Experte warnt vor Denkfehler der Merz-Regierung: „Können Migration nicht komplett steuern“

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Zehn Jahre nach Merkels berühmtem „Wir schaffen das“ zieht Migrationsforscher Schammann Bilanz – und warnt vor Aktionismus in der aktuellen Politik.

Berlin – Vor ziemlich genau zehn Jahren sagte Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den berühmten Satz: „Wir schaffen das“. Damit prägte sie die Migrationspolitik der folgenden Jahre und das, was wir heute Willkommenskultur nennen. Indes: Der Ausspruch ist nicht unumstritten, Kritiker sagen: Merkel hat es sich damals damit zu einfach gemacht.

Hannes Schammann glaubt: In dem Merkel-Zitat steckt vor allem ein großes Missverständnis – und die damalige Politik habe einen großen Denkfehler begangen, den die aktuelle Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) erneut begehe, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Zehn Jahre „Wir schaffen das“: „Nicht mutig genug kommuniziert“

Schammann ist Mitglied im Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) und Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Migrationspolitik an der Universität Hildesheim – und hat die Entwicklungen seit 2015 analysiert. „Der Satz damals bezog sich auf das Management der akuten Situation. Aber von rechtspopulistischer Seite, vor allem der AfD, wurde der Satz als absurde Äußerung einer volksfernen Elite vermarktet“, so der Experte im Gespräch mit dieser Redaktion. Dazu beigetragen habe sicherlich auch, dass die damalige Bundesregierung nicht mutig genug kommuniziert habe. „Sie hätte klar sagen sollen: Es gibt keine andere Wahl, wenn wir nicht massiv Gewalt an den deutschen Grenzen einsetzen wollen. Diese Ohnmacht der Politik hat man nicht zugegeben – damals wie heute nicht.“

Insgesamt habe die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten 2015 recht gut funktioniert. „Wir hatten nur lokal und zeitlich begrenzt Unterbringungskrisen, aber dafür eine massive Auszugskrise“, so der Experte. Viele Geflüchtete hätten nicht schnell genug Wohnungen gefunden – und seien deshalb länger als geplant in den Sammelunterkünften geblieben. „Das hat aber weniger mit Migrationspolitik zu tun, sondern zeigt auf ein anderes strukturelles Problem, nämlich den ausbleibenden sozialen Wohnungsbau. Der betrifft aber ja nicht nur Migranten“, betont Schammann.

Migrationspolitik der Merz-Regierung: „Nur eingeschränkt steuerbar“

Heute steht die deutsche Migrationspolitik vor ganz neuen Herausforderungen. Und Schammann warnt vor hastigen politischen Maßnahmen und dem Abbau von Strukturen in Zeiten geringerer Zuwanderung. Er fordert: „Wir brauchen ein atmendes System, das flexibel hoch- und herunterfahrbar ist. Denn wir können Migration nicht komplett steuern.“

Scharfe Kritik übt Schammann an der aktuellen politischen Kommunikation zur Migrationspolitik. Politiker versprächen eine „große Migrationswende“ mit symbolischen Maßnahmen wie Grenzschließungen. „Ein großer Fehler 2015 war, so zu tun, als könnte man es perfekt hinbekommen. Und heute wird die große Migrationswende versprochen.“ Dabei müsse man sich „als Politiker einer liberalen Demokratie eingestehen: Migration ist nur eingeschränkt steuerbar.“ Die aktuell zunehmende Verknüpfung von Sicherheit und Migration lenke zudem von systemischen Schwächen wie dysfunktionalen Gesetzen oder langwierigen behördlichen Abläufen ab..

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