Ausgleich der Kalten Progression - Wichtige Steuererleichterung kommt doch nicht - was das für Sie bedeutet

Planmäßig müsste der Bundestag eigentlich in diesem Winter noch ein Gesetz zum Ausgleich der Kalten Progression beschließen. Dies ist alle zwei Jahre üblich, um durch Inflation entstehende Steuermehrbelastungen für Bürger auszugleichen. Doch dazu wird es nicht kommen. Zwar hatte die Ampel-Koalition ein passendes Gesetz bereits ausgearbeitet, doch nach dem Bruch weigert sich die FDP, diesem im Bundestag zuzustimmen. Auch die Unionsparteien CDU und CSU wollen dies nicht tun und stattdessen nach einem mutmaßlichen Wahlsieg lieber ein neues Gesetz beschließen, dass dann rückwirkend ab Januar 2025 gilt. Für Verbraucher ist das ein unsicherer Zustand, denn sie können jetzt noch nicht planen, welche Steuern im kommenden Jahr zu zahlen sind. Dabei ist das parteipolitische Gezanke bei dem Thema so unnötig wie bei kaum einem anderen. Das müssen Sie dazu wissen.

Was ist die Kalte Progression?

Der Einkommensteuertarif ist progressiv gestaltet. Das bedeutet, dass Sie als Alleinstehender für die ersten 11.784 Euro Ihres Einkommens – den Grundfreibetrag – 0 Prozent Steuern bezahlen. Danach geht der Steuersatz in mehreren Schritten nach oben, wobei jede Stufe bei einer bestimmten Einkommenssumme beginnt.

Bekommen Sie nun eine Gehaltserhöhung, dann kann es dadurch passieren, dass Sie für einen Teil Ihres Einkommens in eine der höheren Stufen rutschen, ergo also auf einen Teil einen höheren Steuersatz zahlen. Das ist eigentlich der Sinn dieses progressiven Einkommensteuertarifs und nicht weiter schlimm. Wenn aber gleichzeitig die Preise durch die Inflation angestiegen sind, dann kann der Fall auftreten, dass Sie zwar mehr Gehalt bekommen, davon aber kaum mehr Nettoeinkommen behalten und sich am Ende sogar weniger leisten können.

Dieser Effekt nennt sich „Kalte Progression“.

Wie wird die Kalte Progression verhindert?

Die Kalte Progression auszugleichen ist nicht weiter schwer. Theoretisch müssen dafür nur die Grenzwerte der verschiedenen Stufen des Einkommensteuertarifs um die Höhe der Inflation verschoben werden. Um das an runden Zahlen vorzurechnen: Läge der Grundfreibetrag für 2024 bei 12.000 Euro und hätten wir zwei Prozent Inflation in diesem Jahr, dann müsste er auf 12.240 Euro steigen – und alle anderen Grenzwerte der weiteren Stufen entsprechend genauso. Um die Steuer eines einzelnen zu berechnen, muss dann eine Reihe von mathematischen Formeln im Gesetz angepasst werden, aber das ist auch kein Hexenwerk.

In der Praxis geschieht das nicht jedes Jahr, sondern alle zwei Jahre. Seit 2015 erstellt das Bundesfinanzministerium dafür alle zwei Jahre einen Steuerprogressionsbericht. Darin werden die Effekte der Kalten Progression für die vorhergehenden zwei Jahre berechnet, also Inflation und Lohnsteigerungen dargestellt. Im Folgejahr beschließen Bundestag und Bundesrat dann gemeinsam eine Anpassung der Steuergrenzen. Beide Kammern müssen das zusammen machen, weil die Einnahmen aus der Einkommensteuer an Bund, Länder und Gemeinden gehen.

Den letzten Ausgleich der Kalten Progression gab es mit dem Inflationsausgleichsgesetz, dass im Dezember 2022 beschlossen wurde. Entsprechend müssten die Grenzen jetzt zwei Jahre später also wieder angepasst werden. Das ist sogar etwas dringender als sonst, weil die Inflation zumindest 2023 noch sehr hoch war und Bürger entsprechend stärker von der Kalten Progression betroffen wären.

Warum weigern sich CDU, CSU und FDP dann dagegen?

