemerkenswert notiert Military Watch, dass bisher keine Abschussvorrichtungen auf den neuen Trägerfahrzeugen gezeigt wurden, was vermuten lässt, dass die Lieferung der Raketen aus China tatsächlich noch ausstehen könnte. Russland verfügt mit dem Mehrfach-Raketenwerfersystem „BM 27“ in seinen verschiedenen Versionen über eine Reichweite ihrer Feuerkraft zwischen 30 und 90 Kilometern. Dabei trägt die raketen- sowie die rohrgestützte Artillerie die hauptsächliche Angriffslast der Russen für ihren Vernichtungsfeldzug gegen vor allem städtisches ukrainisches Gebiet; Wladimir Putin will die für das Überleben der Bevölkerung notwendige Infrastruktur auslöschen. Und da die ukrainischen Verteidiger die Stellungen des Aggressors kaum aus der Luft bekämpfen können, hat auch für sie die Artillerie einen unschätzbaren Wert. Ein System wie das belarusische „Polonez-M“ hätte insofern das Zeug zum Gamechanger in einem kommenden landgestützten artilleristischen Krieg.

Vor allem in der zweiten Phase des Angriffs-Feldzuges in der Ukraine, in der die russische Armee in der weiten Fläche breit auf der mehrere hundert Kilometer langen Front im Osten des Landes vorrücken wollte, spielte die Artillerie ebenfalls wieder eine Schlüsselrolle. Für einen Vorstoß an der vielerorts mit Schützengräben befestigten Front benötigen die Russen intensives Artilleriefeuer, um den Widerstand der Ukrainer auszuschalten und mit ihren Truppen vorrücken zu können.

Gerade der zähe Widerstand der Ukraine sowie die unterschiedliche materielle Macht auf dem Schlachtfeld führten zu Unterschieden in der Gefechtsführung zwischen der russischen und der ukrainischen Artillerie. In der ersten Kriegsphase hätte die russische Artillerie vor allem direkte Feuerunterstützung für Bodentruppen geleistet, sagte Oberst Dietmar Felber, Leiter der Artillerieschule der Bundeswehr im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Das habe sich inzwischen deutlich geändert, so Felber. „Im Donbass arbeiten sie sehr entlang ihrer Doktrin: Die Artillerie erobert, und die Infanterie besetzt. Die russische Artillerie bekämpft Geländeabschnitte mit dem Ziel, jeden Widerstand auszuschalten.“ Bis zu 60.000 Artilleriegeschosse würden pro Tag ohne Unterschied auf zivile wie militärische Ziele abgefeuert. Putins Krieg fordert unter der Zivilbevölkerung unendliches Leid.

Nordkorea: „KN-25“ hat eine Reichweite von fast 400 Kilometern

Das geht künftig auch aus sehr viel weiterer Entfernung: Die „Polonez-M“ wird beschrieben als die mit 300 Kilometern reichweitenstärkste Raketen-Artillerie Europas. Allerdings ist die „M57“-Kurzstreckenrakete für den amerikanischen Mehrfach-Raketenwerfer „Himars“ eine Munitionssorte von ebenbürtiger Reichweite. Anfang diesen Jahres hatte Polen das amerikanische „Himars“ gekauft, und noch im September hatten Nato-Truppen in Estland den Umgang mit „Himars“ trainiert.

Russland verfügt darüberhinaus über das atomwaffenfähige Raketensystem „Iskander-M“ – eine mobile Basis für Boden-Boden-Raketen, die sowohl ballistische Kurzstreckenraketen als auch Marschflugkörper abschießen kann. Die ballistischen Raketen haben eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Abgesehen von den möglichen Produktionsschwierigkeiten von Belarus werden wahrscheinlich keine chinesischen Raketen gegen die Ukraine eingesetzt werden oder sogar die Nato bedrohen – insofern müsste sich Wladimir Putin womöglich aus Nordkorea bedienen. Das dort produzierte System „KN-25“ wird auf eine Reichweite von fast 400 Kilometern geschätzt.

Die zunehmende technische Entwicklung Nordkoreas oder – mit chinesischer Hilfe – von Belarus bringt sowohl die Nato als auch Deutschland enorm in Zugzwang; wie das Magazin wehrtechnik bereits vor zwei Jahren klargemacht hat, besteht „ein Bedarf für eine ,Rakete 300 Kilometer plus‘ bereits am Ende dieses Jahrzehnts.“ Ziel sei eine abstandsfähige und präzise Wirkungsüberlegenheit bis auf eine Entfernung von maximal 499 Kilometern. wehrtechnik: „Die Bekämpfung stationärer Einzel- und kleiner Flächenziele durch eigene Artillerie auf Entfernungen jenseits der Reichweite von 84 Kilometern ist zurzeit noch nicht möglich, jedoch ist die Zielerreichung ,300 km+‘ die Minimalforderung für die zweite Hälfte der 2020er Jahre.“

Deutschland: Russland als Gegner künftig ernster nehmen

Besorgniserregend für die Nato und ihre Bestrebungen nach einer Festigung ihrer Ostflanke sind die „Polonez“-Systeme allemal. Sie bedeuten die massive Aufrüstung von Belarus und damit auch eine Verstärkung der belarusisch-russischen Partnerschaft, da sie einhergehen mit dem Kauf von ballistischen Iskander-M-Raketensystemen mit größerer Reichweite aus Russland, wie Military Watch berichtet. Die Drohung mit „Polonez“ wäre also die Vorstufe eines möglichen Einsatzes von „Iskander“-Flugkörpern, die auch Atomsprengköpfe auf Nato-Territorium tragen könnten. China sieht in der Bewaffnung des Vertragspartners Russlands womöglich eine Chance, Moskaus Position gegenüber der NATO zu stärken, ohne in den laufenden russisch-ukrainischen Krieg eingreifen zu müssen. Bereits im April 2022 hatte Peking an das prorussische Serbien Luftabwehr-Systeme geliefert.

Gerade nach dem Appell von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), die Bundeswehr habe „kriegstüchtig“ zu werden, stehen ihre überkommenen strategischen Grundsätze zur Disposition. Sollte die Bundeswehr in einem nächsten Krieg, statt nur das Bundesgebiet zu verteidigen und einen Angriff zu verzögern, auf Rückeroberungs-Operationen gegen dichte Stellungssysteme umschalten, wie sie das gerade in der Ukraine demonstriert bekommt, gelangt die Einsatzfähigkeit der deutschen Armee an ihre Grenzen. Der Chef des Planungsstabes im Verteidigungsministerium, Brigadegeneral Christian Freuding, sagt gegenüber dem Reservisten-Magazin loyal klipp und klar: Die Bundeswehr muss wieder lernen, sich auf die russischen Streitkräfte als Gegner einzustellen.“

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