China und Russland wollen „globale Ordnung neu gestalten“ – und Donald Trump hilft ihnen dabei
In China treffen sich die Mitglieder der Shanghai Cooperation Organization. Peking dominiert das Bündnis – und kann dank Trumps Hilfe auf mehr Einfluss für die Staatengruppe hoffen.
Schon vor Beginn des Treffens der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (Shanghai Cooperation Organization, SCO) am Wochenende überschlugen sich Chinas Staatsmedien mit Erfolgsmeldungen. Im chinesischen Tianjin werde der bislang größte Gipfel in der 24-jährigen Geschichte der SCO stattfinden, das Treffen werde die Organisation „in eine neue Phase der hochwertigen Entwicklung führen“. Auch die Zahlen stimmen, heißt es. So sei der chinesische Handel mit den anderen SCO-Staaten auf Rekordhoch und steige weiter an, vermeldete Chinas Auslandssender CGTN. Zur Einstimmung auf den Gipfel veranstaltete Tianjin vor wenigen Tagen ein buntes Lichtspektakel entlang des Hai-Flusses, der durch die 12-Millionen-Stadt fließt.

China ist – neben Russland und den zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan – eines der Gründungsmitglieder der SCO. Hervorgegangen war die Organisation 2001 aus einem nach dem Kalten Krieg gegründeten Mechanismus, der Grenzstreitigkeiten zwischen den Ländern der Region klären sollte. Heute, nach mehreren Erweiterungsrunden, sind auch Indien, Pakistan, der Iran und Belarus Teil der mittlerweile größten Regionalorganisation der Welt. Etwa 42 Prozent der Weltbevölkerung leben in einem der zehn SCO-Länder, insgesamt rund 3,3 Milliarden Menschen. Hinzu kommen gut ein Dutzend Beobachterstaaten und Dialogpartner.
SCO-Gipfel in China: Nicht nur Freunde, sondern auch Rivalen kommen nach Tianjin
In den ersten Jahren nach ihrer Gründung habe die SCO ihren Schwerpunkt auf die „sicherheitspolitische Dimension“ gelegt, schreibt der Sicherheitsexperte Jan Senkyr von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Vordergrund stand der Kampf gegen die sogenannten „drei Übel“ Terrorismus, Separatismus und Extremismus; in der usbekischen Hauptstadt Taschkent betreibt die SCO ein „Regionales Anti-Terror-Zentrum“. Heute würden auch aber „wirtschaftliche, kulturelle, diplomatische sowie infrastrukturelle Aspekte eine Rolle“ spielen, so Senkyr. Hauptsitz der SCO ist Peking, wirtschaftliches Schwergewicht China. So war die Wirtschaftsleistung der Volksrepublik im vergangenen Jahr mehr als doppelt so hoch wie die aller anderen SCO-Staaten zusammen.
Zum Gipfel in Tianjin wird Chinas Staatschef Xi Jinping unter anderem den russischen Präsidenten Wladimir Putin, Irans Präsidenten Massud Peseschkian und den indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi empfangen. Schon der Blick auf diesen Teil der Gästeliste zeigt, wie heterogen die SCO ist: Modi regiert die weltgrößte Demokratie, Xi die weltgrößte Autokratie, Peseschkian einen Gottesstaat. Und Putin tritt mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine die internationale Ordnung derzeit mit Füßen.
Auch sonst passt auf den ersten Blick bei der SCO nicht viel zusammen. Die beiden Mitgliedsländer Indien und Pakistan haben noch vor wenigen Wochen einen kurzen, aber blutigen Krieg um die umstrittene Region Kaschmir geführt. China, so heißt es aus Indien, habe Pakistan dabei logistisch unterstützt. Auch zwischen Indien und China schwelt seit Jahrzehnten ein Grenzkonflikt, zuletzt eskalierte im Sommer 2020 die Gewalt in der Grenzregion, mindestens zwei Dutzende Menschen kamen damals ums Leben. Acht Jahre lang hatte Modi China deshalb gemieden, nun reist er erstmals wieder in das Nachbarland. Als Zeichen des guten Willens vereinbarten beide Regierungen vor Kurzem, wieder Direktflüge aufzunehmen.
