Die Ukraine als Wahlkampf-Opfer

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Bilder, die Olaf Scholz bis September nicht wiederholen mag: Der Kanzler vor exakt zwei Jahren beim Truppenbesuch auf einem Flugabwehrkanonenpanzer „Gepard“. © Marcus Brandt

Die Ampel deckelt ab sofort die Militärhilfen. Auslöser soll das Gezerre um die Lücken im Haushalt sein. Doch Kritiker werfen dem Kanzler vor, auf die Wahlen im Osten zu schielen.

Es hatte was von einer standesamtlichen Hochzeit. Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj, zusammen an einem Tisch, wie sie mit schicken Füllern die viele, viele Seiten langen Verträge vor sich unterzeichnen. Als die letzte Unterschrift gesetzt ist, stehen sie für ein Erinnerungsfoto parat. Der eine grinst schlumpfig, der andere blickt eher erleichtert drein. Das Ja-Wort, das sich die beiden Regierungschefs im Februar im Kanzleramt gegeben haben, soll sie für die nächsten zehn Jahre binden. Eine Zusicherung, so sagte Scholz damals, dass Deutschland die Ukraine „so lange wie nötig“ mit Waffenlieferungen unterstütze. Die Bilder sind auf den Tag genau sechs Monate alt, als am Samstag durch die Medien sickert, dass der Haushalt der Ampel ab sofort keine neuen Ukraine-Hilfen mehr vorsieht.

Ein Brief von Christian Lindner stellt die Außenpolitik der vergangenen zwei Jahre auf den Kopf. Der Finanzminister bittet darin den Verteidigungsminister Boris Pistorius und Außenministerin Annalena Baerbock, der Ukraine keine Zusagen mehr zu machen. Auf Wunsch des Kanzlers. „Ende der Veranstaltung. Der Topf ist leer“, sagt ein Insider aus der Bundesregierung gegenüber der „FAS“, der das Schreiben vorliegt. Im laufenden Jahr sind etwa 7,5 Milliarden Euro für Ukraine-Hilfen verplant, im nächsten nur noch vier, alle Summen sind schon überbucht, der Geldhahn zu.

Der Friedenskanzler blickt auf die Landtagswahlen im Osten

Der Zeitpunkt: günstig. Jedenfalls für die Landesverbände der Ampel-Parteien im Osten. In zwei Wochen wird in Thüringen und Sachsen gewählt, nur drei Wochen später dann auch in Brandenburg. Dort sehen viele Wähler die Ukraine-Hilfen kritisch. In allen drei Bundesländern liegt die AfD vorn, und ohne das BSW bleiben den etablierten Parteien kaum noch Regierungs-Bündnisse übrig. AfD und BSW haben ihren Wahlkampf dermaßen auf die Unterstützung für die Ukraine ausgerichtet (knallhart dagegen), dass inzwischen auch die CDU nachzieht. Erst gestern hat sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wieder für Verhandlungen mit Russland und eine Kürzung der Waffenhilfe ausgesprochen. „Jeden Tag sterben da Menschen“, so die Begründung.

Und dann ist da noch Olaf Scholz, der gleichzeitig Friedenskanzler der SPD und zweitwichtigster Unterstützer der Ukraine sein will. Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter wirft ihm nun einen Wahlkampf um den Osten auf Kosten der Ukraine vor. „So handelt keine selbst ernannte Führungsnation Europas“, sagt er dem „Tagesspiegel“. „Das sendet ein fatales Zeichen an unsere europäischen Partner, an die USA und an die Ukraine.“

Eingefrorene Russen-Gelder: „Keine deutsche Leistung“

Die Bundesregierung bemüht sich am Montag um Beruhigung. Es gelte weiter das Wort des Kanzlers, sagt Regierungssprecher Wolfgang Büchner: „Wir stehen weiterhin an der Seite der Ukraine.“ Spekulationen, die Regierung wolle vor den Wahlen ein Signal senden, nennt er „infam“. Der Ukraine werde weiter geholfen, allerdings aus anderen Quellen. Gemeint ist ein Beschluss der G7-Staaten, Kapitalerlöse aus eingefrorenen russischen Geldern für die Ukraine zu nutzen: 50 Milliarden Euro sollen dabei rumkommen. „Daran wird intensiv gearbeitet“, sagt Büchner.

Tatsächlich ist der Beschluss der G7-Staaten aber rechtlich umstritten. Wie lange es dauert, bis das Russen-Geld wirklich fließt, ist völlig offen. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen bezeichnet das Vorgehen des Kanzlers als „beschämend“: Die eingefrorenen Russen-Gelder stünden der Ukraine ohnehin schon zu. „Es ist ihr Land, in dem gekämpft und das zerstört wird. Dieses Geld bereitzustellen, ist keine deutsche Leistung.“ Auch der Russland-Experte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik meint: „Wenn etwas aus den russischen Reserven bezahlt wird, dann ist es nicht ‚unsere‘ Hilfe.“ Heißt: „Wir helfen dann einfach nicht mehr und hoffen, dass die Ukraine es ohne uns schafft.“

Und der Kanzler: sagt erst mal nichts dazu. Am Montag tummelt er sich irgendwo in einem Festzelt in Niedersachsen. Er habe gelesen, dass er eher als Schweiger denn als Redner gelte, sagt er da. „Es war nicht leicht, sich diesen Ruf zu erarbeiten“, witzelt er vor 2000 Gästen. „Vor dieser Rede hier hatte ich deutlich mehr Bammel als vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen.“ Das war vor einem Jahr, in New York. Damals hatte er die anderen Staaten angemahnt, nicht kriegsmüde zu werden – und vor einem Schein-Frieden in der Ukraine gewarnt. Eine ungewöhnlich scharfe Rede war das. Sie ist nicht gut gealtert.

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