Das Problem ist, dass der Ausgleich der Kalten Progression nicht allein in dem Gesetzesvorhaben steht, dass die Ampel-Koalition eigentlich schon im Juli beschlossen hatte. Stattdessen trägt dieses den Namen „Steuerfortentwicklungsgesetz“. Geplant ist darin, die Einkommensteuergrenzen sogar etwas weiter zu verschieben als notwendig wäre. So soll der Grundfreibetrag etwa um 300 Euro 2025 und weitere 252 Euro 2026 steigen. Das sind im kommenden Jahr 144 Euro mehr als notwendig wären und 2026 sogar 240 Euro mehr als nötig.

Daneben sollen aber auch andere Dinge mitbeschlossen werden, etwa die Überführung der Steuerklassen III und V in das Faktorverfahren für Ehepaare und Lebenspartnerschaften, eine Erhöhung möglicher Staatsgelder für Forschungsvorhaben, die teilweise Steuerbefreiung der Stiftung, die das kommende Generationenkapital für die Rente verwalten wird und strengere Berichtspflichten für Unternehmen bei gewissen Arten der Steuergestaltung.

CDU, CSU und FDP stören sich vor allem an diesen zusätzlichen Punkten im Gesetz. Die Union kritisiert etwa die Streichung der Steuerklassenkombi III/V, Union und FDP zusammen kritisieren die zusätzlichen Berichtspflichten für manche Unternehmen. FDP-Chef Lindner nennte das „Parteiideologie“. Nach der Wahl will die Union deswegen lieber ein eigenes Gesetz vorlegen und rückwirkend beschließen. Auch dort dürfte dann aber nicht nur die Kalte Progression ausgeglichen werden, sondern auch andere Dinge beschlossen werden. Welche, das ist jetzt noch unklar.

Welche Auswirkungen hat das auf mich?

Vom Ausgleich der Kalten Progression profitieren fast alle Arbeitnehmer in Deutschland. Schon allein die Erhöhung des Grundfreibetrages sorgt dafür, dass jeder mehr netto erhält. Würde nur die reine Inflation ausgeglichen, würden Sie je nach Einkommen zwischen 55 und 89 Euro mehr Nettoeinkommen im Jahr haben. Je höher Ihr Einkommen, desto größer der Vorteil. Durch die bisherigen Ampel-Pläne hätten Sie 104 bis 169 Euro mehr im Portemonnaie gehabt.

Dadurch, dass der Ausgleich möglicherweise erst im kommenden Jahr rückwirkend beschlossen wird, werden Ihnen vom Lohn also erst einmal die höheren Steuern abgezogen, die auch dieses Jahr galten. Unmittelbar haben Sie dadurch also höhere Kosten wegen der Inflation, aber nicht mehr netto. Sollte ein Ausgleich rückwirkend beschlossen werden, können Sie sich das Geld aber 2026 mit Ihrer Einkommensteuererklärung für 2025 zurückholen.

Warum wird der Ausgleich nicht einfach automatisch beschlossen?

Eigentlich ist es komisch, dass es ein zweijährliches Gesetz braucht, um die Kalte Progression auszugleichen. Da sich der Einfluss der Inflation auf den Einkommensteuertarif und damit auf die nötigen Anpassungen einfach mathematisch ausrechnen lässt, sollte der Ausgleich eigentlich eine Formalie sein und könnte entsprechend auch jährlich beschlossen werden.

Theoretisch wäre das möglich. Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung hatte in einem Gutachten für die damalige Bundesregierung schon 2008 den Vorschlag gemacht, die Steuertarife zu indexieren und jedes Jahr automatisch anzupassen. In anderen Ländern passiert dies auch. Österreich etwa gleicht automatisch zwei Drittel der Inflationsrate aus, das restliche Drittel muss die jeweilige Regierung beschließen. Auch die USA, Schweden und Frankreich haben nach einem Bericht des Ifo-Institutes entsprechende Regeln.

In Deutschland ist das umstritten – aus mehreren Gründen. So fürchten Gegner zum einen Mindereinnahmen für den Staat, sehen aber die Steuergesetzgebung auch als zu wichtig an, um sie einem Automatismus zu überlassen. Wie etwa im aktuellen Steuerfortentwicklungsgesetz angedacht, kann die Regierung über den notwendigen Automatismus hinausgehen oder könnte den Ausgleich so gestalten, dass bestimmte Einkommensgruppen mehr oder weniger belastet werden. Zudem wird die Steuerpolitik parteiübergreifend als ein wichtiges symbolisches Mittel wahrgenommen, mit dem sich Wählerstimmen gewinnen oder vergraulen lassen. Man denke nur an die massiven Bauernproteste im Vorjahr, die durch eine vergleichsweise geringe steuerliche Änderung ausgelöst wurden.