Erdogan sucht Nähe zu Russland und China - und gefährdet Nato-Mitgliedschaft
Die Türkei will Mitglied bei den BRICS-Staaten und auch in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit werden. Es droht ein Bruch mit dem Westen.
Ankara – In den vergangenen Jahren hat sich das Verhältnis zwischen der Türkei und dem Westen stetig verschlechtert. Von einer einst angestrebten Aufnahme in die EU ist das Land weit entfernt. Jetzt hat die Türkei offenbar eine Alternative zum Westen gefunden und am Dienstag einen Antrag auf Mitgliedschaft in die BRICS-Staaten gestellt. Wirtschaftliche Schwankungen, politische Spannungen und Handelsstreitigkeiten mit den westlichen Volkswirtschaften hätten dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Risiken einer zu starken Abhängigkeit von ihren Beziehungen nach Europa deutlich gemacht, schreibt die regierungsnahe türkische Stiftung SETA in einem Bericht.
BRICS-Beitritt der Türkei alleine aus wirtschaftlichen Gründen?
Mit dem Beitritt in die BRICS-Staaten wolle die Türkei ihre regionalen und globalen wirtschaftlichen Interaktionen ausweiten, Zugang zu neuen Märkten erhalten und die Handelsbeziehungen mit wichtigen Schwellenländern ausbauen. Diese Strategie könnte das Wirtschaftswachstum ankurbeln und ausländische Investitionen anlocken, wodurch die Anfälligkeit der Türkei für wirtschaftliche Schwankungen aufgrund westlicher Einflüsse verringert würde, heißt es in dem Bericht.
Die Türkei hat massive wirtschaftliche Probleme und braucht dringend Geld. Westliche Investoren hatten sich bislang mit Investitionen zurückgehalten – und das aus gutem Grund. Das Land wird von Präsident Erdogan autoritär regiert und hat sich immer mehr von der Rechtsstaatlichkeit entfernt. Im Rechtsstaatlichkeitsindex vom „World Justice Project“ liegt die Türkei aktuell auf Platz 117 unter 142 Staaten. Im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index, CPI) landet das Land auf Platz 115 unter 180 Staaten. Dazu kommen weitere Probleme, wie die Tatsache, dass die Türkei sich in den vergangenen Jahren zu einem Drogenumschlagplatz verwandelt hat, und statt internationalen Unternehmen eher internationale Mafiagrößen angelockt hat.

Türkei bekennt sich zur Hamas
Gerade seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben sich die Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen verhärtet. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte die Hamas als Befreiungsorganisation bezeichnet und Israel Völkermord an den Palästinensern vorgeworfen. Den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hatte der türkische Staatschef zudem immer mit Hitler verglichen.
Türkei entfernt sich seit dem Putschversuch vom Westen
Die Annäherung der Türkei an Russland und China begann bereits nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016. Zeitgleich verschlechterten sich die Wirtschafts- und die Menschenrechtslage in dem Land dramatisch. Vor allem die Erdogan und seine AKP unterstützende ultranationalistische Vatan Partisi unter Führung von Dogu Perincek drängt immer wieder zu einem Bündnis mit Russland und China. „Wer für die Türkei ist, der muss mit Russland und China sein”, sagte Perincek in einer TV-Sendung im Mai.
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Verbündeter Perincek fordert einen Nato-Austritt
Perincek hatte sich bei einem Besuch im Iran damit gerühmt, dass nach dem Putschversuch die Türkei von der Nato abkopple und in „West-Asien“ ihren Platz einnehme. Erdogan ließ nach Putschnacht rund 40.000 Militärangehörige entlassen und viele von ihnen festnehmen. Davon betroffen waren auch rund die Hälfte aller Generäle des Landes, die pro-westlich eingestellt waren. Perincek fordert immer wieder den Austritt aus der Nato. „Wenn wir aus der Nato austreten, werden die Preise für Tomaten, Auberginen und Paprika sinken”, sagte er im Juli 2022 vor den Kameras angesichts der stark steigenden Lebensmittelpreise.
Auch westliche Staaten mit Türkei unzufrieden
Doch auch innerhalb der Nato ist man über die Türkei nicht glücklich. Trotz Warnungen hatte die Erdogan-Regierung das russische Luftabwehrsystem S-400 angeschafft und sich damit großen Ärger beschert. Die US-Regierung suspendierte die Türkei aus dem F-35-Programm. Jahrelang hatte die Türkei versucht, zumindest eine Zusage für F-16 Kampfflugzeuge aus den USA zu bekommen und sie auch Anfang des Jahres erhalten.
Kehrt sich Türkei vom Westen ab?
Experten sehen einen möglichen Beitritt Ankaras in die BRICS-Staaten als ein Problem für den Westen. Der ehemalige türkische Diplomat und Leiter der türkischen Denkfabrik EDAM Sinan Ülgen sagte gegenüber Newsweek, dass das Fehlen anderer NATO-Mitglieder in den BRICS-Staaten bedeutet, dass der Beitritt der Türkei als eine Abkehr vom Westen interpretiert werden wird, „auch wenn die türkischen Behörden erklären werden, dass es sich im Wesentlichen um eine Neugewichtung handelt.“
SOC-Beitritt ein „No-Go“ für ein Nato-Land
Sollte die Türkei auch in die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOC) eintreten, könnte es zum endgültigen Bruch mit dem Westen kommen. Erdogan hatte schließlich im vergangenen Jahr Interesse an einer Aufnahme bekundet und war Gast beim Gipfel der der SOC in der kasachischen Hauptstadt Astana. Der Beitritt zur SCO „ist für ein NATO-Land ein absolutes No-Go“, so Sinan Ciddi, Non-Resident Senior Fellow für die Türkei bei der Foundation for Defense of Democracies (FDD), einer Denkfabrik in Washington, ebenfalls gegenüber der Newsweek. „Es handelt sich um gegensätzliche Organisationen“.
Doch der Bruch mit dem Westen scheint von Erdogan mindestens billigend in Kauf genommen zu werden. Schließlich habe Erdogan den Beitritt Schwedens in die Nato lange blockiert. „Ich weiß nicht, wie viel mehr man sich außerhalb des Wertesystems befinden kann”, so Ciddi. (erpe/dpa)