„Schauen, dass sozialer Friede gewahrt bleibt“
Bis zu 500 Menschen sollen in einer neuen Asylunterkunft in Warngau untergebracht werden. Im Interview spricht Max Niedermeier über die Lage in den Turnhallen und die Herausforderungen in Warngau.
Warngau – Pfiffe für den Landrat, Ressentiments gegen Geflüchtete: Max Niedermeier hat miterlebt, wie sich die Stimmung bei der Bürgerversammlung zur geplanten Asylunterkunft für 500 Personen an der Vivo in Warngau vor gut zwei Wochen aufheizte. Der ehrenamtliche Integrationsbeauftragte des Landkreises kennt die Sorgen und auch Vorurteile, die bei Plänen für Asylunterkünfte oft laut werden. Im Interview erklärt er, wie er die Lage erlebt, warum er Ängste ernst nimmt und welche Herausforderungen er sieht.
Herr Niedermeier, das Landratsamt argumentiert ja, es brauche die große Lösung in Warngau, um endlich die drei Turnhallen in Tegernsee und Miesbach freizubekommen. Wie sieht die Situation dort denn aus?
Max Niedermeier: „Wir müssen die Hallen wieder dem Zweck zuführen, für den sie gebaut wurden, nämlich dem Schul- und Vereinssport. Es ist wichtig, dass die Schüler dort wieder sporteln können. Selbst die Abiturienten, die Sport als Abiturfach gewählt haben, können nicht ordentlich trainieren. Die Schüler müssen auf Fitnesscenter ausweichen, was ja den Landkreis auch eine Stange Geld kostet. Außerdem geht mit dem Ausweichen auf andere Sportstätten ständig wertvolle Zeit verloren. Ich mache gleichzeitig als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Miesbacher Sportvereine die Hallenpläne für die Miesbacher Sportvereine, und auch hier gibt es ständig Überschneidungen zwischen den Zeiten von Schulen und Vereinen. Ich komme mit den Direktoren und den Sportlehrern schon aus, aber es ist ein hartes Ringen. Auch der Landrat spürt den Druck von den Schulen und den Schülereltern, dass endlich wieder alle normal Sport treiben können. Genau für diesen Zweck sind die Turnhallen mit sehr viel Geld gebaut worden.“
„Intimsphäre ist nicht gegeben“
Und wie sieht die Lage der Flüchtlinge in den Hallen aus?
Niedermeier: „Das Leben in den Hallen ist für die Geflüchteten alles andere als angenehm. Da stehen Betten dicht gedrängt – wenn ein neuer Bus kommt, auch mal zeitweise in den Gängen. Intimsphäre ist nicht gegeben, es gibt nur ganz dünne Vorhänge. Da sind Jugendliche, Erwachsene, Ältere, Frauen und Kinder Vorhang an Vorhang untergebracht.“
Jemand hat mal erklärt: Wenn in einer Ecke ein Baby schreit, ist die ganze Halle wach.
Niedermeier: „Genau so ist es. Es ist eine Turnhalle – wenn der Schiedsrichter in der einen Ecke pfeift, hört man ihn in der ganzen Halle. Es ist beengt ohne jede Privatsphäre, die Luft ist nicht gut. Und wenn man die Tür aufmacht, kann es sein, dass sich die Nachbarn beschweren, dass es zu laut ist.“
Meine news
„Bei 200 Leuten kommt immer was vor“
Kommt es unter diesen Bedingungen in den Hallen oft zu Streit?
Niedermeier: „Bei 200 Leuten ist immer irgendetwas, da kommt immer wieder was vor. Aber dafür ist die Security da. Wir waren damals bei der Bundeswehr drei Wochen im Manöver mit 60 Mann in einer Baracke. Es hat keine zwei Tage gebraucht, bis die ersten aufeinander losgegangen sind. Bei den Geflüchteten geht es noch um verschiedene Nationalitäten, Mentalitäten, aber auch um verschiedene Ansichten von Reinlichkeit und was weiß ich was sonst noch. Für diese Umstände benehmen sich die Geflüchteten meines Erachtens immer noch sehr diszipliniert. Die meisten haben schlimme Erfahrungen und Erlebnisse hinter sich, von denen nur einige wenige etwas erzählen. Viele dieser Menschen galten in ihrer Heimat etwas oder waren tief in ihren Familien verwurzelt, was in anderen Ländern wesentlich wichtiger ist als bei uns, und plötzlich sind sie aus diesem Leben herausgerissen und fühlen sich teilweise wert- oder bedeutungslos. Viele haben auf der Flucht schreckliche Dinge erlebt – auch die Kinder. Dafür kommen die Leute in den Hallen sehr gut aus.“
Welche Aufgaben hat die Security im Alltag in den Hallen?
Niedermeier: „Die Security sorgt für die innere und äußere Sicherheit und ist außerdem Ansprechpartner für die großen und kleinen Sorgen der Bewohner. Sie kontrolliert, wer in der Halle ein- und ausgeht.“
Wie sind denn die Erfahrungen mit den Geflüchteten aus den Hallen im Umfeld? Wird von der Nachbarschaft oft was an Sie herangetragen an Beschwerden?
