Ab Mai dokumentieren sechs Stelen im Zentrum die Stadtgeschichte der NS-Zeit

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Jüdisches Leben in Kempten und seine Verdrängung: Auf dieses Thema konzentriert sich die Stele am Standort Residenzplatz/Klostersteige. © Stadt Kempten

Erinnerungskultur begegnen wir jeden Tag, in Form von Straßennamen, Museen, Jahrestagen, literarischen Werken u. v. m., betonte Dr. Veronika Heilmannseder im Juli 2024 im Rahmen eines Bewegten Donnerstags in Kempten-Museum. Ab den Sommermonaten dieses Jahres bieten auch Informationsstelen zur NS-Geschichte Kemptens in der Innenstadt einen Anlass, sich mit der kollektiven Erinnerung der Stadt auseinanderzusetzen.

Kempten – In der jüngsten Sitzung des Kulturausschusses stellte Heilmannseder den aktuellen Stand dieser Initiative vor. Sie erinnerte daran, dass Kempten seit ein paar Jahren die Erinnerungsarbeit – die Voraussetzung für die Erinnerungskultur – verstärkt vorantreibt. Ein Element stellen die Stadtrundgänge zur NS-Geschichte der Stadt dar, die regen Zulauf haben. Die geplanten Stelen sollten diese Führungen verstetigen, aber auch grundsätzlich eine erste Orientierung bieten. Ermöglicht wurde das Projekt durch die Frak­tionsinitiative der Freien Wähler im Bayerischen Landtag, der eine erfolgreiche Antragsstellung der Stadt Kempten beim Bayerischen Kultusministerium folgte.

„Wo fängt man an und wo hört man auf?“, gehörte laut Heilmannseder zu den ersten Fragestellungen, als sie Ende 2023 mit der Recherche und Planung begann. Anders formuliert: An welchen authentischen Orten kann man die wichtigsten Themen zur Geschichte der Stadt Kempten, die damals knapp 30.000 Einwohner hatte, darstellen?

Standorte der Stelen

Schließlich einigte man sich – in Abstimmung mit der Kommission für Erinnerungskultur – auf folgende Standorte und Themen: 1. Die Stele am Rathausplatz stellt dar, wie der Stadtrat und die Verwaltung gleichgeschaltet, wie die NS-Gesetze ausgeführt wurden und wie die Kommunalpolitik sich der NS-Ideologie anpasste. 2. Am Kornhaus gab es zum Teil pompöse NS-Veranstaltungen, anhand derer man die Gründe der breiten Zustimmung in der Bevölkerung thematisieren kann. Hier war auch das von Oberbürgermeister Dr. Otto Merkt eingerichtete Heimatmuseum untergebracht, das als Sprechanlass dienen kann, wie die „Heimatidee“ der NS-Ideologie diente. Das ehemalige Hotel Krone am Kleinen Kornhausplatz beherbergte das Amt für Wohlfahrtspflege, in dem im Sinne der „Rassenhygiene“ Entscheidungen über das Leben von behinderten Menschen getroffen wurden. Im Gebäude der Brauereigaststätte „Zum Stift“ wohnte der Architekt Andor Ákos, den das NS-Regime in den Selbstmord trieb.

3. Am Königsplatz steht das Thema Militarisierung im Mittelpunkt. Die ab 1942 als „Platz des Führers“ bezeichnete Fläche diente als Appellplatz für die Hitlerjugend, die SA und das Militär. Hier gab es Vereidigungen und Paraden, hier wurde der „Tag der Arbeit“ gefeiert. Am Lyzeum stand ein Kriegerdenkmal. Gestellt wird die Frage: Welche Muster prägten die Choreografie dieser Veranstaltungen? 4. Am Standort Residenzplatz/Klostersteige geht man auf das Schicksal jüdischer Geschäfte und auf die Verdrängung jüdischen Lebens ein. Thematisiert wird anhand des Gerichtsgebäudes auch die NS-Rechtsprechung. 5. Die Stele an der Allgäuhalle wird gleich im Eingangsbereich des Platzes aufgestellt, erklärte Heilmanns­eder. Das denkmalgeschützte Gebäude soll aus der Distanz betrachtet werden. Hier geht es um die „Braunen ­Messen“ und sonstige NS-Veranstaltungen sowie die Vieh- und Kriegswirtschaft, aber vor allem um das KZ-Außen- und Ostarbeiterlager.

Zum Gesamtkomplex gehört der bestehende Gedenkort am Hofgarten, dessen Elemente, außerhalb des aktuellen Projekts, ebenfalls auf einer Stele erklärt werden. „Dieses Ensemble kann wachsen“, merkte die Historikerin an.

Interaktive Elemente

Auf den Stelen wird man Fotos aus der damaligen Zeit mit Texten zu historischen Hintergründen finden, aber auch Informationen von Personen und Familien, die in den angrenzenden Gebäuden wohnten oder Prägendes erlebten. So kann man auch Inhalte von Zeitzeugendokumenten präsentieren. Die Vorgabe des Kultusministeriums, an den Orten Interaktives anzubieten, stellte eine besondere Herausforderung dar. An der Allgäu-Halle wird es deshalb die ­Station „Stillgestanden“ geben. Auf den Boden aufgemalte Quadraturen „laden ein“, auszuprobieren, wie lange man stillstehen kann und zu reflektieren, wie man sich dabei fühlt. Auf dem Gelände gab es eine mit Wasser geflutete Dunkelzelle, erzählte Heilmannseder. „Wenn jemand dort im Dunkeln nicht stehen konnte, kam lebend nicht heraus.“

Bei der Auswahl der genauen Standorte habe man auf viele Faktoren Rücksicht nehmen müssen, antwortete die Historikerin auf die Frage von Michael Hofer (ÖDP). Es müsse um die Stele herum genügend Platz für eine Schülergruppe geben; der Verkehr, die Feuerwehrzufahrt, die verlegten Kabel dürften nicht beeinträchtigt werden. Man habe möglichst wenig PKW- und Fahrradparkplätze beeinträchtigen wollen. Die Stelen bestehen aus hochwertigem Metall, werden tief verankert und bekommen eine Antispraybeschichtung, hieß die Antwort auf Silvia Schäfers (CSU) Frage nach Schutz vor Vandalismus.

Man beginne voraussichtlich im Mai mit der Errichtung, informierte Heilmannseder nach Andreas Kiblers Fragestellung. Der FW-Stadtrat begrüßte die Aufstellung der Stelen gerade in der Zeit, in der kaum noch Zeitzeugen leben. „Wir sind bei diesem Thema Nachzügler und keine Vorreiter“, sagte er.

Die Stelen veranschaulichen das Bekenntnis der Stadt zur Erinnerungsarbeit, betonte Heilmannseder.

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