SCO-Gipfel: Russland und China ringen um Einfluss in Zentralasien
Der Iran wiederum ist zwar ein enger Verbündeter China und Russlands, zeigte sich nach den US-Schlägen auf seine Atomanlagen im Juni aber enttäuscht von der zurückhaltenden Reaktion Pekings. Und die zentralasiatischen Staaten, die Russland lange Zeit als seinen natürlichen Hinterhof betrachtet hat, gehen zunehmend auf Distanz zu Moskau. „Sie haben verstanden, dass Wladimir Putin davon träumt, die Sowjetunion wiederauferstehen zu lassen, und dass Russland eine Gefahr für sie darstellt“, sagte die Analystin Nataliya Butyrska im Interview mit unserer Redaktion. Gleichzeitig baut China, unter anderem mit seiner globalen Infrastrukturinitiative „Neue Seidenstraße“, seinen Einfluss in der Region aus. 2023 löste die Volksrepublik erstmals Russland als wichtigster Handelspartner der fünf zentralasiatischen Staaten ab. In Moskau beobachtet man das, trotz der Nähe zu China, mit Unmut.
Vor allem die Teilnahme von Indiens Ministerpräsident Modi zeigt aber, dass etwas in Bewegung gekommen ist im komplexen Beziehungsgefüge der SCO, dass alte Rivalitäten weniger wichtig werden. Das liegt hauptsächlich an einem Mann, der in Tianjin nicht mit am Tisch sitzen wird: Donald Trump.
Mit seinem Zoll-Krieg hat der US-Präsident fast die ganze Weltgemeinschaft gegen sich aufgebracht, besonders getroffen hat er aber vor allem Indien. Mitte der Woche traten Trumps Strafzölle auf indische Produkte in Kraft, mit 50 Prozent liegt der Satz höher als für jedes andere Land. Trump hatte den Schritt damit begründet, dass Indien seit Beginn des Ukraine-Kriegs zum zweitgrößten Abnehmer russischen Öls aufgestiegen sei und so Putins Angriffskrieg mitfinanziere. Mit seinem Zoll-Knall hat Trump nun ausgerechnet einen seiner wichtigsten asiatischen Verbündeten gegen sich aufgebracht.
Auch wegen Trump – China denkt über Erweiterung der SCO nach
Wohl vor allem wegen Trump sieht China nun die Chance, die SCO weiter als „politische Alternative zum westlichen Entwicklungsmodell“ zu positionieren, wie es unlängst die staatliche China Daily ausdrückte. Auch eine Erweiterung schließt Peking nicht aus. „Die SCO ist jederzeit bereit, weitere Länder, die ihre Vision teilen, in der großen Familie der SCO willkommen zu heißen“, erklärte vor wenigen Tagen eine chinesische Außenamtssprecherin.
Als möglicher Kandidat hat sich zuletzt die zunehmend autoritäre Türkei ins Spiel gebracht. Zusammen mit Russland wolle China die SCO nutzen, um „die globale Ordnung neu zu gestalten“, sagt der Analyst Claus Soong von der China-Denkfabrik Merics. Dem stehe allerdings die Heterogenität der Mitgliedsstaaten entgegen. Zudem verfüge die SCO über keine Möglichkeiten, ihre Agenda auch durchzusetzen, der Organisation fehlten die dafür notwendigen Strukturen, so Soong.
Auch Indiens neue China-Nähe dürfte nicht von Dauer sein, zu wichtig sind für Neu-Delhi weiterhin die USA, trotz Trumps Zöllen. Das Misstrauen gegenüber Peking sitzt tief. Die große Militärparade, mit der China am Mittwoch des Endes des Zweiten Weltkriegs in Asien vor 80 Jahren gedenkt, wird Narendra Modi jedenfalls schwänzen: Neben chinesischen Panzern will sich Indiens Ministerpräsident dann doch nicht ablichten lassen.