Niedermeier: „Ich könnte als schönes Beispiel ein kürzlich geführtes Gespräch mit einem Lehrer des Gymnasiums Miesbach anführen, der sehr nahe an der Gymnasiumshalle in Miesbach wohnt und zu mir sagte: Bei mir bleibt das Radl vorm Haus stehen, die Türe brauche ich eigentlich nicht abzusperren, ich brauche mich da um nichts zu kümmern, es kommt nichts weg. Natürlich gibt es mit Sicherheit auch Negativ-Beispiele, aber solche erfreulichen Anmerkungen sollten nicht unerwähnt bleiben.“
„Kann Unterstellung so nicht stehen lassen“
In Miesbach gibt es auch ein Freibad. Gibt es da viele negative Erfahrungen?
Niedermeier: „Bis zu mir ist da bisher nichts Negatives durchgedrungen. Sollte etwas vorgefallen sein, hätte ich ziemlich sicher davon Kenntnis bekommen. Aber die immer wieder geäußerte Unterstellung, dass alle jungen geflüchteten Männer nichts anderes im Kopf hätten, als hinter jedem Mädchen herzurennen, kann man so nicht stehenlassen. Seit rund elf Jahren haben wir vermehrt Geflüchtete in unserem Landkreis, und entsprechende Vorfälle halten sich sehr in Grenzen. Auch wenn man immer wieder andere Vergleichszahlen hört, ist die Kriminalitätsrate im Landkreis nicht gestiegen, und der Anteil der geflüchteten Straftäter liegt unter dem Vergleichsniveau der Deutschen. Das ist der Tenor bei den Sicherheitsgesprächen mit der Polizei.“
Sind Sie oft mit besorgten Bürgern konfrontiert?
Niedermeier: „Da ich viel im Landkreis rumkomme, werde ich auch immer wieder auf irgendwelche Probleme angesprochen. Dass die Bürger grundsätzlich Ängste und Sorgen vor allem Fremden haben, kann ich absolut verstehen. Ich versuche, gut zuzuhören und nach Möglichkeit alle Fragen zu beantworten. Wobei das manchmal nicht gar nicht so einfach ist, wenn der Geflüchtete an sich schon als Eindringling gesehen wird. Auch ich könnte mir gut vorstellen, dass unser Leben ohne die große Anzahl an Geflüchteten einfacher wäre, aber wir müssen uns dieser Sachlage halt beugen. Die Geflüchteten haben hier keinerlei Schuld, sie mussten halt aus verschiedenen Gründen aus ihrer Heimat fliehen – und was gibt es eigentlich Schlimmeres, als seine Heimat zu verlieren.“
Das liegt Ihnen sehr am Herzen, da zu vermitteln.
Niedermeier: „Ich sehe meine ureigenste Aufgabe darin, sowohl die Geflüchteten als auch die vielen Helferinnen und Helfer zu betreuen und zu schauen, dass der soziale Frieden in unserem Landkreis gewahrt bleibt. Viele, die hier mithelfen, zum Beispiel die Verbände wie Arbeiterwohlfahrt, Caritas, der Verein Hilfe von Mensch zu Mensch und die Ehrenamtlichen haben tagtäglich zumeist sehr viele erfreuliche Erlebnisse mit den Geflüchteten. Viele haben wir schon in Lohn und Brot gebracht, viele gehen zur Schule, sogar auf höhere Schulen und bereits auf Universitäten. Wir haben im Landkreis Kulturdolmetscher ausgebildet, die ihre eigenen Landsleute bei deren Integration begleiten. Es gibt über den ganzen Landkreis verteilt ein Netzwerk an Ehrenamtlichen, und wir arbeiten mit allen Institutionen und dem Ausländeramt zusammen. Und in diesem Sinne versuchen wir, diese „Aufgabe Integration“ zu meistern.“
„Man wird die Herausforderung meistern“
Wo sehen Sie denn tatsächlich die Herausforderungen einer solchen Unterkunft wie in Warngau?
Niedermeier: „Ganz sicher wird das nicht ganz einfach, aber genauso sicher ist für mich, dass man gemeinsam diese Herausforderung meistern wird. Alle beteiligten Haupt- und Ehrenamtlichen arbeiten jetzt schon an entsprechenden Konzepten. Wichtig wird dabei vor allem auch sein, dass die Bevölkerung anerkennt, dass diese Containersiedlung eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Aufenthalt in Turnhallen ist und es sich bei den Bewohnern um ganz normale Menschen handelt, bei denen die meisten gerade ein großes Schicksal erlitten haben, etwa durch Krieg zur Flucht gezwungen worden sind und unsere Unterstützung brauchen. Ganz viele Menschen aus unserem Landkreis gehen hier schon seit Jahren mit gutem Beispiel voran und helfen ohne großes Aufheben mit. Vielleicht kann man auch den ein oder anderen Skeptiker zur Mithilfe überzeugen – spätestens beim Tag der offenen Tür, der ebenfalls schon geplant ist.“
Auch interessant
Kommentare
Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion