Kempten gedenkt der Opfer des Nationalsozialismus am neu gestalteten Friedensplatz im Hofgarten

  1. Startseite
  2. Bayern
  3. Augsburg & Schwaben
  4. Kreisbote Kempten

Kommentare

Die Schülerin Katharina Bernhard liest das Gedicht „Der Schmetterling“. © Helmut Hitscherich

Zum ersten Mal fand dieses Jahr die Feier zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Hofgarten statt. Die Initiative Stolpersteine hatte die Feier am 27. Januar organisiert, trotz Regenwetters und Matsch sind 200 Menschen der Einladung gefolgt.

Kempten – „Heute gedenken wir der Opfer erstmals im Hofgarten – im Angesicht der hier neu errichteten Mahnmale. Zum Gesamtkomplex gehört auch der Zentrale Allgäuer Gedenkort für Opfer der Zwangsarbeit. Gedacht wird den ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die in unserer Region auf Bauernhöfen und/oder in der Rüstungsindustrie schuften mussten und ihr Leben verloren. Wenn der Opfer des NS-Terrors gedacht wird, bleibt zu häufig unberücksichtigt: Wo ein Opfer ist, ist auch ein Täter“, sagte der Historiker Dr. Dieter Weber, zweiter Vorsitzender der Initiative Stolpersteine.

Holocaust: „Leugnung oder Relativierung sind ebenfalls Verbrechen.“

In seiner Ansprache erläuterte er, der Holocaust ist das singuläre Massenverbrechen in der Menschheitsgeschichte. „Seine Leugnung oder Relativierung sind ebenfalls Verbrechen.“ Er wies darauf hin, dass Hitler, Himmler und ihre SS-Schergen Heydrich und Eichmann die Ermordung von elf Millionen Juden geplant hatten. Der schnelle Vormarsch der sowjetischen Truppen habe die SS gezwungen, die Massenvernichtung in den großen Lagern im Osten einzustellen. Durch die Invasion der Westalliierten in der Normandie im Juni 1944 leisteten diese einen gewichtigen Beitrag zur Rettung von ca. 10.000 Opfern der Zwangsarbeit im Allgäu.

Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog habe 1996 den 27. Januar zum nationalen Tag des Gedenkens an die Opfer der NS-Herrschaft erklärt. In seiner Ansprache im Bundestag sagte er: „Auschwitz steht symbolhaft für millionenfachen Mord – vor allem an Juden, aber auch an anderen Volksgruppen. Auschwitz steht für Brutalität und Unmenschlichkeit, für Verfolgung und Unterdrückung, für die in perverser Perfektion organisierte Vernichtung von Menschen.“ Es gehe darum, „aus der Erinnerung immer wieder lebendige Zukunft werden zu lassen. Wir wollen nicht unser Entsetzen konservieren. Wir wollen Lehren ziehen, die auch künftige Generationen Orientierung sind.“

33 Stolpersteine sind bereits verlegt, noch heuer kommen 14 neue hinzu

Weber wies auf die 33 Stolpersteine hin, die die Initiative seit 2010 in Kempten und im Allgäu verlegt hat. 16 für jüdische, vier für politische Opfer, acht für eine ermordete Sinti-Familie, drei für Opfer der T4-Aktion gegen Menschen mit Behinderung und zwei für Zwangsarbeiter. 14 weitere Stolpersteine für Zwangsarbeiter sollen noch in diesem Jahr im Hofgarten verlegt werden. Die Stolperstein-Bewegung von Gunter Deming sei das größte dezentrale Mahnmal für die Opfer des Faschismus in inzwischen 30 Ländern. Er lobte Schülerinnen und Schüler des Allgäu-Gymnasiums für ihr Projekt „Stolpersteine digital.

Stolpersteine digital

Unter der Leitung von Geschichtslehrerin Corine Dörfler arbeiten 13 Schülerinnen und Schüler in einem Projektseminar während eines Jahres mit wöchentlich zwei Stunden an dem Projekt. Sie haben u. a. im Stadtarchiv die Stammbäume und Lebensläufe der Opfer ausgewertet, haben mit Zeitzeugen gesprochen. Über einen QR-Code können die Daten abgerufen werden. Dieser soll auf Plexiglasscheibe aufgebracht und an den Häusern, bei denen Stolpersteine in die Erde eingelassen sind, fixiert werden. Einige Schülerinnen und Schüler erläuterten ihre Vorgehensweise. Katharina Bernhard trug abschließend das Gedicht „Der Schmetterling“ von Pavel Friedmann vor, einem jungen Juden, der im September 1944 im Alter von 23 Jahren in Auschwitz ermordet wurde. Der Schmetterling ist das Symbol für die während der Shoa ermordeten 1,5 Millionen jüdischen Kinder.

Mahnende Worte

„Wir begehen das Gedenken für viele Allgäuer, die ermordet worden sind. Entscheidend ist, wir geben den Opfern ein Gesicht, geben ihnen ihr Recht zurück“, sagte Oberbürgermeister Thomas Kiechle in seiner Ansprache. Für ihn ist Erinnerung nicht Selbstzweck. Man braucht sie, damit Demokratie funktionieren kann. „Wir ringen um Formen der Erinnerung. Das, was sich nicht wiederholen darf, darf nicht vergessen werden. Das Unvorstellbare darf sich nicht wiederholen. Aus dieser Erinnerung muss sich ‚nie wieder‘ in unserem Verstand, Herzen und Handeln verfestigen.“ Er erinnerte daran, dass sich die Verbrechen in der Nachbarschaft zugetragen haben.

Auschwitz

Auschwitz ist das Synonym für den Massenmord der Nazis an Juden, Sinti und Roma und anderen Verfolgten. Auschwitz, das größte Konzentrationslager, ist Ausdruck des Rassenwahns und das Kainsmal der deutschen Geschichte. Konzentrationslager (KZ) – für die NS-Machthaber dienten sie von Anfang an einem simplen Zweck. Hier wurden seit Anfang 1933 alle Andersdenkenden und Gegner des Regimes konzentriert: Kommunisten und Sozialdemokraten, Zeugen Jehovas, oppositionelle Priester und Pastoren, politisch unliebsame Juden, Sinti, Roma und Homosexuelle. Seit 1941 dienten Konzentrationslager der Vernichtung von Millionen Menschen. Zentrum der NS-Vernichtungspolitik war das Konzentrationslager Auschwitz. Seit Anfang 1942 fuhren die Deportationszüge aus fast ganz Europa dort hin. Es bestand aus dem Stammlager, dem drei Kilometer entfernten Lager Birkenau, in dem sich die Gaskammern und Verbrennungsöfen befanden, und 45 Zwangsarbeitslagern bei Fabriken in der Umgebung. In dem Gebiet wurden bis zu 155.000 Menschen zusammengepfercht. Ende 1941 hatte in Auschwitz die Massenvernichtung begonnen. In Birkenau wurden seit Juni 1942 Deportierte an der Rampe „selektiert“, also entweder sofort in die Gaskammern oder in die Zwangsarbeit geschickt. Umso zynischer ist daher der Spruch am Eingangstor: „Arbeit macht frei“. Wer nicht sofort vergast wurde, starb meist während der unmenschlichen Zwangsarbeit. Kinder, Alte und andere als nicht arbeitsfähig geltende Häftlinge wurden in der Regel noch am Tag ihrer Ankunft in den als Duschräume getarnten Gaskammern ermordet. In den kommenden Jahren steigerten sich die Transporte bis zu deren Höhepunkt im Jahre 1944 mit 600.000 Juden, von denen 500.000 direkt in den Gaskammern ermordet wurden.

Tod durch Arbeit, durch Kälte oder durch Erschießen – all diese Vernichtungsmethoden wurden den Vollstreckern zu mühsam. Deshalb kam es am 5. und 6. September 1941 zu einem makabren Test: Zum ersten Mal wandte die SS an jenem Tag das Blausäurepräparat „Zyklon B“ an Menschen an; „erfolgreich“, wie Lagerkommandant Rudolf Höß zufrieden feststellte. Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Sie fand in dem evakuierten Komplex noch 7.600 Überlebende und 650 Leichen vor. In den Lagern wurden sechs Millionen Menschen, davon 1,5 Millionen Kinder ermordet.

Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.

Mit dem Kreisbote-Newsletter täglich zum Feierabend oder mit der neuen „Kreisbote“-App immer aktuell über die wichtigsten Geschichten informiert.

Auch interessant

Kommentare